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Der Cayman-Graben war einer der tiefsten Einschnitte im Meeresboden weltweit, und wenn Robin nicht die Mühe und die Kosten für eine Bergung des Wracks auf sich nahm, würde Kris’ kopfloser Versuch, mit lautem Schrei und schnellem Griff das unnötige Unglück ungeschehen zu machen, für immer sein Geheimnis bleiben.

Ich wollte aber schon, daß er mir ehrlich sagte, warum wir überhaupt nach Trox geflogen waren, und gereizt und genervt gab er schließlich klein bei.

«So ein Theater«, sagte er.»Robin wollte nur, daß ich auf Trox eine Mappe mit Papieren hole, die versehentlich da vergessen worden war, und sie mitbringe, ohne daß du sie dir groß ansiehst. Frag mich nicht, warum du da nicht reinsehen solltest, ich habe keine Ahnung, aber wie gesagt, wir hatten ihm zu danken, und deshalb war ich einverstanden. Er sagte, die Mappe liege im Schreibtisch in einem der Bunker, und ich solle sie in Sicherheit bringen, bevor Hurrikan Odin sie verwehe. Aber als wir hinkamen, war kein Schreibtisch zu sehen. Die Möbel waren schon alle weg.«

«Und, ehm. «Ich überlegte.»Du hast Robin nichts davon gesagt.«

«Nein. Als wir nicht nach Flugplan zurückkamen, hat sich die Flugaufsicht offenbar über den Anrufbeantworter der Darcys mit Evelyn in Verbindung gesetzt, und Evelyn, das alte Perlhuhn, hat den Hubschrauber angefordert, der sich auf die Suche nach uns gemacht hat, sobald das Wetter es zuließ.«

Ich fragte trocken:»Ob sie uns die Rechnung schickt?«

«Was bist du lieber«, gab Kris zurück,»pleite oder tot?«

Ich wanderte den ganzen Nachmittag im Wetterstudio umher, arbeitete zwei Wochen Wind und Klatsch auf und präsentierte wohlvorbereitet um halb sieben und halb zehn die kommende Wetterlage.

Das Wetter morgen Freitag, den fünften November, Tag der Pulververschwörung, brachte Väter und Kinder zum

Stöhnen. Ein Regenband würde von mittags bis abends über die ganzen Britischen Inseln hinwegziehen, vom Westen Schottlands gegen den Uhrzeigersinn nach Süden, und später am Tag würden drehende Winde Wolken und Nieselregen über Südengland verteilen, um auch in Essex die Feuerwerke baden zu schicken. Man stecke das durchweichte blaue Zündpapier an und begebe sich zu Bett.

Ich verbrachte einen ruhigen Feierabend mit meiner Großmutter und Jett van Els, zur Erholung von Körper und Geist, eine halb verdöste Atempause, die nur zweimal unterbrochen wurde; das erste Mal mit Schwung von Kris, der um halb elf einen langen, humorvollen Überblick über die Novembernebelbänke gab.

Das zweite Mal vom schrill klingelnden Telefon, als Jett meiner Großmutter bereits bei ihrem langen, komplizierten Tarzanakt zwischen Rollstuhl und Bett assistierte, und als Jett dann an den Apparat ging, antwortete sie geschäftsmäßig:»Ich schau mal, ob er da ist. Mit wem spreche ich? John Rupert?«Sie blickte mit komisch hochgezogenen Augenbrauen zu mir, und ich nahm ihr den Hörer ab und sagte:»Hallo.«

Er habe einen Ghostwriter für mich, teilte er mir ohne Umschweife mit, und ich willigte ein, die Spukgestalt am Morgen zwischen zwei Ansagen kennenzulernen.

Später, als meine Großmutter unruhig wie immer in ihrem luftigen Zimmer schlief, nahmen Jett und ich ein paar Kissen und setzten uns, eingemummt in warme edwardia-nische Reisedecken, auf eine Steinbank für zwei in der zweckmäßigen kleinen Glasveranda, die es den Damen anno 1908 ermöglicht hatte, trockenen Fußes in das Schlafzimmer des Hausherrn zu gelangen.

Die Nachtluft war frisch und roch nach Schlick. Wir saßen dicht aneinandergekuschelt und sagten nicht viel. Wä-re das ganze Leben so einfach, dachte ich, dann wäre Frieden zwischen den Möwen und der Wind ein Hauch. Ich küßte Jett van Els ungeachtet der Befürchtungen meiner Großmutter, und sie küßte gutgelaunt zurück, und wir verstanden uns ohne Worte in einer Oase der Stille.

Aber im Zentrum jedes Hurrikans ist es still. Der Zorn des Windes lauert rundherum.

