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Odin in seiner schreckenerregenden Gestalt zog alle Aufmerksamkeit auf sich, laufend wurden auf einem Monitor sein neuester Standort und Entwicklungsstand angezeigt. Hurrikan Odin, mit Windgeschwindigkeiten von nunmehr 250 Stundenkilometern in der Umgebung des Auges, hatte soeben Kategorie 5 auf der Saffir-Simpson-Skala erreicht. Das Auge lag gegenwärtig bei 17.04 Grad nördlicher Breite, 78.3 Grad westlicher Länge und bewegte sich mit zehn Stundenkilometern in nordwestlicher Richtung. Der Luftdruck im Auge war über Nacht von 967 auf zuletzt gemessene 930 Millibar gefallen. Das Auge hatte jetzt einen Durchmesser von 17,5 Kilometern.

Kris lief zwei Stufen auf einmal die Treppe hinauf, die offenbar zur Flugplanung und zu einem Kiosk führte, an dem man kleine Navigationshilfen kaufen konnte, darunter auch Landkarten und Radiokarten. Kris erstand je eine und trug sie wie Trophäen vor sich her.

Bevor er wiederkam, blickte einer der anderen Piloten zum Kiosk hinauf und meinte bedauernd:»Traurige Sache mit Bob Farraday, was?«

Ich sagte:»Ehm…«, und erfuhr, daß Bob Farraday, der Fluglehrer von Amy Ford, vor einem Monat tödlich mit dem Auto verunglückt war.»Daraufhin hat sie ja die Maschine verkauft, die Sie und Ihr Freund fliegen. Ich dachte, das wüßten Sie.«

Ich schüttelte den Kopf, aber das erklärte immerhin, warum sie ein solches Prachtstück verkauft hatte.

Die entschlossenen Hurrikanjäger um uns herum waren sich einig, daß vom Owen-Roberts-Flughafen auf Grand Cayman aus das Auge in Richtung 152 Grad lag, wobei vertrackterweise aber berücksichtigt werden mußte, daß die Nadel eines Magnetkompasses nicht den geographischen Norden anzeigt und daß sich durch die zyklonischen Winde der Steuerkurs von Minute zu Minute ändern würde. Außerdem war natürlich auch das ganze Auge in Bewegung.

Als ich so dem kundigen Geplapper der anderen zuhörte, bekam ich das Gefühl, Kris und ich hätten hier etwas Unmögliches vor, aber Kris selbst sprühte vor Energie, strahlte vor Freude, zog mit mir und den Karten einfach wieder zurück zu Robins Piper und breitete die Karten auf dem Tisch aus.

«Da liegt Odins Auge«, erklärte er, zeichnete mit Bleistift einen Kringel auf der Radiokarte ein, und mit Hilfe eines Taschenrechners bestimmte er flink, wie ich es von ihm gewohnt war, den Kurs und die Geschwindigkeit, die uns ans Ziel bringen sollten. Gerechterweise sei gesagt, daß es fast genau der Kurs war, den er ohnehin hatte fliegen wollen, auch wenn ich nicht auf den Karten bestanden hätte. Mit Genugtuung zog er nämlich jetzt aus der Brusttasche seines Hemdes eine gefaltete Postkarte, auf der er die vorgesehenen Kurse notiert hatte; und unter dem Weg zum Auge standen noch weitere Zahlen, die er mir nach einem Zögern erläuterte.

«Es ist wohl besser, wenn du Bescheid weißt. Nun, die Zahl da, die zweite, ist der magnetische Kurs von Cayman nach Trox. Die nächste ist der von Trox zu Odins Auge, und die vierte ist der Kurs vom Auge zurück nach Cayman. Wenn wir jetzt losfliegen, wirst du sehen, bringen uns die Kurse wieder hierher zurück.«

Ich starrte ihn an und zweifelte an seinem Verstand. Aber im Gegensatz zu der Cherokee von Kris in White Wal-tham war diese Piper, die kleine Luxusmaschine hier, mit allerlei elektronischen Finessen ausgestattet, und so las ich, während Kris gewissenhaft seine Kontrollen zu Ende führte, die schmale Gebrauchsanweisung zum Navigieren mittels Funksignalen durch.

Das ganze Unternehmen, schätzte ich, würde zu einem flotten kleinen Rundflug geraten, der uns in irgendwelche ruhigen Gegenden fernab von Odin führte und über verschiedene Kreisfunkfeuer, also Funkstationen, die ein ungerichtetes Signal abstrahlten, heil zurück nach Cayman.

Viel später erst erfuhr ich, daß Tiefflugnavigation über der westlichen Karibik dank dreier starker Richtfunkfeuer in Panama, auf Swan und der Bahamainsel Bimini einmal recht einfach gewesen war, daß aber mit der Einführung der Satellitennavigation in der Verkehrsluftfahrt diese Hilfsmittel für Hobbyflieger aufgegeben worden waren. Kris und ich hätten an dem Tag, als wir so forsch nach Trox aufbrachen, die Kreuzverweise von Richtfunkfeuern aus Panama, Swan und Bimini sehr gut gebrauchen können.

