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Trox war zirka anderthalb Kilometer lang, mit dem Dorf an einem Ende und dem grasbewachsenen Landestreifen, der bis zum anderen Ende reichte. Ich ging vorsichtig zu dem Punkt des Landestreifens, wo wir uns fluchtartig ins Flugzeug geschwungen hatten, aber sosehr ich nach Kühen Ausschau hielt, nirgends zeigte sich auch nur eine Schwanzspitze.

Zu meiner großen Freude fand ich dafür die liegengelassene Kamera wieder. Meine Begeisterung flaute dann etwas ab, weil der Apparat zwar wasserdicht sein sollte und auch noch in seiner Ledertasche war, aber tief im Schlamm steckte, als hätte ich ihn nicht nur fallen gelassen, sondern obendrein festgetreten. Traurig zog ich ihn heraus und hängte ihn an den Gurt meiner Schwimmweste.

Immer noch vor allem vom Hunger getrieben, marschierte ich an einer Seite der Startbahn entlang und sah einen felsigen Streifen Land zwischen dem flachgedrückten Gras und der schwer gehenden See. Dort hätten die Kühe Platz gehabt, aber es waren keine zu erblicken. Deprimiert wechselte ich zur anderen Seite der Piste hinüber und dachte unterwegs, daß die Rollbahn, wenn sie auch aus Erde und Gras bestand, doch ein technisches Meisterstück war, durchaus lang und breit genug für große Transport- und Passagierflugzeuge, nicht nur für zweimotorige Maschinchen.

Auf der anderen Seite der Rollbahn lag ein viel breiteres Stück Felsland, das die schneidenden Winde weitgehend kahlgeschoren hatten. Umgestürzte Palmen reckten hilflos ihre Wurzeln in die Luft, ihre Kronen klebten wie durchweichte Mops am Boden. Palmen… Kokosnüsse… ich schaltete von Kuh- auf Kokosmilch und zerkratzte mir Beine und Füße noch ein wenig mehr beim Abstieg von der Rollbahn zum Meer hinunter.

Bevor ich eine Kokosnuß fand, entdeckte ich die Kühe.

Sie lagen in einer langen, dunklen Gruppe beieinander, die Bäuche am Boden. Eine kleine Felswand weiter hinten hatte sie halbwegs vor den Winden geschützt, und ihr Gewicht hatte wahrscheinlich ein übriges getan.

Viele drehten die Köpfe, als ich näher kam, und einige wuchteten sich hoch, wobei mir auffiel, daß unter den Kühen auch Bullen waren, und ich fragte mich, ob das mit dem Melken vielleicht doch keine so gute Idee war.

Drei der Bullen waren breitschultrige Brahman. Zwei waren kremfarbene Charolais. Vier waren rotbraun und weiß gescheckte Hereford. Vier andere hätte man in Rennsportkreisen als Füchse bezeichnet, aber wie sie wirklich hießen, entzog sich meinen bescheidenen Viehzuchtkenntnissen. Ein paar waren Schwarzbunte.

Von meiner Harmlosigkeit überzeugt, verloren die Herren der Herde das Interesse, schwenkten ohne Arg die großen Häupter und legten sich friedlich wieder hin.

Da ich mich dunkel erinnerte, daß Schwarzbunte reichlich Milch gaben, schlich ich auf Zehenspitzen vorsichtig um die riesige Haustierversammlung herum, bis ich zu einer dicken, sanftmütig wirkenden Schwarzbuntkuh kam, neben der ein zufriedenes Kalb lag. Ich hatte noch nie im Leben eine Kuh gemolken, und sobald ich sie anfaßte, rappelte sich das schwere Tier auf und schickte mich mit einem Blick aus seinen kummervollen Augen zum Teufel. Hätte mir der Hunger nicht so zugesetzt, wäre das Kapitel damit für mich erledigt gewesen, zumal die Kuh auch noch den Hals reckte und einen langgezogenen hohlen

Ton ausstieß, der jede Menge ihrer Gefährten auf die Beine brachte.

Das einzige Gefäß, das ich hatte, war meine Kameratasche, ein durchweichter, vermatschter schwarzer Knautschlederbeutel.

Ich kniete mich neben die Schwarzbunte, die aus ihrer Überraschung darüber, daß jemand ihre Milch als Geschirrspülmittel benutzte, keinen Hehl machte, und nachdem ich die Tasche dreimal gefüllt, geleert und ausgewrungen hatte, sah die Milch im vierten Durchgang schon einigermaßen sauber und trinkbar aus.

Von der sechsten Füllung nahm ich einen Schluck. Die Milch war warm, fett und schaumig und schmeckte entfernt nach Erde. Ich kostete die nächsten Portionen mit wachsender Zuversicht und trank die recht saubere zehnte Füllung ganz, bevor die Kuh endgültig die Geduld verlor, mir den Schwanz ins Gesicht schlug und sich wiegenden Ganges würdevoll entfernte.

