Sie begann ihr Pferd ein paar Meter entfernt im Kreis zu führen, damit es sich abkühlte, und ich versuchte mit ihr Schritt zu halten und dabei zu reden.
«Wie Robin Darcy?«tippte ich an.
Zehn Sekunden lang durchforstete sie stumm ihr Gedächtnis, dann war ihr die Lunchparty ihres Vaters wieder präsent.»Ich sagte dir, du solltest dich von seinem gemütlichen Äußeren nicht täuschen lassen.«
«Ja.«
«Und ich wollte Kris klarmachen, daß Darcy ein paar Nummern zu groß für ihn ist, aber selbst wenn ich der Erzengel Gabriel gewesen wäre, hätte er an dem Tag nicht auf mich gehört.«
Kris hatte an dem Tag und seit dem Tag vor allem auf Robin gehört.
«Kris und Robin haben sich auch in Doncaster lange unterhalten«, sagte ich.
Bell nickte.»Sie sprachen miteinander, als ich zur Toilette ging. Darcy wollte, daß Kris noch mal bei ihm und Evelyn Urlaub macht und daß er mich mitbringt!«
«Zur Hochzeitsreise?«
«Manchmal glaube ich, aus unserer Hochzeit wird nie was. «Sie schien mir selbst unentschlossen und sagte dann ohne Überleitung:»Nimm mein Pferd am Halfter und bleib hier bei Jett, ich hole euch Georges Jeep. Ehrlich, du siehst ganz schön grau aus.«
Ich konnte mir das zwar nicht erklären, denn die gebrochenen Rippen von Wales hatten mir nur Unbehagen bereitet und keine Übelkeit verursacht, aber ich nahm Bells Angebot an und wartete bei ihrem dampfenden Pferd, freute mich an der Nähe dieses großen urtümlichen Geschöpfes unter dem weiten, kalten, wolkenlosen Himmel von Newmarket.
Sie kam mit dem Jeep, und wir tauschten die Transportmittel; Bell ritt das Pferd, und ich fuhr mit Jett langsam zu Georges Hof zurück und fühlte mich gräßlich.
In der warmen Küche standen sich George und Glenda steif gegenüber und starrten sich so böse an, als wären sie zu allem fähig, und das Hinzukommen Dritter nahm dem Haß kaum etwas von seiner Schärfe.
George, Mitte Vierzig, wirkte immer ausgesprochen resolut, aber in diesem Moment unterstrich die Eleganz der gutgeformten Schultern, des dichten, glattgekämmten dunklen Haars, der schlanken, geschmeidig sich öffnenden und schließenden Finger nur seine offensichtliche Böswilligkeit.
Georges Zorn hätte sich wohl schon in Tätlichkeiten gegenüber seiner Frau entladen, dachte ich, wäre nicht der unsichtbare und undurchdringliche Panzer gewesen, den diese zu tragen schien.
Jett und ich zogen uns still zurück, und gleich versuchte Bell sich mit bedrückter Miene zu entschuldigen:»Es tut mir leid, wirklich…«
«Du kannst nichts dafür«, sagte ich, aber trösten konnte ich sie auch nicht, nicht mit ein paar kurzen Worten.
Wir gingen über den Parkplatz und blieben vor Jetts Wagen stehen. Ich drehte mich zu Loricrofts Villa um und sah nur Wohlstand und Frieden. Seidenpapier über einem Abgrund, dachte ich.
«Bell…«, sagte ich besorgt,»geh weg aus Newmarket und zieh zu Kris nach London.«
Sie schüttelte den Kopf, bevor ich ausgeredet hatte.
«Ich kann nicht weg. Und wozu auch? Kris braucht mich nicht, das hat er mir gesagt.«
Weder Bell noch Jett spürten etwas von der Dringlichkeit, die mir die Eingeweide zusammenzog und mich kribbelig werden ließ. Meine Großmutter hätte dieses starke Unbehagen sicher als böse Vorahnung aufgefaßt, aber ich wußte nicht, ob mein Empfinden auf Vernunft oder Instinkt oder schlicht auf einem flauen Magen beruhte.
Ich sagte so eindringlich, wie ich es hinbekam:»Bell, es ist mir Ernst. Geh aus Newmarket weg. Ich habe ein ungutes Gefühl. eine Vorahnung, könnte man sagen. nenn es, wie du willst, aber geh weg von hier.«
Jett sagte:»Du bist krank.«
«Kann sein… Aber krank hin oder her, Bell, du mußt aus Newmarket weg.«
Zwar verstanden weder Bell noch Jett mein Drängen, doch beide wurden unsicher. Ich konnte Bell unmöglich erklären, daß ihr Vater und ihr Arbeitgeber und Quigley und Robin Darcy sich zusammengetan hatten, um an verschiedene Gruppen und Verbände in verschiedenen gesetzlosen Teilen der Welt Informationen zu liefern, die den Erwerb winziger Mengen hochgradig spaltbaren Materials für den Bau von Atomwaffen ermöglichten. Winzige Mengen, mit Fleiß zusammengetragen, ergaben eine Gefahr, ein Aggregat… eine Bombe.
