«Ehm«, sagte ich.»Nein.«
«Besser bekannt als Jakobskraut. «Sie lächelte dünn.»Es gedeiht vorwiegend auf Brachland und gilt nach dem Wildpflanzengesetz von 1959 als schädlich, man muß es also ausreißen, wenn man es sieht.«
Wenn sie gesagt hätte, daß weder Jett noch ich eine Vorstellung davon hatten, wie das Kraut in freier Wildbahn aussah, hätten wir ihr recht geben müssen. Wir fragten, und sie beschrieb es uns.
«Es hat gelbe Blüten und gelappte Blätter…«Sie brach ab.»Jakobskraut enthält zyklische Diester, das sind die giftigsten pyrrolizidinen Alkaloide, und es ruft die bei der Stute beobachteten Symptome hervor, die Störungen der Verdauungsfunktion, die Leibschmerzen und die Ataxie, also Koordinationsstörungen.«
Wir hörten respektvoll zu. Ich fragte mich, ob ich selbst Jakobskraut gegessen hatte.
«Die Blätter können getrocknet werden und bewahren ihren Giftgehalt leider eine Ewigkeit, so daß man sie um so besser zerkleinern und mit anderem Trockenfutter mischen kann wie etwa Heu.«
Jett sagte zu Zinnia:»Sie haben im Mist der Stute also Jakobskraut gefunden?«
Zinnia blickte von ihr zu mir.»Nein«, sagte sie ohne Umstände.»Im Kot der Stute ließ sich kein Jakobskraut nachweisen. Wir haben sie mit verschiedenen Antibiotika behandelt für den Fall, daß eine Infektion vorlag, und sie hat sich nach und nach erholt. Dann haben wir sie im Auftrag des Besitzers, Caspar Harvey, zu George Loricroft geschickt. Bei Oliver Quigley, wo die Stute vorher trainiert worden war, haben wir das gesamte Personal befragt, zuallererst natürlich den Futtermeister, aber es wurde entschieden bestritten, daß irgend jemand sich am Heunetz der Stute zu schaffen gemacht haben könnte. Kein anderes Pferd dort hat Symptome wie die Stute gezeigt, verstehen Sie?«
«Was fehlte ihr denn nun?«fragte Jett.»Haben Sie das herausbekommen?«
«Es gibt wohl andere Theorien«, sagte sie in einem Ton, als seien Theorien, die irgend jemand anderes vorbrachte, per se schon falsch.»Aber die Stute ist ja nicht mehr hier. Falls Sie das Blut auf Antikörper untersuchen lassen möchten, Dr. Stuart, dazu haben wir Caspar Harvey bereits geraten, doch bisher lehnt er das ab.«
Zinnia spielte auf ihre penible Art hier darauf an, daß einmal von einem Organismus zum Schutz gegen bestimmte Erreger oder Fremdstoffe gebildete Antikörper bei Pferden wie bei Menschen die Tendenz hatten, auf Dauer im Blut zu bleiben. Im Blut nachgewiesene Antikörper gegen bestimmte Krankheitserreger bewiesen also, daß der Organismus von dieser Krankheit befallen gewesen war.
«Um Antikörper geht’s mir nicht«, sagte ich,»aber… haben Sie noch etwas von dem Mist? Ist davon noch was hier im Labor?«
Zinnia sagte steif:»Ich kann Ihnen versichern, daß wir den Kot auf alle erdenklichen Erreger und Toxine untersucht haben, Dr. Stuart, und wir haben nichts gefunden.«
Schweiß stand mir auf der Stirn. Viel schlechter konnte es der Stute auch nicht gegangen sein. Noch nie hatte ich gehört, daß ein Rippenbruch jemandem so auf den Magen geschlagen war.
Zinnia sah mich verwundert an und gab widerwillig zu, daß das Institut tatsächlich etwas von der fraglichen Substanz zurückbehalten habe, da das Rätsel um die Erkrankung der Stute noch nicht gelöst sei.
«Vielleicht besinnt sich Caspar Harvey ja noch«, sagte Zinnia.
Ich hielt es für äußerst unwahrscheinlich, daß Caspar Harvey Licht in das Leiden der Stute gebracht haben wollte, aber ohne Rücksicht auf seine Gefühle sagte ich zu Zinnia:
«Ist das Institut zur Erforschung von Pferdekrankheiten zufällig auch mit einem Geigerzähler ausgestattet?«
«Einem Geiger…«Das Wort blieb Zinnia im Hals stecken.
«Ich habe gehört«, sagte ich ohne Nachdruck,»daß hier jemand glaubt, die Stute sei strahlenkrank.«
«Ach was!«Zinnia schüttelte entschieden den Kopf.
