Sie führte mich in ein Wohnzimmer, das im Verhältnis eher klein war, aber angenehm kühl dank Klimaanlage und kreisendem Deckenventilator. Durch eine schwere Schiebetür aus Glas war tiefblaues Meer zu sehen, davor Sessel und Porzellanfiguren in tropisch bunten Farben, und davor ein Mann in weißen Shorts, der» Michael Ford «sagte und mir die Hand gab.
«In Natur wirken Sie größer als auf dem Bildschirm.«
Seine Worte hatten nichts Beleidigendes, und seine Aussprache ähnelte der seiner Frau, wobei ich ihn etwas weiter unten auf der gesellschaftlichen Stufenleiter angesiedelt hätte, Geld hin oder her.
Neben meiner hauptberuflichen Tätigkeit im Wetterstudio (und offen gestanden auch zur Gehaltsaufbesserung, um Jett van Els und ihre Kolleginnen bezahlen zu können) hielt ich Vorträge und Tischreden. Um andere Leute nachahmen zu können, hatte ich gelernt, ihnen aufs Maul zu schauen. Natürlich konnte ich sprachliche Eigenheiten nicht mit einer so unglaublichen Genauigkeit orten wie Shaws Professor Higgins, aber um im geeigneten Rahmen die Leute zum Lachen zu bringen, genügte es.
Michael Fords mundwerkliche Anfänge hätte ich wie meine eigenen im ländlichen Westen von Berkshire vermutet, doch war bei ihm das Ausgangsmaterial durch gezieltes Lernen geschliffen und verfeinert worden.
Nur wenig größer als Robin Darcy sah Michael Ford mit seinem gebräunten, athletischen nackten Oberkörper und den barfüßigen, leicht gekrümmten, stämmigen braunen Beinen viel kräftiger aus als der rundliche Robin.
«Was zu trinken?«fragte mich Amy Ford und goß reichlich Orangensaft auf Eiswürfel, und erst als ich den Saft gekostet hatte, merkte ich, daß auch ein ordentlicher Schuß Bacardi oder etwas Ähnliches drin war.
Ich sagte:»Würden Sie mir vielleicht sagen, wer Sie sind und warum ich hier bin?«Und zu meiner gelinden Bestürzung hörte ich mich wie Amy reden.
Amy bekam das aber offenbar nicht mit und gab mir eine Teilerklärung.
«Ich habe Robin mein Flugzeug verkauft. Soviel ich weiß, will Ihr Freund damit durch den Hurrikan Odin fliegen, und Sie sollen als Navigator mit.«
Wie in aller Welt kam Robin dazu, ein sicher doch teures Flugzeug zu kaufen und Kris — den er zufällig auf einer Lunchparty kennengelernt hatte — damit durch einen Wirbelsturm fliegen zu lassen?
«Eigentlich hat Robin meinen Flieger für Nicky gekauft«, sagte Amy, als wäre daran überhaupt nichts Besonderes,»aber Nicky ist ja verpufft.«
«Hurrikan Nicky?«
«Natürlich. Genau. Aber der neue Sturm kam ja sozusagen in Nickys Kielwasser, und Robin meinte, er habe Kris kennengelernt, der sei offenbar ein guter Pilot und wolle mal durch einen Hurrikan fliegen, und na ja… so kam das.«
Eine Erklärung, die mehr Fragen aufwarf, als sie beantwortete.
«Wissen Sie, wo Odin heute morgen steht?«fragte ich und nippte an meinem stark mit Alkohol versetzten Saft.
Zwei Stunden vorher hatte sich Odin meinem Kollegen vom Hurricane Center zufolge südlich von Jamaika konzentriert, so daß die Küstenbewohner überlegten, ob sie Zuflucht in den Bergen suchen sollten.
«Wenn Sie auf Odin zugehen«, hatte mein Kollege gewarnt,»denken Sie dran, daß auf Grand Cayman keine Berge sind, die Zuflucht bieten.«
«Muß man auf Cayman mit Odin rechnen?«
«Also Perry, Sie wissen doch genau, daß Odin selber keine Ahnung hat, wohin er zieht. Aber gerade geht ein Bericht ein, der Odin hoch in Kategorie 3 ansetzt, das ist ein wirklich starker Hurrikan, Perry, also weg da. Verges-sen Sie, was ich vorher gesagt habe, und hauen Sie ab.«
«Was ist mit Trox?«fragte ich.
«Mit was?«fragte er zurück und meinte nach einer Pause dann:»Wenn das eins von den Klecker-Inselchen in der westlichen Karibik ist, fliegen Sie nicht hin, Perry, lassen Sie das. Wenn Odin so weitermacht, kann er jede dieser Inseln, die er direkt erwischt, auslöschen.«
«Wind oder Sturmflut?«
«Beides. «Er zögerte.»Raten wir besser nicht, sonst wär’s nachher wieder falsch. Im Augenblick sieht es so aus, als ob Odin an Jamaika vorbei nach Nordwesten abdreht, und da Grand Cayman«, ein letztes Wort zur Beruhigung,»dann genau auf Odins Weg liegt, spielen Sie da nicht rum, sondern suchen das Weite, wenn Sie vernünftig sind.«
Wahrscheinlich war ich nicht vernünftig.
