Wem, uns? fragte ich mich und kam zu dem Schluß, daß»uns «die zuständigen Behörden waren, an die ich mich wenden wollte.»Uns «mußte man trauen. fürs erste.
«Wo würden Sie denn diese heiklen Informationen vermuten?«fragte ich.
«Die können überall auf der Welt sein. «John Rupert kniff sich in den schmalen Nasenrücken.»Wir hatten einen Mann in Mexiko, unweit der Grenze nach Norden. Er hatte Geheimmaterial gesehen und uns darauf hingewiesen, dann hörte er, es stehe zum Verkauf und sei auf dem Weg nach Miami. Er fragte an, ob er es nach Möglichkeit stehlen oder es kaufen solle«, John Rupert verzog das Gesicht.»Er ließ die falschen Leute wissen, daß er es gesehen hatte, und so fand man ihn mit dem Gesicht nach unten in den Everglades von Florida wieder, eine Kugel im Kopf und die Beine halb abgefressen von Alligatoren.«
Du sitzt in der Tinte, dachte ich, und alles, was du darüber erzählst, kann dir noch mehr Ärger einbringen, am Ende sogar eine Kugel. Ich wußte zwar nicht, ob das, was ich herausgefunden hatte, es wert war, dafür zu sterben, und doch konnte ich aus einem tief in mir sich regenden Sinn für Recht und Ordnung nicht einfach davongehen und alles vergessen.
«Nehmen wir mal an«, sagte ich schließlich,»weil zu viele Köche an der Geheimhaltung des Materials interessiert sind, wird es allzu gründlich auf einer Insel versteckt und muß erst wieder geborgen werden, bevor es verwendet werden kann. Wird es nicht verwendet, bringt es keinem was.«
Ich hielt inne.
«Weiter, weiter«, drängte John Rupert.
«Zur Bergung des Materials ist ein geeignetes leichtes Flugzeug vorhanden, aber kein geeigneter Pilot, bis ein Meteorologe daherkommt, ein Hobbyflieger, der liebend gern durch das Auge eines Hurrikans touren möchte. Für das Hurrikan-Abenteuer erklärt sich der Flieger zu einem Umweg bereit, um das Material an Bord zu nehmen.«
John Rupert zeigte mit einem Nicken an, daß er verstand.
«Der Abholflug scheitert«, sagte ich.»Bei dem Hurrikan stürzt das Flugzeug ins Meer. Die immer noch erforderliche Bergung des Materials muß jetzt entschlossen angepackt werden, nämlich bei ruhigerem Wetter, mit einem viel größeren Flugzeug und mehr Leuten, die bewaffnet und bereit sind, nötigenfalls zu kämpfen.«
«Um das Material?«
«Eher um die Rückgewinnung der ganzen Insel, deren Eigentum strittig ist. Bei der Flugzeugbesatzung handelt es sich, glaube ich, um die Unified Trading Company, die auf der Insel das Sagen hatte, bis die Angst vor radioaktiver Strahlung im Umkreis ihrer Anlage zur Züchtung exotischer Pilze die Bewohner vertrieb…«Ich hörte auf zu reden. Seiner Miene nach glaubte er mir kein Wort.
«Auf Wiedersehen«, sagte ich kurz und stand auf.»Schon Schulkinder wissen, wie man es hinkriegt, daß alles und jedes plötzlich radioaktive Strahlung abgibt. Man braucht nur ein bißchen gemahlenes Uranerz auszustreuen. «Ich gab ihm ein Kärtchen mit der Telefonnummer meiner Großmutter.
«Rufen Sie an, wenn Sie an mehr interessiert sind.«
«Halt!«sagte er mit bereits wieder wachsendem Interesse.
«Die Angst der Leute ist auch berechtigt«, sagte ich von der Tür aus.»Wenn man eine erbsengroße Alphastrahlungsquelle hinunterschluckt, stirbt man daran, aber in einer Papiertüte kann man sie ruhig länger mit sich herumschleppen. Ich nehme an, das ist Ihnen bekannt.«
«Gehen Sie noch nicht.«
«Ich muß die schlechte Nachricht von Aix nach Gent bringen.«
John Rupert lachte.
Kris war am Ende leicht zu finden, da er sich im BBC-Wetterstudio in der Wood Lane genau wie ich darauf vorbereiten mußte, das vor und während des Guy-Fawkes-Tages zu erwartende schlechte Wetter anzusagen.
Er empfing mich mit einem Aufschrei und quetschte mich an sich, und auch die übrige Belegschaft drückte mich herzlich. Nach ein paar Minuten scherte es dann niemanden mehr, wie mager und abgehärmt ich aussah, am wenigsten den Mann, der bereitstand, um an meiner Stelle der Jugend zu verkünden, daß das Jubelfeuerwerk ins Wasser fiel — Hauptsache, Stuart der Zuverlässige war von den Toten auferstanden und rechtzeitig zurückgekehrt.