Mit den Kursdreiecken, die immer zu Kris’ Navigationsausrüstung gehörten, zog ich auf beiden Karten eine gerade Linie von Cayman nach Trox, und nachdem ich Kris, der immer noch an seinen neuen Pakt mit Robin dachte und sich ihm verpflichtet fühlte, die Zahlen aus der Nase gezogen hatte, trug ich die Fluggeschwindigkeit und dementsprechend die voraussichtliche Dauer des Flugs nach Trox ein.

Mein Kurs und meine Ankunftszeit wichen von Kris’ Berechnungen kaum ab.»Sagte ich doch«, meinte er.

Ich lehnte mich auf meinem Sitz zurück.»Was sollen wir für Robin auf Trox tun? Du redest nur um den Brei herum. Er hat viel Geld ausgegeben, wie du sagst, aber ich wüßte immer noch gern, wofür.«

«Er möchte, daß du Fotos machst. «Sowohl Kris als auch Robin, der im Schlafanzug mit hinaus zum Pick-up gekommen war, als wir losfuhren, hatten sich vergewissert, daß ich meine Kamera dabeihatte.

«Fotos? Wovon denn?«

Kris rutschte auf seinem Sitz herum.»Er hat nur Fotos gesagt… als würdest du schon wissen, was er will, wenn du’s siehst. «Aber das, so sollte sich zeigen, war schon wieder geschwindelt von Kris.

Die Sache kam mir immer unvernünftiger vor, doch um wenigstens so zu tun, als wäre alles im normalen Rahmen, schlug ich vor, schon einmal die Rettungswesten anzulegen, natürlich ohne sie aufzublasen, aber einsatzbereit.

Kris, der die Hauptschlacht gewonnen hatte, machte mir dieses kleine Zugeständnis und schnallte sich fügsam die dünne orangefarbene Schwimmweste um.

Zwei oder drei der leichten Flugzeuge vor uns waren in Bewegung. Nach einem scharfen Blick auf die Uhr schimpfte Kris, wir hätten zu viel Zeit verloren, kletterte in den Pilotensitz und führte sichtlich erleichtert darüber, daß er keine Fragen mehr zu beantworten brauchte, die letzten Checks vor dem Start durch, indem er den Zeiger des Höhenmessers auf Null stellte, um den momentanen Luftdruck des Startflughafens angezeigt zu bekommen, der 1002 Millibar betrug. Dann ließ er die Motoren an und bat den Tower um Rollfreigabe.

Ich setzte wie Kris die Kopfhörer auf und bat vom Kopilotensitz aus um Starterlaubnis. Die Erlaubnis kam, obwohl der Tower es im allgemeinen lieber sah, wenn autorisierte Militärmaschinen das Auge eines Hurrikans anflogen. Kris aber brauste entschlossen und gekonnt die Startbahn entlang, stieg über dem Meer hoch und steuerte direkt auf Odin zu.

Wir waren ungefähr bei der Horizontlinie von Grand Cayman — die Aufmerksamkeit der Flugleitung galt nun der uns folgenden Maschine und der dahinter —, als Kris plötzlich den Kurs änderte und die Pilze von Trox anpeilte.

Er drückte verschiedene Schalter, und als er damit durch war, stellte ich fest, daß wir keinen Funkkontakt mehr hatten, da Kris den Empfänger systematisch auf ortsfremde Frequenzen eingestellt hatte. Wie von ihm und Robin zweifellos geplant, waren wir allein am weiten Himmel — und am weiten Himmel zogen rauhe, böige Winde auf, auch wenn die Ausläufer des Hurrikans laut Wetterbericht noch weit entfernt waren.

Über die Kopfhörer, die wir beide noch aufhatten, sagte Kris:»Jetzt müßten es zwanzig Minuten Flugzeit bis Trox sein, aber so starken Wind hatte ich nicht eingeplant. In zehn Minuten kannst du Ausschau halten. Robin sagt, die Insel ist manchmal schwer zu sehen.«

Ich meinte zu ihm, unsere Funkstille sei Wahnsinn. Kris grinste nur.

Zehn Minuten vergingen, zwanzig. Die Wellenkämme mehrten sich über dem grauen Wasser unter uns, die Wolkenfetzen verdichteten sich, das Flugzeug wurde im zunehmenden Wind heftig geschüttelt.

Keine Insel. Kein unscheinbarer, von Guano bedeckter Fels. Ich wiederholte alle Berechnungen, und den Zahlen nach waren wir immer noch auf Kurs.

Als die Insel zu meiner großen Erleichterung rechts vor uns in Sicht kam, sah sie zuerst nur wie ein langgezogener weiß schäumender Wellenkamm aus. Ich rüttelte Kris am Arm, zeigte geradeaus nach unten und sah die uneingestandene Sorge im Nu von seiner Stirn verschwinden.