«Wir haben deutsche Wörterbücher unten und alles, was es überhaupt an Wörterbüchern gibt«, sagte John Rupert.
«Meinen Sie, Ihnen fällt noch mehr ein, wenn Sie, ehm… schmökern?«
«Ich weiß es nicht«, zweifelte ich.
«Wir können es versuchen.«
«Aber erst mal«, sagte Geist,»erzählen Sie uns bitte von den anderen beiden Tradern in Florida, Robin Darcys Kollegen.«
«Die sind auf den Cayman-Inseln, nicht in Florida«, erklärte ich und beschrieb Michael und Amy Ford.»Möglicherweise sind sie aus Idealismus oder aus politischen Motiven dabei… ich weiß es nicht, aber sie können auch die Firma mitgegründet haben. Jedenfalls dürften sie die Reichsten von der Bande sein.«
«Wie kommen Sie darauf?«wollte Geist wissen.
«Ich war bei ihnen zu Gast… und Amys Flugzeug, die Maschine, die wir in dem Hurrikan verloren haben, das war ein echtes Juwel. Angeblich hatte Amy es an Darcy verkauft.«
«Was Sie bezweifeln?«fragte John Rupert.
«Ja, schon. Das ist aber nur so ein Eindruck. Niemand schien sich über den Verlust groß aufzuregen. Ich weiß nicht, wie es mit der Versicherung stand. Davon war keine Rede.«
Es wurde still. Dann sagte John Rupert:»War es das?«und wollte aufstehen, aber ich meinte zögernd:»Eins vielleicht noch.«
«Ja?«Unvermindert aufmerksam lehnte er sich zurück.
Ich spielte mit meinen Fingern.»Also… mir fällt einfach auf, daß die Unified Trading Company keinen Chef hat. Da gibt es keine Rangordnung.«
«Sind Sie sicher?«fragte John Rupert zweifelnd.»Bis jetzt hat noch jede Organisation, die mir begegnet ist, eine Hierarchie gehabt.«
«Eben«, nickte ich.»In einer normalen Firma sind die unteren Ränge den oberen unterstellt und erhalten Wei-sung von oben. Bei der Unified Trading Company hingegen handelt jeder nach seiner Fasson und teilt hinterher mit, was er getan hat. Sie handeln, bevor sie es den anderen sagen. Das führt dazu, daß sie manches doppelt moppeln und anderes dafür ganz vergessen, und das gibt ein Kuddelmuddel.«
John Rupert und Geist sahen immer skeptischer drein.
«Wenn Sie beide es seit langem gewohnt wären zu bestimmen«, sagte ich,»wer von Ihnen würde dann die Entscheidungen treffen?«
Prompt antworteten sie wie aus einem Mund:»Ich.«
«Wer?«fragte ich.»Wer von Ihnen würde befehlen?«
«Ich«, antworteten sie wieder einstimmig, wenn auch langsamer, und machten dann nachdenkliche Gesichter.
«Die bis jetzt bekannten Trader«, hielt ich fest,»haben alle eine eigene Firma betrieben und waren ihr eigener Chef. Michael Ford war Eigentümer und Betreiber einer Kette erfolgreicher Fitneßcenter. Seine Frau Amy hat ein Vermögen mit Videotheken verdient. Robin Darcy baut Rasen an, das ist in Florida, als ob man Gold pflanzt. Auch Caspar Harvey ist Farmer, aber daneben macht er Millionen mit Vogelfutter. George Loricroft und Oliver Quigley haben Rennställe und verstehen es, ihre Arbeitskräfte zu führen, nur deshalb sind sie erfolgreich. Alle sechs sind es gewohnt, Entscheidungen zu treffen, und nicht, daß ihnen jemand sagt, was zu tun ist. Sie lassen sich das auch gar nicht sagen, lieber tut jeder für sich, was er für richtig hält. Und aufs Ganze gesehen geht das schief.«
«Eine interessante Theorie«, meinte Geist.
«Zum Beispiel«, sagte ich,»nahm Robin Darcy an, Kris käme problemlos an den Hefter heran, den er in einem Schreibtisch verwahrt hatte, aber jemand anders hatte ohne sein Wissen den Schreibtisch entfernt und einen Tresor aufgestellt, der sich mit Darcys privatem Kennwort öffnen ließ. Wie gesagt, es kommt zu Mißverständnissen, und deshalb konnte Kris den Hefter nicht finden.«
Ich fühlte mich plötzlich ausgepumpt, und meine geschundenen Rippen machten sich bemerkbar. Im Geiste schon draußen, sagte ich:»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? Wenn nicht…«
Sie schüttelten unschlüssig die Köpfe.»Höchstens die Wörterbücher«, aber nach einem kursorischen Blättern in fremden Wortschätzen, bei dem ich nichts mit Bestimmtheit wiedererkannte, raffte ich mich endlich auf zu gehen und traf mich mit Jett in ihrem knallroten Mantel zum Lunch.