Diese vier Männer, und zweifellos wußten sie es, machten Geschäfte mit dem Tod.
Einer oder zwei von ihnen waren selbst eine tödliche Gefahr.
Loricroft, der Sucher und Sammler des gewinnversprechenden Materials, der von seiner Überlegenheit so überzeugt war und dem seine Frau dennoch auf die Schliche zu kommen drohte, war sicher näher als alle anderen daran, zu explodieren.
Ich hielt ihn für gefährlich, traute ihm so gut wie irgendeinem seiner kaltblütigen Kunden zu, rücksichtslos zu wüten.
«Wenn Glenda weg möchte«, sagte ich zu Bell,»nimm sie mit.«
Bell schüttelte den Kopf.
«Ich komme in einer Stunde wieder«, sagte ich und bat Jett, mich mit ihrem Wagen ans andere Ende der Stadt zu fahren.
«Ins Krankenhaus?«fragte sie hoffnungsvoll.
«Fast«, sagte ich.
Kapitel 10
Das Krankenhaus, zu dem ich wollte, war eine Pferdeklinik.
Ich hatte vorher angerufen und wurde am Haupteingang des Instituts zur Erforschung von Pferdekrankheiten von einer Frau empfangen, die auf den Namen Zinnia hörte. In allen Sparten der tiermedizinischen Forschung zu Hause, stellte sie sich als Spezialistin für Giftpflanzen und davon verursachte Vergiftungserscheinungen bei Pferden vor.
In ihre Hände war das Leben von Caspar Harveys Stute gelegt worden, und sie sollte herausfinden, was dem Tier überhaupt fehlte.
Zinnia hatte die Fünfzig bereits überschritten, nahm ich an, und trug einen weißen Ärztekittel über einem grauen Flanellrock. Kein Hauch von Lippenstift zu ihrem blumigen Namen; sie hatte kurzes graues Haar, trug Schuhe mit flachen Absätzen und wirkte abgespannt, was aber, wie ich herausfinden sollte, eine persönliche Eigenart war und kein Ausdruck von Schlafmangel.
«Dr. Stuart?«Sie musterte mich unbeeindruckt von Kopf bis Fuß und sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu Jett, die keine Lust gehabt hatte, draußen im Wagen zu warten. Mein Hinweis auf Jetts beruflichen Hintergrund ließ die Augenbrauen wieder sinken, und wir durften der Blume in ein Labor folgen, das mit einer Phalanx von Mikroskopen, Zentrifugen, Meßgeräten und einem Gaschromatographen ausgestattet war. Wir setzten uns auf hochbeinige Laborstühle, und ich fühlte mich immer noch lausig.
«Mr. Harveys Stute«, sagte Zinnia mit gleichmütiger Stimme,»wurde mit Symptomen einer schweren Störung der Darmfunktionen hier eingeliefert. Als ich am späten Sonntagnachmittag hinzugezogen wurde, war sie zusammengebrochen. «Sie schilderte ihre damaligen Überlegungen und Maßnahmen, die — da Pferde von Natur aus über keine Antiperistaltik verfügen, oder einfacher gesagt, sich nicht übergeben können — hauptsächlich darin bestanden, der Stute Abführmittel zu geben und reichlich Wasser anzubieten, das sie zum Glück dann auch trank.
«Ich war mir sicher, sie müsse ein in gehäckselter Form unter ihr Heu gemischtes pflanzliches Gift gefressen haben, denn ganze Halme oder Stengel waren in dem Heunetz, das mit ihr kam, nicht zu finden. Ich nahm an, sie würde sterben, und dann hätte ich natürlich den Mageninhalt untersucht, aber da sie zäh am Leben festhielt, mußte ich mit dem anfallenden Mist vorliebnehmen. Ich hatte den Verdacht, sie könnte Jakobskraut verzehrt haben, das hochgiftig und für Pferde oft tödlich ist. Es greift die Leber an und führt meist zu chronischen Vergiftungen, aber auch akute Vergiftungserscheinungen wie bei Harveys Stute kommen vor.«
Sie schwieg, blickte von meinem zu Jetts Gesicht und sah in beiden bare Unkenntnis.
«Ist Ihnen Senecio jacobaea ein Begriff?«fragte sie.