«Wo genau liegt Trox?«
«Ist das wichtig? Ich schau nach. «Papier raschelte.»Da wären wir. Inseln in der westlichen Karibik… Roncador Cay… Swan. Thunder Knoll. Na bitte… Trox. Einwohnerzahl null bis zwanzig, hauptsächlich Fischer. Länge 1,6 Kilometer, Breite 800 Meter. Höchster Punkt über dem Meeresspiegel 60 Meter. Vulkanisch? Nein. Besteht aus Vogelmist, Guano, Korallen und Kalkstein. Kartenkoordinaten 17.50 Grad Nord, 81.44 West. «Wieder raschelte Papier.
«Das war’s schon. Eine mit Guano bedeckte Felsspitze, die vom Meeresboden hochragt.«
«Keine Landwirtschaft? Keine Pilze?«
«Wieso denn Pilze? Höchstens Kokosnüsse gibt es da. Von Palmen ist die Rede.«
«Wem gehört Trox?«
«Steht hier nicht. Die schreiben nur >Besitzrecht strittige«
«Und das ist wirklich alles?«
«Sonst steht da bloß noch, daß Schiffe anlegen können und daß ein alter Landestreifen für Flugzeuge vorhanden ist, aber keine Tank- und keine Wartungsmöglichkeit. Nichts. Vergessen Sie’s.«
Er hatte viel zu tun und mußte Schluß machen. Sein abschließender Rat war:»Fliegen Sie nach Hause«, und damit meinte er zurück nach England.
Michael Ford sah auf seine schwere goldene Armbanduhr und zappte an einem großen Fernseher herum, bis er einen hektischen Sender fand, der besorgniserregende Einzelheiten über Odins Entwicklung vermeldete.
Odin hatte sich zu einem echten Hurrikan gemausert, in dessen mittlerem Bereich sich die Winde immer schneller um ein stilles, ruhendes kleines Zentrum wie um eine Radnabe drehten. Odins Winde wirbelten jetzt mit hundertneunzig und mehr Stundenkilometern um das gut erkennbare Auge, aber er bewegte sich immer noch langsam mit elf Kilometern die Stunde voran. Eine Abschwächung der Höhenwinde im Kern des Systems hatte zu stärkerer Zirkulation in der Bewölkung über dem Zentrum und daher zur klaren Herausbildung des Auges geführt.
Kris zumindest würde sich freuen, daß Odin nun offiziell ein Hurrikan war.
Odin lag zwölfhundert Kilometer südlich von dem Sand Dollar Pool, an dem sich Evelyn sonnte, und auch für mich auf Grand Cayman, dreihundert Kilometer von dem großen Sturm entfernt, waren durchs Fenster nur Sonne, Sand und Palmen zu sehen, und kein Lüftchen wehte. Es schien unmöglich, daß ein Wind stark genug sein konnte, um wie Hurrikan Andrew eine Stadt restlos niederzuwalzen, oder eine Sturmflut so gewaltig, daß wie in Bangladesch dreihunderttausend Menschen darin umkamen. Ich kannte die Schliche unserer Winde ziemlich genau und hatte die meisten Tücken der Natur studiert, aber doch eher wie ein Vulkanologe, der sich aus sicherer Entfernung die Hände wärmt, statt um den Rand des brodelnden Kraters zu laufen.
Die Satellitenaufnahme von Odin war alles andere als einladend. Wollte ich mit Kris da wirklich mittenrein?
Aus Gewohnheit hatte ich meine kleine Spezialkamera dabei, aber auch mit dem besten Objektiv der Welt würde ich kein Satellitenbild bekommen. Die Spirale eines starken Hurrikans reicht vielleicht fünfzehn- bis zwanzigtausend Meter hoch, wo die Winde dann am kältesten sind; Kris und ich konnten uns ohne Sauerstoff gerade mal dreitausend Meter hinaufwagen. Wir würden in das ruhige Zentrum fliegen, dort den Luftdruck messen, ebenso die Windgeschwindigkeiten an der Augenwand, und auf der anderen Seite wieder hinausfliegen, um den Vogel nach Hause zu bringen. Ob uns die Wolkensuppe da nicht dumm und dämlich rüttelte? Kaum, denn wir würden schneller fliegen als der Wind.
Wie zum Teufel, dachte ich im stillen, fand man so ein Auge? Wie sollte ich da navigieren? Ich hatte das nicht geübt. Wer gab mir einen Crashkurs in Supersturmkoppelnavigation zur Vermeidung eines Crashs?