Doncaster hatte die Sonne, die dem armen Guy Fawkes hätte lachen sollen.
Kris und ich verpaßten beinah das erste Rennen, weil das Programm wegen des kurzen Nachmittags zeitig losging, sahen aber das zweite unter dem klaren, gelbgrauen Himmel, der allein für fröhliche Gesichter und gute Laune sorgte und den Favoriten hold war.
Kris und Bell strebten den ganzen Nachmittag in einem komplizierten Paarungstanz zueinander hin und voneinander weg. Caspar Harvey sah es mit finsterer Miene. George Loricroft schritt erhobenen Hauptes einher, dicht gefolgt von Glenda, seiner Frau, die ihm mit» BadenBaden «in den Ohren lag.
Oliver Quigley zitterte von Besitzer zu Besitzer und entschuldigte sich für das schlechte Abschneiden ihrer Pferde, bevor sie überhaupt angetreten waren.
Scharen von Leuten baten Kris um ein Autogramm.
«Macht es dir nichts aus«, fragte mich Bell,»daß er gefragter ist als du?«
«Das gönn ich ihm. «Wie so oft am 6. November hatte ich statt eines Ansturms begeisterter Autogrammjäger die vorwurfsvollen Blicke zahlreicher junger Frustopfer aushalten müssen. Wenn mich das eines Tages grämte, würde ich in Pension gehen.
Ich schaute mich um und sagte:»Bist du mit deinem Vater und Robin Darcy gekommen? Ich habe Robin noch nicht gesehen.«
«Sie sind zusammen hergefahren«, erwiderte Bell knapp.
«Sie wollten etwas bereden, sagten sie. Ich bin mit Glenda gekommen, und die treibt mich zum Wahnsinn.
Natürlich war George nicht in Baden-Baden, was soll er denn da, wenn die Pferde hier laufen? Und dann die ganzen anderen Städte! Sie hört überhaupt nicht mehr auf.«
«Was für andere Städte?«fragte ich zerstreut, während ich mir die Pferde im Führring ansah und wie immer ihre agile natürliche Schönheit bewunderte.
Bell kramte einen abgerissenen rosa Notizzettel aus ihrer grünen Manteltasche und hielt ihn sich im hellen Licht vor die zusammengekniffenen Augen.
«Glenda sagt, George will in Budapest gewesen sein, wo es angeblich geschneit hat, ebenso schwer habe es geschneit in Pardubice in Tschechien, aber auch in Berlin, und in Warschau und Hamburg sei die Temperatur unter Null gesunken, und sie ist sicher, er war in keiner dieser Städte. Was geht da also ab?«
«Ich habe keine blasse Ahnung.«
«Wenn Glenda hier lang kommt«, sagte Bell,»laß mich nicht allein.«
Bells rosa Augenlider flatterten über einem wahrhaft bezaubernden Lächeln. Kris hörte sofort auf, Autogramme zu geben, und schob sich zwischen mich und seine (eventuell) Zukünftige.
Sie gingen ausnahmsweise zufrieden und entspannt ein Sandwich essen, nachdem ich die artige Einladung, mitzukommen, zu ihrer Erleichterung ausgeschlagen hatte. Ich blieb an der Waage stehen und hielt in Ruhe Ausschau nach Robin dem Rundlichen. Aber ich wünschte, ich hätte mich doch für das Sandwich entschieden, als auf einmal Glenda mit ihrem lauten Lancashire-Organ wie eine Flutwelle anrollte, um mich mit ihren Theorien zu erdrücken.
Ihr leuchtend blond gefärbtes Haar war grell wie das von Andy Warhol. 48 x Glenda, ein Siebdruck für die Galerie des Horrors.
Ausgerechnet Oliver Quigley kam mir zu Hilfe oder schien mir zu Hilfe zu kommen, indem er irgend etwas stammelte und dabei Glenda mit einem ausgesprochen bösen Blick fixierte.
Ich hatte mich um Olivers Stottern oder seine Unsicherheit nie weiter gekümmert, und auch jetzt erkundigte ich mich mit einer Sorge, die ich nicht wirklich empfand, wie es der kranken Stute gehe. Glenda wurde auf einmal ganz still und stand mit weit offenem Mund da, als warte sie auf Olivers Antwort, und plötzlich war mir, als ständen sich hier zwei Persönlichkeiten gegenüber, die viel komplexer waren, als ich bisher wahrgenommen hatte. Das Funkeln in den Lancashire-Augen war überhaupt nicht lustig, und bei Quigley stellte sich mir die Frage, ob er mit seinem Gezitter eine innere Stärke zu verbergen suchte, einen stählernen Willen, der unerkannt bleiben sollte.
