«Und meine Großmutter…«, fiel mir ein,»dürfte ich sie mal von hier aus anrufen?«
«Bitte sehr, mein Lieber. «Er schob mir ein Telefon hin.
«Bloß wird sie jetzt schlafen. In London ist es Mitternacht.«
Ich drückte die Tasten.»Sie soll wissen, daß ich am Leben bin.«
Wie vorauszusehen meldete sich die Stimme einer Pflegerin. Nicht vorausgesehen hatte ich, daß es Jett van Els war, die ausrief:»Es hieß, Sie seien tot…«
Meine aus dem Schlaf geweckte Großmutter bemerkte kernig, sie habe gleich gewußt, daß ich noch am Leben sei, und verdarb den Spruch dann durch ein Schluchzen.
«Ich hab ihnen…«Sie schluckte und hielt inne.»Ich hab ihnen gesagt, du kämst schwimmend durch jeden Hurrikan. Auch wenn ich wußte, daß das nicht stimmt.«
«Wem, ihnen?«fragte ich.
«Der BBC. Die wollten im Wetterbericht einen Nachruf auf dich bringen, und ich sagte, wartet erst mal ab.«
Ich lächelte, wünschte ihr einen angenehmen Schlaf, versprach, morgen wieder anzurufen, und als ich aufgelegt hatte, fragte ich die Fords, ob sie wüßten, wo Kris sei.
«Auf Cayman gibt es keinen Such- und Rettungsdienst«, sagte Amy.»Robin rief an und meinte, er fühle sich für Sie und Kris verantwortlich, weil er Sie auf einen so riskanten Flug geschickt habe, und als Sie nicht zurückkamen, ließ er aus Florida einen Hubschrauber kommen und, als die Wetterlage es erlaubte, nach Ihnen beiden suchen;der fand Kris dann in dem Schlauchboot, was eigentlich schon an ein Wunder grenzt.«
«Aber…«, fuhr Michael fort, als Amy schwieg,»Kris sagte mir, das Flugzeug sei in furchtbar schwerer See gesunken, und Sie seien abgetrieben worden und hätten nichts als eine Schwimmweste gehabt, und bei solchen über zehn Meter hohen Wellen sei auch ein ausgezeichneter Schwimmer wie Sie verloren.«
«Ich hatte Glück«, sagte ich.»Wann ist er gefunden worden?«
«Wollen Sie sich nicht erst mal was anziehen?«unterbrach Amy mitfühlend.»Und Ihre armen Füße…«
Ich trat vorsichtshalber nur auf ihre Bodenfliesen, um die Teppiche nicht zu versauen.»Meine Füße sind okay. Wann hat der Hubschrauber Kris gefunden?«
Michael furchte die Stirn und antwortete unbestimmt:
«Gestern nicht… vorgestern, glaube ich. «Er suchte Bestätigung bei Amy, die unsicher nickte.
«Und, ehm…«, fragte ich ohne Nachdruck,»wo ist er jetzt?«
Amy überlegte, bevor sie Antwort gab.»Er ist zurück nach England. Er müsse wieder arbeiten, sagte er. Und jetzt ziehen Sie sich mal was Vernünftiges an. Ihre Sachen hängen noch in dem Zimmer, wo Sie geschlafen haben.«
Ich gab ihrem hausfraulichen Drängen nach, duschte ausgiebig, trennte mich von meinen Bartstoppeln und zog ein nach Waschmittel duftendes Hemd, Flanellhosen und Zehensandalen an. Amy begrüßte das Ergebnis mit einem Hochwerfen der Hände und vielen Komplimenten, und Michael meinte, er habe den Grill angeworfen und es gebe Backkartoffeln zum Steak.
Erst nach dem Essen fragten sie mich, wo ich gewesen sei und wie ich überlebt hätte, und lauschten mit wohldosierter Verblüffung und Anteilnahme meinem Bericht.
Ich erklärte, daß Kris, kurz bevor er die Kontrolle über das Flugzeug verlor und wir ins Meer stürzten, noch gesagt habe, er wolle versuchen, nach Trox zu kommen, und daß die Strömung mich wunderbarerweise wirklich wieder zu der Insel, auf der wir im Auftrag Robins zwischengelandet seien, zurückgetragen habe.
«In welchem Auftrag?«fragte Michael interessiert.
Ich sagte, das wisse ich nicht. Kris scheine es auch nicht recht gewußt zu haben. Ich sah sie hilflos an. Schwer zu glauben, aber ich sei mit einem quasimilitärischen Flugzeug zurück nach Cayman gebracht worden, dessen mit Sturmgewehren bewaffnete Besatzung Strahlenschutzanzüge getragen habe. Die Leute, sagte ich, hätten mich weder angesprochen noch einen für mich erkennbaren Zweck verfolgt. So merkwürdig das alles sei, sie hätten mir die Augen verbunden, mir die Hände mit Verbandszeug gefesselt, das vermutlich aus der Bordapotheke stammte, und mich nach der Landung auf Cayman freigelassen. Ein vorbeifahrender Jamaikaner habe mich netterweise losgebunden und hier vor ihrer Tür abgesetzt.
