Sie würden Kris’ Cherokee in ihrem Hangar unter Verschluß halten, sagten sie, bis die Unfallsachverständigen kamen, um sich des Falls anzunehmen. Bis dahin möchte ich bitte kein Wort über den fehlenden Ölmeßstab verlieren. Nur Pilze sind stummer, sagte ich.
Ich rief meine Großmutter an und vertrieb eine Legion schlimmster Befürchtungen. Man könne schon einiges erleben als fliegender Zeitgenosse, beschwichtigte ich sie, aber jetzt hätte ich doch wieder festen Boden unter den Füßen. Sie hörte jedoch die gewaltige Erleichterung in meiner Stimme und machte sich unfehlbar ihren Reim darauf.
«Du wirst auch nicht immer heil davonkommen«, sagte sie besorgt.»Kauf dir eine schußsichere Weste.«
Montag früh gaben wir die Titelseite an eine durchgebrannte Erbin ab, und meine gebrochenen Rippen waren nicht mehr zu leugnen. Zwei vielleicht, mehr nicht. Und keine durchstoßene Lunge, das Schlimmste, was dabei passieren konnte.
Auf einer Bergtour in Wales hatte ich mich schon einmal ganz ähnlich verletzt. Damals riet mir der Arzt:»Lächeln, Zähne zusammenbeißen, Aspirin. «Ein besseres Rezept wußte ich nach Luton auch nicht, außer daß ich mir zur Zerstreuung noch die Schneeverhältnisse in Europa ansah.
Zu meiner Überraschung hatte Glenda offenbar recht. Wenn ihr mackerhafter George von ehelicher Treue so weit entfernt war wie sein angeblich eisiges Reisewetter von der Wahrheit, dann war er alles andere als treu.
Ich schrieb die tatsächlichen Lufttemperaturen und Schneeverhältnisse für die betreffenden Orte heraus, und nichts stimmte mit den Angaben, die ich bekommen hatte, überein. Entweder Glenda oder George oder beide spielten Winterspielchen.
In der Annahme, sie nach getaner Morgenarbeit beim Frühstück zu erwischen, rief ich Belladonna an, und wie es sich traf, aß sie gerade mit Loricroft und Glenda Cornflakes in der Küche der Loricrofts. Trainer verbrachten anscheinend die halbe Zeit in der Küche. Dort sei es im Winter warm, erklärte Bell.
Kris wolle nicht krankfeiern, sagte sie, er werde wie vorgesehen auf Radio 4 das Wetter ansagen und habe ihr auch schon erzählt, daß ich ab heute, Montag, an den nächsten fünf Werktagen das Fernsehwetter im Anschluß an die 18- und 21-Uhr-Nachrichten präsentieren würde.
«Mhm«, stimmte ich zu.»Du und Glenda, hättet ihr morgen früh vielleicht Zeit für mich, wenn ich vorbeikäme?«
«Hast du was Gutes für Glenda? Möchtest du sie sprechen? Kommst du mit Kris?«
Ich sagte:»Eventuell. Vielleicht. Und nein.«
«Warte«, sagte Bell und hielt vermutlich die Sprechmuschel zu, während sie die Reaktionen ihres Chefs und seiner Frau einholte, denn kurz darauf sagte sie:»Perry? Wie wär’s Mittwoch? George sagt, wenn du zeitig kommst, kannst du dann seine Springer an den Trainingshürden sehen.«
Das hörte sich nach einer ziemlichen Ehre an, die abzuschlagen unhöflich sein konnte — ich sagte für Mittwoch halb neun zu, obwohl ich lieber einen Tag früher gekommen wäre.
Bis dahin… Bis dahin zählte vor allem Jett van Els, deren dritte Woche bei meiner Großmutter an diesem Montagmorgen abgelaufen war. Um zehn hatte ein anderes» liebes Kind «ihren Platz bei Großmutter eingenommen, und um eins traf sie mich in einer Sandwich-Bar zum Mittagessen.
Sie erschien nicht in der mir vertrauten Schwesternuniform, sondern in schwarzen Hosen, dickem weißen Pullover und einem gerade geschnittenen knallroten Mantel mit schwarzgoldenen Knöpfen. Ich begrüßte sie mit unverhohlener Bewunderung, und das erste, was sie sagte, war:»Dir geht’s nicht gut.«
Ich küßte sie trotzdem.
«Ich bin ja Krankenschwester«, meinte sie,»und da weiß man, was ein blasses Gesicht ist.«
Sie hielt sich aber nicht weiter dabei auf, sondern hängte ihren Mantel an den nächsten Haken und überflog die Speisekarte.