Mit vorerst beruhigtem Magen kehrte ich in das zerstörte Dorf zurück und wusch an einem der verschlammten Regenwasserspeicher so gut es ging die Ledertasche aus. Die Kamera selbst, die inzwischen trocken war, rieb ich mit einem feuchten Hemdschoß sauber, bis sie, als ich zum dritten Mal den Verschluß auslöste, tatsächlich wieder ging und nicht nur klickte, sondern automatisch den Film weiterspulte.

Ich machte zwei Aufnahmen von dem verwüsteten Dorf. Danach hätte ich wahrscheinlich die Rinder geknipst, die mir langsam, aber mehrheitlich die Insel hinauf gefolgt waren und jetzt neugierig um mich herumstanden, doch hatte ich von den sechsunddreißig Aufnahmen auf dem Film nur noch wenige übrig. Eine Kuh ist eine Kuh ist eine Kuh. Kühe waren so interessant wie nicht vorhandene Pilze.

Der Sonnenschein kehrte in die Karibik zurück.

Als es nach dem Stand der Sonne am Himmel Mittag war, hatte sich noch niemand blicken lassen.

Zwei Tage waren vergangen, seit Kris und ich Grand Cayman verlassen hatten. Wir wurden sicherlich vermißt.

Es würde jemand kommen.

Nur zum Zeitvertreib kehrte ich in Bunker Nummer zwei zurück, und da ich einmal drin war, riß ich die lose herunterhängenden, rohweißen Gipsplatten ganz von den Wänden. Der freigelegte Tresor erwies sich als ein grauer Stahlwürfel von gut sechzig mal sechzig Zentimetern, der in Hüfthöhe in die Wand eingelassen war. Ich runzelte die Stirn. Ohne den Sturm wäre der Safe den Blicken der Allgemeinheit verborgen geblieben, aber andererseits war es so ungewöhnlich nicht, wenn man ein Versteck versteckt anlegte.

Ich versuchte die Safetür zu öffnen, doch wie es schien, hatten zarte Meteorologenhände einem hurrikansicheren Stahlwürfel wenig entgegenzusetzen.

Offensichtlich war ein kurzer flacher Griff zum Öffnen der Tür gedacht, aber der Griff ließ sich nur über eine elektronische Tastatur aus Buchstaben und Ziffern wie bei einem Telefon betätigen. Das schien mir ein aufwendiges Schloß für das Gelände einer Pilzfarm zu sein; ein Rätsel mehr in einer ganzen Reihe unbeantworteter Fragen.

Seufzend schlenderte ich wieder nach draußen, wo die Rinder jetzt die noch erhaltenen Grundmauern des Dorfs belagerten und mißmutig um die zum Teil freiliegenden, verdreckten Zisternen herumstrichen. Wenn sie den Kopf weit genug vorstreckten, hätten sie an das schmutzige Wasser gerade eben herankommen können, aber noch trieb sie der Durst nicht dazu.

Interessant fand ich, daß sich die Herde nicht nach Rassenzugehörigkeit aufgeteilt hatte, sondern überwiegend in gemischten Gruppen beieinander stand, Charolais neben Schwarzbunt, ein Brahmanbulle aus dem Land der heiligen Kühe in einer Schar fleischgebender Hereford, und außen herum ein paar dunkle Büffelnacken, die mir bisher entgangen waren — schwarze Aberdeen-Angus.

Der Verstand liebt kleine Streiche, und außerdem hatte ich von meiner Großmutter gelernt, im Kopf immer Platz zu lassen für die unerwartete Verbindung scheinbar unzusammenhängender Gedanken.

Mit zehn hatte ich einen gleichaltrigen Freund gehabt, der Angus hieß und sehr große, abstehende Ohren hatte. Er wurde deswegen gehänselt und bekam den Spitznamen Aberdeen, weil seine Segelohren an die einer Kuh erinnerten, und er weinte und nahm das so schwer, daß seine Eltern ihn zu einem plastischen Chirurgen schickten, und danach hatten ihn die anderen Jungs wegen der» gerefften Segel «aufgezogen, bis er auch darüber weinte. Meine Großmutter hatte» Aberdeen «Angus in das traurige Gesicht gesagt, er solle froh sein, überhaupt Ohren zu haben, taub zu sein sei schlimmer.

Es war absurd, sich auf Trox an Segelohren-Angus zu erinnern. Meine Großmutter hätte mir wohl gesagt, ich müsse mich vielleicht von Milch ernähren und ohne Schuhe und andere Annehmlichkeiten auskommen, sei aber immerhin am Leben.

Ich ging zurück in den Bunker und drückte spontan die Zahlen für ANGUS — 26487 — auf dem Tastenfeld des Tresorschlosses.