«Dann wäre sie dahingesiecht und eingegangen, aber nach der antibiotischen Behandlung hat sie sich doch innerhalb von wenigen Tagen erholt. Die Strahlentheorie hat eine unserer Forscherinnen hier wohl hauptsächlich deshalb vertreten, weil der Stute die Haare ausgegangen sind. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen, wir haben auch einen Geigerzähler irgendwo, nur war bei der Stute kein erhöhter Wert festzustellen, als sie uns verlassen hat.«
Stille trat ein. Mir lag nichts daran, sie zu verärgern oder ihr zu widersprechen, und nach einer Weile schwang sie sich zu einem halbwegs freundlichen Lächeln auf und sagte, sie werde die betreffende Kollegin holen gehen. Innerhalb von fünf Minuten kam sie mit einer anderen weiß be-kittelten Frau zurück, deren Wissen über Radioaktivität eine Auffrischung hätte vertragen können.
Ihr Name sei Vera, sagte sie; sie war ernst, kompetent und bei schweren Fällen von Kolik ein As mit dem Skalpell.
«Ich bin Tierchirurgin, keine Physikerin«, erklärte sie,»aber da Zinnia keine Spuren von Gift fand — und glauben Sie mir, wo sie nichts findet, findet keiner was —, habe ich andere Möglichkeiten in Betracht gezogen und die Strahlenkrankheit aufs Tapet gebracht — worauf natürlich gleich die Angst umging, aber wir haben einen Strahlenexperten herangezogen, und der hat Tests gemacht und uns beruhigt, die Stute sei weder strahlenkrank noch mit etwas Ansteckendem infiziert. Ich wünschte, ich wüßte noch, was er alles gesagt hat.«»Dr. Stuart ist Physiker«, ließ Zinnia elegant einfließen.
«Er sagt im Fernsehen das Wetter an«, widersprach die Kollegin glatt und unbeeindruckt.
«Stimmt beides«, versicherte ihr Jett,»und Dozent ist er auch.«
Ich sah sie überrascht an.
«Das hat mir deine Großmutter erzählt«, lächelte sie.
«Sie sagte, du hältst Vorträge über Physik im allgemeinen und Strahlung im besonderen. Hauptsächlich für junge Leute, Teenager und so.«
Vera, der zweite Weißkittel, zeigte nichts von Zinnias gleichbleibender Müdigkeit, ganz im Gegenteil. Auf einmal sah sie mich als anderen Menschen.
«Wenn Sie mir eine Kostprobe Ihrer Vortragskunst geben, leih ich Ihnen meine Unterlagen über den Stutenmist.«
«Das darf doch nicht wahr sein«, rügte Zinnia.»Das kommt überhaupt nicht in Frage.«
Ihre Freundin nickte unerschrocken.
«Versprochen?«sagte ich.
«Klar.«
Ich dachte, es würde mich vielleicht von meinem Magengrimmen ablenken, und griff auf einen Vortrag zurück, den ich so oft gehalten hatte, daß ich ihn auswendig konnte.
«Da hätte ich was über Uran«, sagte ich.»Und zwar aus einem Vortrag, den ich normalerweise vor Sechzehn- bis Siebzehnjährigen halte.«
Der zweite Weißkittel war einverstanden.»Gut. Fangen Sie an.«
Im Gesprächston entsprach ich ihrer Bitte.
«Ein einziges Gramm Uranerz enthält mehr als zwei Trilliarden Atome; das ist eine Zwei mit einundzwanzig Nullen dahinter. Unvorstellbar viel. Natürliches Uran ist im Vergleich zu einigen wirklich gefährlichen anderen Stoffen gar nicht mal besonders radioaktiv, aber schon ein, zwei Gramm, es braucht noch kein halber Teelöffel voll zu sein, geben pro Sekunde etwa dreißigtausend Alphastrahlen ab und hören noch in Millionen Jahren nicht damit auf. Wenn man ein paar Tage lang eine Dosis von dreißigtausend Alphastrahlen pro Sekunde abbekäme, würde man sich definitiv krank fühlen, aber ich denke, man würde sich definitiv wieder davon erholen.«
Ich brach ab. Ich fühlte mich definitiv krank, aber soweit ich wußte, war ich nicht mit Uran in Berührung gekommen. Jett sah mich erschrocken an, und Vera, die meinen Teil des Handels offenbar als erfüllt betrachtete, verschwand kurz und kam mit einem lederbraunen Hefter wieder, der mir haargenau so aussah wie derjenige, der bei den Unified Tradern für Aufregung gesorgt hatte.
Sein Inhalt bestand jedoch nicht aus zwanzig brieflichen Kauf- oder Verkaufsangeboten für eine angereicherte Form des Erzes, von dem ich gerade gesprochen hatte, sondern aus einem wissenschaftlichen Gutachten inklusive Diagramm über die radioaktiven Ausscheidungen einer zweijährigen Stute während ihrer mehrtägigen Rekonvaleszenz.