«Du bist krank«, sagte sie, während wir unseren Eiersalat mit Curry aßen, und ich hatte nicht die Energie, es abzustreiten.
«An deiner Stelle würde ich krankfeiern.«
«Es sind doch nur die Rippen. Morgen geht’s schon wieder.«
«Dann fahr ich dich aber morgen früh nach Newmarket.«
Ich hatte ihr gesagt, daß ich nach Newmarket wollte, um mir anzusehen, wie George Loricrofts Pferde eingesprungen wurden. Sie hatte ohnehin mitkommen wollen, und obwohl ich es unvorsichtig fand, nahm ich ihr Angebot dankend an.
Irgendwie überstand ich den Tag im Büro, aber als Jett am anderen Morgen um halb sieben vor meiner Tür stand, meinte sie, ich sei überhaupt nicht reisefähig und müsse zum Arzt gehen.
Wir hatten vereinbart, mit ihrem Auto zu fahren, da sie sich nicht so gern ans Steuer meiner kleinen Schachtel setzen wollte. Sie sagte, sie kenne einen guten Arzt, und ich sagte, nein, wir fahren nach Newmarket, und zum vielleicht letzten Mal ließ Miss van Els mir meinen Willen.
Bei George Loricroft zu Hause begrüßte mich Bell mit einem Kuß und blickte an mir vorbei, um zu sehen, wie Jett diese Zärtlichkeit aufnahm. Nichts da. Jett war cool.
Glenda schlang voll Überschwang die Arme um mich, so daß ihr Mund an meinem Ohr zu liegen kam.
«Sagen Sie George nichts…«, es war kaum mehr als ein Flüstern. Lauter schob sie nach:»Wundervoll, daß Sie gekommen sind, mein Lieber. «Und George selbst, dem ich so schnuppe war wie nur was, lebte richtig auf, als ihm Jett vorgestellt wurde. Ein ganz schön sexbewußter Begrüßungsreigen, dachte ich, und mir war so flau, daß ich beim Frühstück keinen Bissen hinunterbrachte.
Glenda und Bell feierten noch einmal die glückliche Landung von Kris am Samstag, und George, der ungeduldig auf die Uhr sah, meinte mürrisch, seiner Ansicht nach habe Kris vor lauter Eifer, noch im Hellen von Doncaster wegzukommen, den Ölmeßstab am Boden liegengelassen und die Motorhaube geschlossen, ohne ihn wieder einzudrehen.
«Alles schon vorgekommen«, sagte er.»Auf, Mädchen, es wird Zeit. «Und er stiefelte hinaus zu seinen Pferden, ohne sich noch einmal umzuschauen.
George schien mir in seiner ganzen Schroffheit von seiner Frau weit weg zu sein, und sie hatte ihm hin und wieder Blicke zugeworfen, in denen sich Angst mit Bosheit mischte. Beide bemühten sich nicht einmal mehr, Zuneigung vorzutäuschen, so peinlich das für andere auch sein mochte.
Als ihr Mann einen Augenblick außer Sicht war, gab ich Glenda die Liste der Austragungsorte zurück, wo er den kalten Fakten zum Trotz gewesen sein wollte, und ich sah, wie sich ihre Wangen röteten — nicht nur, weil sie recht bekommen hatte, sondern, wie mir schien, auch vor Enttäuschung und Ernüchterung darüber, ihren Verdacht bestätigt zu sehen.
Bell legte einen Arm um Glendas absinkende Schultern und ging mit ihr ins Haus, kam allein wieder, bestieg im Stallhof ein Pferd, während Jett und ich uns in Georges Jeep setzten, um uns zu dem versprochenen Sprungtraining führen zu lassen. Ich war froh, daß Jett ehrlich interessiert zu sein schien und daß Bell, obwohl sie selbst einen hektischen Hitzkopf über drei klapprige Hürden bringen mußte, sich die Zeit nahm, mir und der belgischen Florence Nightingale alias Jett van Els, die einen graubraungrünen Hosenanzug zu dem weißen Pullover trug, vorweg den Trainingsablauf zu erklären. Jett und ich gingen von dem Jeep zu einem Beobachtungspunkt an den Hürden, um die Arbeit, die da mit vollem Einsatz geleistet wurde, hautnah mitzuerleben.
Nach dem Einspringen, noch ganz außer Atem von der Geschwindigkeit, kam Bell mit ihrem Pferd zu uns getrabt, sprang herunter und meinte überraschend, mit einem Lächeln:»Wir kennen uns zwar noch nicht lange, Perry, aber ich weiß, wann ich’s mit einem klugen Kopf zu tun habe, und du und deine Jett van Els, ihr habt ganz schön was auf der Pfanne.«