In aller Herrgottsfrühe trennte ich mich vom behaglichen Sofa meiner Großmutter, um rechtzeitig zum Frühstück auf ihrem Bildschirm zu erscheinen, und brachte die Regennachricht möglichst schonend unters Volk. Die Feier zum Gedenken an den tapferen Verräter und sein minderwertiges Schießpulver würde heute abend so unbefriedigend ausfallen wie seinerzeit die Verschwörung, ganz gleich, was ich sagte.

Zwischen zwei kleinlauten Ansagen nahm ich, der für das Wetter doch gar nichts konnte, schnell einen Bus nach Kensington und den Lift in die vierte Etage, um mit einem Ghostwriter ein Buch über Tiefs zu besprechen.

Ich bekam einen halbwegs bequemen Stuhl sowie Kaffee und Pfefferkuchen angeboten und hörte mir John Ruperts vernünftig klingende Pläne nicht für ein Buch über Tiefs, sondern für eins über Stürme an, denn das würde sich seiner Ansicht nach besser verkaufen.

War es ihm ernst mit dem Buch? fragte ich, und er meinte höflich, warum denn nicht? Sogar über Haifischzähne seien schon Bücher geschrieben worden.

«Und übrigens«, merkte er an, während er die für mich gedachten Pfefferkuchen aß,»das Gedicht heißt: >Wie sie die gute Nachricht von Gent nach Aix brachten.««

«Auch gut«, sagte ich.

«Robert Browning«, ergänzte er.

Die Tür öffnete sich leise, und herein kam ein veritabler Geist, ein hinfällig wirkender Opa mit schütteren weißen Haaren und stark hervortretenden Sehnen beim Händeschütteln.

Er wurde mir denn auch ohne Aufhebens als» Geist «vorgestellt — kein Mister, kein Vorname, nur Geist —, und John Rupert bat mich seelenruhig, meine Schilderung von gestern noch einmal zu wiederholen.

«Das Ganze noch mal?«wandte ich ein.

«Noch einmal, aber in anderen Worten, so daß Geist sich ein erstes Urteil bilden und ich mir ein klareres Bild machen kann.«

Ich seufzte.»Also gut… Sagen wir, auf einer Karibikinsel ist versehentlich ein Hefter mit Schriftstücken zurückgeblieben, und auf der Insel gibt es keine Funk- und keine Telefonverbindung, keine Post und keine Menschen, aber sie hat eine brauchbare Start- und Landebahn.«

Ich überlegte zwischendurch und ließ Geist Zeit, das Gehörte zu verarbeiten.

«Sagen wir, der Hefter wird dringend gebraucht.«

Denkpause…

«Sagen wir, es ist ein geeignetes Flugzeug vorhanden, aber kein Pilot, auf dessen Verschwiegenheit man zählen kann, denn der eigene Pilot ist tödlich mit dem Wagen verunglückt.«

Denkpause…

«Dann taucht auf einer Lunchparty in England ein Pilot auf, der sich danach sehnt, durch das Auge eines Hurrikans zu fliegen. Er ist Meteorologe, und in der Karibik bahnt sich ein Hurrikan an — Nicky —, und überhaupt ist es Hurrikanzeit. Man bietet ihm einen Hurrikanflug an, wenn er dafür einen kleinen Abstecher in Kauf nimmt und den Hefter holt.«

«Nicht schlecht«, meinte Geist.

«Mhm. Der Pilot nimmt einen befreundeten Meteorologen als Navigator und Handlanger mit.«

«Und der Freund waren Sie?«fragte John Rupert.

Ich nickte.»Unser Hurrikanflug endete im Meer. Der Pilot wurde mit dem Hubschrauber gerettet, und mich warf die Strömung zurück auf die Insel. Ich fand den besagten Hefter, aber ich wußte nicht, daß die Papiere darin wichtig waren, zumindest nicht gleich. Sie waren in vielen verschiedenen Sprachen abgefaßt.«

«Und haben Sie sie?«Geist zeigte sich hoch erregt, da zuckte und bebte es wie bei Oliver Quigley.

«Nein«, enttäuschte ich ihn.»Ich habe mir zwar alles genau angesehen, aber wenn man die Sprachen nicht kann.«

Ich spielte zerstreut mit meinen Fingern, aber ich wußte, was ich sagte.»Einiges war in Russisch.«

John Rupert, der auf der Schreibtischkante saß und ein Bein baumeln ließ, fragte interessiert:»Russisch? Und woher wissen Sie das?«

«Es gab da eine Buchstaben-Zahlenverbindung, die jedem ins Auge springt, der auch nur ein bißchen naturwissenschaftlich beschlagen ist, und zwar U-235 — in einem der fremdsprachigen Schreiben stand dafür Y-235, und dieses Ypsilon ist das russische Zeichen für Uran.«