«Wo arbeitest du denn als nächstes?«fragte ich und entschied mich für Käse und Chutney auf braunem Brot, aber aufs Essen kam es mir nicht so an.
«Ich nehme eine Woche Urlaub, und nächsten Montag gehe ich wieder zu Mrs. Mevagissey. «Das sagte sie vollkommen gelassen, als wäre das so üblich. Normalerweise kam eine Schwester allenfalls nach einem Monat wieder.
«War sie damit einverstanden?«fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen.
Jett lächelte über mein Erstaunen.»Deine Großmutter hat mir nahegelegt, dich nicht ins Herz zu schließen, denn du seist die Unbeständigkeit in Person, so ungefähr.«
«Sie möchte nicht, daß du verletzt wirst.«
«Werde ich denn?«
Das war kein Dialog, wie ich ihn aus Erfahrung kannte.
«Ist noch zu früh, um das zu sagen«, meinte ich schwach.
«Ich werde Abseilbedingungen aushandeln.«
Wir bestellten. Sie nahm ein Thunfischbrötchen, was ich noch nie gemocht hatte, und ich saß da und hoffte, ihre Zukunftspläne führten sie nicht zu weit weg. Belgischer Vater hin oder her, Jett van Els würde wohl eher Perry Stuart das Herz brechen als umgekehrt.
«Mal im Ernst«, sagte sie, als das Sandwich mit gesundem Appetit verputzt war,»was hast du?«
«Liebespein?«
Sie schüttelte lächelnd den Kopf.»Ich hab bei deiner Großmutter gestern die Zeitung gesehen. Es ist erstaunlich, daß du und dein Freund Kris da überhaupt lebend rausgekommen seid.«
Ich sagte, ich hätte mir wahrscheinlich ein paar Rippen gebrochen, was der körperlichen Liebe einige Tage abträglich sein könne.
«Sagen wir eher ein bis zwei Wochen«, riet Miss van Els,»oder ein bis zwei Monate. «Sie lächelte gefaßt.»Die erste Abseilregel heißt, laß dir Zeit mit dem Anseilen.«
«Essen wir dann morgen wieder zusammen?«
«Gern«, sagte sie.
Auch wenn ich erst nach sechs vor die Kameras mußte, war ich immer schon längst im Büro, wenn um zwei die Nachmittagskonferenz zur Weltwetterlage begann.
Man mußte die Luftschicht, die um den kreisenden Planeten wirbelte, als Ganzes betrachten und abzusehen versuchen, ob der Druck in den tropischen Regionen so weit fallen würde, daß daraus Stürme entstanden.
Mich hatte es immer gewundert, wie unbeliebt Physik als Schul- oder Studienfach war, wenn sie im allgemeinen auch allmählich an Ansehen gewann. Physik ist die Lehre von den ungeheuer starken unsichtbaren Kräften, die unser Leben bestimmen. Physik ist Schwerkraft, Magnetismus, Elektrizität, Hitze, Schall, Luftdruck, Radioaktivität und Wellen; sie umfaßt die geheimnisvollen Kräfte, die es offenkundig gibt, deren Wirkung allgegenwärtig, deren Macht grenzenlos ist und die man doch nicht sieht. Tag für Tag ging ich mit diesen Kräften wie mit Freunden um.
Niemand im Büro verlor viele Worte über meine Samstagseskapade mit Kris; offenbar war die Freudentanzbereitschaft unserer Mitarbeiter nach Odin erschöpft. Ihre Zurückhaltung paßte mir gut, nur für das geheimnisvolle Verschwinden eines gewissen Ölmeßstabs in Nordengland, fand ich, hätten sie sich ein wenig mehr interessieren können. Mir wollte man am Telefon nicht sagen, ob es da schon etwas Neues gab, da es nicht mein Ölmeßstab sei. Als auf meine Bitte hin dann Kris anrief, erreichte er auch nicht mehr; um darüber Auskunft zu erhalten, hieß es, müsse er schon zu einem persönlichen Gespräch nach Nordengland kommen.
«Ruf Luton an, sie sollen nachhören«, schlug ich vor, aber Luton erhielt lediglich die Empfehlung, Kris selbst noch einmal eingehend zu befragen.
«Was soll das denn heißen?«wollte Kris von mir wissen.
«Das heißt, die haben da oben keinen Ölmeßstab gefunden. Es heißt, daß du ihrer Meinung nach den Ölmeßstab nicht richtig eingedreht hast, und damit wäre es deine Schuld, daß das Öl ausgelaufen ist.«