Kris selbst war herrlich braungebrannt, mit sonnengebleichtem Haupt- und Barthaar, und bei meinem Anblick rauschte seine eben noch tieftrübe Stimmung so schnell himmelwärts wie seine in Verse gepackten Raketen.
«Ich faß es nicht!«Seine Stimme war wahrscheinlich in der ganzen Wood Lane zu hören.»Wo kommst du denn jetzt her? Wir dachten alle, deine Oma sei nicht ganz richtig im Kopf, weil sie gestern dauernd meinte, wenn du ertrunken wärst, hättest du sie’s wissen lassen.«
Wir gingen durch einen stillen Flur zu dem Tagesraum, in dem wir uns zwischen den Ansagen alle aufhielten — alle bis auf den Guru, der eine Klause für sich hatte —, und Kris erzählte mir hüpfend und schlenkernd wie ein kleiner Junge, daß er in dem Schlauchboot mehrere Tage lang mit dem Wind an Odins Westrand entlanggetrieben sei, bis die von Robin bestellten Suchhubschrauber ihn entdeckt und heraufgezogen hatten. Die Schilderung seiner Rettung brach flutartig und wortreich aus ihm hervor, als wollte er kein anderes Thema an die Oberfläche lassen, doch zu guter Letzt legte ich ihm Einhalt gebietend die Hand auf den Arm und beglückwünschte ihn zu seiner Verlobung mit Bell.
«Kein Wort zu ihrem Vater«, sagte er bestürzt.»Der gute Caspar hätte sicher nicht geweint, wenn er sich jemand anders hätte suchen müssen, der ihm sagt, wann das Heu geschnitten werden muß.«
Das war zu treffend, um komisch zu sein. Ich ließ es so stehen und fragte:»Was hat denn Robin Darcy zum Verlust seines Flugzeugs gesagt?«
«Ich habe noch nicht mit ihm gesprochen seit dem Morgen, als wir los sind. Wenn ich bei ihm am Sand Dollar Beach anrufe, kommt nur Evelyns Stimme vom Band. Armer Robin, was soll er denn auch sagen? Er hat uns ja zu dem Flug gedrängt.«
«Tja…«Ich runzelte die Stirn.»Was solltest du denn wirklich für ihn auf der Insel machen?«
«Auf Trox?«
«Natürlich auf Trox.«
«Woher soll ich das wissen?«Kris zuckte gedankenverloren die Achseln und schien dann plötzlich auf der Hut zu sein.
«Von ihm vielleicht«, tippte ich an,»weil er es dir gesagt hat.«
Kris stockte und blieb nach dem nächsten Schritt stehen, als sei ihm soeben eingefallen, daß er mir auf die Frage schon zweierlei Antworten gegeben hatte.
«Ich bin ja so froh«, platzte er heraus,»Mensch, was freu ich mich, daß du noch am Leben bist!«
«Das geht mir mit dir genauso. «Wir strahlten uns an, und wenigstens in dem Punkt waren wir beide ehrlich.
Wir traten durch eine Schwingtür in einen Umkleide-und Stylingbereich, wo eine dreiundzwanzigjährige Dragonerin glänzende Stirnen und Nasen mattierte und sich manchmal bremsen mußte, um einem mit der Puderquaste nicht bis vor die Kameras zu folgen. Kris fing an mit ihr zu schäkern, schielte aber unter den Augenlidern hervor immer wieder zu mir, als hoffte er vielleicht doch, ich würde verschwinden.
Ich blieb und fragte leichthin, als wäre es ein Scherz:
«Was meinte Robin denn zu unserem räderfreien Landeanflug auf Trox?«
«Nichts. Ich hab noch nicht mit ihm gesprochen. Sagte ich doch.«
Die Dragonerin war dabei, seine fast weißen Augenbrauen abzudunkeln. Verärgert darüber, daß ich ihn so taktlos an seinen Flugfehler erinnerte, stieß er ihre Hand weg und sagte mir schneidend, niemand könne immer alles richtig machen. Es schien mir besser, ihm ein andermal zu sagen, daß das rechte oder Steuerbord-Triebwerk, wie ich inzwischen wußte, nur ausgefallen war, weil der Pilot vergessen hatte, von dem leeren Treibstofftank auf den vollen umzuschalten.
Der Flug durch den Hurrikan allein war Streß genug gewesen. Zu spät hatte Kris an den Hebel gedacht, und im Sturm dann noch mit Triebwerkausfall und Schlagseite klarzukommen, das hatte seine Fähigkeiten überstiegen.