«Du liebe Zeit!«rief Amy aus.»Das ist ja furchtbar!«
«Gehen Sie zur Polizei?«fragte Michael stirnrunzelnd.
«Lieber nicht«, gab ich zu.»Ich will die Leute nicht in Schwierigkeiten bringen. Sie waren über meine Anwesenheit auf der Insel wohl nicht erfreut, aber sie haben mich, wenn auch gefesselt, heil hierher zurückgebracht. Was sie da zu schaffen hatten, geht mich nichts an.«
Michael und Amy bekundeten breit lächelnd ihren Beifall. Ich verschwieg ihnen, daß ich in dreien meiner Fänger und Retter eindeutig Michael und Amy selbst sowie Robin Darcy erkannt hatte.
Ich dankte ihnen nicht dafür, daß sie einen Weg gefunden hatten, mich der Menschheit wiederzugeben, ohne mir ihre Gesichter zu zeigen, obwohl ich froh darüber war.
Ich verschwieg ihnen, daß ich alle Zeit der Welt gehabt hatte, mir die Registriernummer des Flugzeugs einzuprägen — die mit einem N für die Vereinigten Staaten anfing.
Ganz besonders verschwieg ich ihnen, daß ich ihren Tresor geknackt und mir die langen Tage auf der Insel hauptsächlich mit dem Entschlüsseln der fremdsprachigen Briefe verkürzt hatte.
Amy kam durchs Wohnzimmer, hob wieder die Hände, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte mich auf die Wange. Sie duftete zart nach dem gleichen Parfüm wie einer von der Flugzeugbesatzung, der schmale Wächter, der sich lang machen mußte, um mir die Augen zu verbinden.
Robin der Rundliche hatte unter seiner Silberhaube die von außen sichtbare, dick gerahmte Brille getragen, ohne die er halb blind war, und außerdem hatte er die Hände vor dem Bauch verschränkt gehalten, eine dieser unbewußten Eigenarten, wie sie jeder hat und die mir bei ihm schon in Newmarket und auf der Terrasse seines Hauses aufgefallen war, als die Polizei wegen des» Eindringlings «erschien.
Amy, klein und schlank, und Michael, breitschultrig und o-beinig, vervollständigten das Trio, das mir auf seinem Weg vom Flugzeug zu den Bunkern eine unverkennbare Rückenansicht geboten hatte.
Zu wissen, wer sie waren, wo sie doch unerkannt bleiben wollten, hatte mir das große Fracksausen bereitet, weshalb ich angesichts ihrer Gewehre still, passiv und konzentriert geblieben war.
Mit der Ausrede, ich sei wirklich müde, setzte ich der lächelnden Künstlichkeit des Abends ein frühes Ende und ging zur Erleichterung meiner sichtlich aufatmenden Gastgeber schlafen.
Odin, so erfuhr ich nach einer weiteren Nacht voll schlechter Träume aus dem Fernsehen, hatte einmal mehr die Richtung gewechselt, seit Kris und ich von Trox zu seinem Zentrum aufgebrochen waren.
Michael stellte mir großzügig wieder das Telefon zur Verfügung, und ich rief meinen Kollegen in Miami an, der verblüfft zur Kenntnis nahm, daß Wetterfrosch Perry Stuart in die Fußstapfen von Lazarus getreten war. Als ich fragte, ob ich mich vor der Rückreise nach England auf der Arbeit mit ihm treffen könne, sagte er begeistert, er werde am Empfang Bescheid geben, und so landete ich später am Tag, nach dem freundlichsten Abschied von Michael und Amy, die mich mit ihrem orangen Pick-up zum Owen Roberts Airport gebracht hatten, in Miami, begab mich zu meinem noch nie gesehenen Telefonpartner und wurde in das forschende Herz des Hurricane Center geleitet.
Kollege Will war Mitte Zwanzig, lang, dünn, Vollblutmeteorologe und sehr herzlich.
«Sie dürfen hier nur rein, weil Sie es sind«, sagte er.»Ihre BBC–Vorderen haben sich für Sie stark gemacht.«
«Zu gütig.«
Er sah mir scharf ins Gesicht, deutete meine Worte zu Recht als ironisch und stellte mich dem Meteorologenteam vor, das sich mit Odin befaßte. Dann sei ich also der andere der beiden beim Flug durch Odins Auge abgestürzten Vollidioten? fragten sie. Ganz genau.
Es sei Wahnsinn gewesen, da einen Durchflug zu versuchen, meinten sie. Hurrikanflieger seien das letzte. Nur die 53. Wettererkundungsstaffel der US Air Force besitze die dafür nötige Ausrüstung und Erfahrung.