Ich blickte zurück auf die Lunchparty, den Tag, an dem ich all die Leute aus Newmarket kennengelernt hatte, diese Fremden, die ich jetzt zu kennen meinte. Vielleicht hatten sie damals nur Fassade gezeigt, und vielleicht kam es, wie bei Robin Darcy, auf das an, was dahinter war.
«Sie sind schuld«, sagte Glenda plötzlich giftig und kniff fest die Lippen zusammen.»Sie schleppen George immer nach Baden-Baden, streiten Sie das nur nicht ab. «Ihr Anwurf galt Oliver. Ich war anscheinend vergessen.
Oliver schaute zwar verständnislos drein, aber wie ich es jetzt sah, nicht aus Unwissenheit, sondern weil er nicht faßte, daß Glenda hier etwas zum besten gab, was unbekannt und ein Geheimnis bleiben sollte.
«Und«, fuhr Glenda trotzig fort,»Sie brauchen mir auch nicht zu erzählen, Sie wären nicht mit ihm in Polen und weiß wo überall gewesen; da war sehr interessantes Wetter, und Perry könnte das beweisen, wenn er nur wollte — «
«Glenda!«unterbrach sie Oliver scharf, unverhohlen drohend, und ließ mit dem einen Wort seine ganze zittrige Maskerade platzen.
«Jaja«, meinte Glenda wegwerfend.»Ihr seid alle sauer wegen der Stute.«
Sie drehte sich auf ihren hochhackigen Lackschuhen um und dampfte ab, das Gewicht steil über den Zehen, während Oliver Quigley sprachlos und perplex zurückblieb, als hätte es ihm auf einen Streich Schild und Schwert weggehauen.
Er heftete sein Augenmerk wieder auf mich, und obwohl in Wirklichkeit längst alles gelaufen war, redete er sich ein, ich hätte nichts gesehen und nichts gehört.
Schon wurde er wieder zittrig. Er stotterte drauflos, ohne ein verständliches Wort herauszubringen. Nach einer Weile nickte er mir unbestimmt zu, als sei er wieder ganz der alte, und als sein persönlicher Flatterzähler sich quasi auf Normalstand eingependelt hatte, riß er sich von mir los, um bald darauf unter fahrig fuchtelnden Handbewegungen mit Caspar Harvey, dem Besitzer der Stute, zu reden. Keiner der beiden Männer sah auch nur halbwegs gelassen, geschweige denn glücklich aus.
Kris, weiter entfernt, beugte die langen Knochen vor, um sich der Körpergröße eines kleinen dicken Mannes anzupassen, in dem ich mit gelinder Bestürzung Robin Darcy erkannte. Ich wußte zwar, daß er mit Caspar Harvey nach Doncaster gekommen war, aber mit ihm tatsächlich konfrontiert zu sein, fand ich doch irgendwie beunruhigend.
Das letzte Mal hatte ich ihn auf Trox gesehen, getarnt mit Schutzanzug und Helm, als er zuschaute, wie Michael den Hefter vom Bunker zum Flugzeug brachte, einen Hefter mit Material, das so brisant war wie jenes, das einen leichtsinnigen Mann aus Mexiko offenbar das Leben gekostet hatte.
Ich sah zu, wie Robin Darcy Kris freundschaftlich den Arm tätschelte, ohne in irgendeiner Form zurückgewiesen zu werden. Normalerweise konnte Kris solche Annäherungen nicht leiden, auch von Bell nicht, nur wenn sie von ihm ausgingen, war das etwas anderes.
Kris, überlegte ich nüchtern, hatte Robin zuliebe den Abstecher nach Trox unternommen. Kris wollte Robin gefällig sein, und ich tat gut daran, das nicht zu vergessen.
Die beiden führten ein kurzes, eindringliches Gespräch, und Kris nickte zustimmend. Als sie auseinandergingen, drückten sie sich die Hand. Ich sah zu und fragte mich, ob Kris mir sagen würde, um was es gegangen war. Nach meiner bisherigen Erfahrung, dachte ich achselzuckend, sehr wahrscheinlich nicht.
Ich lehnte mich gegen die Abzäunung um das Waagegebäude und den Absattelring für den Sieger und gab mir den Anschein, als fände ich das Kommen und Gehen der Trainer und Jockeys weitaus interessanter als alles, was Glenda gesagt hatte. Träge stand ich an der frischen Luft und ließ wieder einmal die Gedanken aufs Geratewohl an mir vorbeiziehen, bis sich» Baden-Baden «und» Polen «und» Schnee «nachdrücklich als irgendwie bedeutsam herausschälten, und zwar bedeutsam wegen Glenda und der Stute.
Glenda tigerte in der Ferne herum. Glenda war eifersüchtig auf Quigley und auf Harvey…