Der Mann vom Kurierdienst war aufgebracht und in seinem Zorn manchmal kaum zu verstehen. Ich bat ihn, sich zu beruhigen und noch einmal der Reihe nach zu erzählen.
Na gut, sagte der Mann von Zipalong Couriers. Ja, sie seien beauftragt worden, das von mir beschriebene Päckchen abzuholen und zu überbringen, und ihr Bote habe leider einen beträchtlichen Aufpreis für seine lange Wartezeit verlangen müssen. Mr. Ironside habe ihn aber voll entschädigt. Ja, der Bote sei nach Newmarket zu Mr. Quigleys Adresse gefahren, und jawohl, ein Mr. Quigley habe die Sendung angenommen und den Empfang quittiert, und sie könnten nichts dafür, daß Mr. Quigley jetzt behaupte, der Zipalong-Bote sei nicht vorbeigekommen und er, Quigley, sei zum Zeitpunkt der Zustellung beim Pferderennen in Cheltenham gewesen.
«Um welche Zeit war das?«fragte ich.
«Mittags.«
Bis dem Mann einfiel, mich zu fragen, warum ich das alles wissen wollte, hatte ich genug über die Standesregeln der Kuriere erfahren, um Geist einen Selbstlernkurs in die Feder zu diktieren.
Ich verabschiedete mich mit tausend Dank von Zipalong und rief die Handynummer von Oliver Quigley an, dem feinnervigen Trainer, dessen zapplig-zittriges Alltags-Ich jetzt ganz wiederhergestellt schien.
Als ich mit ihm Verbindung bekam, war er wieder auf der Rennbahn von Cheltenham, draußen vor der Golden Miller Bar. Er legte eine stammlige Begrüßung hin, die außer acht ließ, daß ich ihn in Doncaster ohne Maske erlebt hatte.
«Eigentlich«, sagte ich,»wollte ich Sie mal fragen, was mit Zipalong Couriers passiert ist.«
Die stottrige Antwort entbehrte nicht der gröbsten Rennstallflüche, lief im wesentlichen aber darauf hinaus, daß Oliver Quigley am gestrigen Freitag gegen Mittag, als er angeblich in Newmarket den Empfang einer Kuriersendung quittierte, auf der Rennbahn in Cheltenham ein Pferd für das Hürdenrennen der Dreijährigen gesattelt hatte. Und zwar ohne Erfolg, da das betreffende Pferd nur eine Gangart kannte — die langsame — und auch dann nicht gesiegt hätte, wenn Perry Stuart da gewesen wäre, wo er hingehörte, nämlich vor den Kameras im Wetterstudio, anstatt wegen ein paar blauer Flecke das Krankenhaus zu bemühen.
Als ich zum dritten Mal» Mr. Quigley?«einwarf, bremste er sich und sagte:»Was — was?«Wenn er in Cheltenham war, fragte ich, wer hatte dann Glendas Päckchen quittiert?
Mißgestimmt, wie er war, fand Oliver, das gehe mich nichts an. Er könne auch gern weiterhin Tips über die Bodenbeschaffenheit von mir bekommen, murmelte ich. Na ja, dann… Oliver Quigley nahm an, der Bote sei, als er schon wieder niemanden antraf, so (Zitat) stinkig gewesen, daß er selbst als Quigley unterschrieben, das Päckchen wieder mitgenommen und es in den nächsten Graben geworfen habe.
«Meinen Sie wirklich?«fragte ich.
«Und ob ich das meine«, das Handy klapperte gegen Olivers Zähne,»die haben das Päckchen nicht zugestellt, und ich zerre sie vor den Kadi, bis ich’s wiederhabe.«
«Viel Glück«, sagte ich.
«Der verdammten Glenda könnte ich den Hals umdrehen«, sagte er.»Wäre sie nicht schon tot, würde ich sie umbringen. Wenn Zipalong mein Päckchen nicht bald findet, lohnt sich der Prozeß nicht mehr… aber ich verklage sie trotzdem. Dieser Dieb von einem Motorradkurier gehört aus dem Verkehr gezogen.«
Während ich mir sein endloses Gemecker anhörte, war ich froh, gut hundert Meilen westlich von der Rennbahn Cheltenham zu sein.
Nach dem Gespräch mit Oliver ließ ich mir ein, zwei Stunden Zeit, während mit sanftem Klicken wie bei einem Geldautomaten die Rädchen in meinem Kopf einrasteten, und dann erst führte ich weitere zwei Telefongespräche, eins mit dem Bedford Hotel in Newmarket und eins mit dem Wetteramt in Bracknell.
John Rupert und Geist hatten recht gehabt. Die Ermordung eines der Trader trieb die anderen auseinander.
Da John Rupert mir» für alle Fälle «seine Handynummer gegeben hatte, rief ich ihn mitten in einer Golfpartie an, die er ohne zu murren unterbrach.
«Es geht Ihnen hoffentlich nicht schlechter«, sagte er.
«Nein, im Gegenteil. Darf ich Sie etwas fragen?«
«Jederzeit.«
«Gut, wie ernst ist es Ihnen mit dem Buch über Sturmwinde?«
«Oh!«Jetzt hatte ich ihn wirklich überrascht.»Wieso?«sagte er vorsichtig.
«Weil ich einen Vertrag brauche«, antwortete ich frei heraus.»Eigentlich keinen Vertrag, sondern einen Vorschuß.«
«Einen Vorschuß. für etwas Bestimmtes? Ich meine, ist es eilig? Wir haben Samstag nachmittag.«
«Ich glaube, ich kann Ihnen noch einen Trader liefern, aber dafür brauche ich ein Ticket nach Miami.«
Er benötigte ganze zehn Sekunden, um sich zu entscheiden.
«Bis morgen?«sagte er.
Am Sonntag (»morgen«) gegen Mittag betrachtete Ravi Chand meinen zurückgehenden Ausschlag durch ein Vergrößerungsglas, mit heller Lampe und enttäuschter Miene.
«Was ist los?«fragte ich besorgt.
«Aus Ihrer Sicht gar nichts. Aber mir läuft mein Versuchstier davon, obwohl meine Untersuchungen erst zur Hälfte abgeschlossen sind. «Er seufzte.»Jett hat versprochen, daß sie einmal die Woche zur Weiterbehandlung mit Ihnen vorbeikommt. Ich werde publizieren, sobald ich kann.«
«Was ist denn mit den Eigentümern der Herde, bei der ich mich angesteckt habe?«fragte ich schüchtern.»Gehört mein Ausschlag nicht denen?«
«Wer immer die Eigentümer sind, sie benutzen die Herde als lebendes Labor, völlig isoliert von äußeren Einflüssen. Ideal. Sie könnten Millionen mit neuen Pasteurisierungsmethoden verdienen.«
«Wie das?«fragte ich.
«Nach den bestehenden Gesetzen ist Kuhmilch zu pasteurisieren, indem man sie mindestens fünfzehn Sekunden lang auf 71,7 Grad Celsius oder 161 Grad Fahrenheit erhitzt. Mit einem Patent für ein neues Verfahren, das eine geringere Temperatur oder Erhitzungsdauer erfordert, also Energie spart, ließen sich Millionen machen. Darauf sind die aus. Sie haben kein Interesse an einer neuen, für Menschen ansteckenden Krankheit und machen keine Experimente damit. Sonst hätte ein Krankheitsbild wie das Ihre die größte Aufmerksamkeit erregen müssen. Aber der Krankheitsverlauf hat niemanden interessiert. Kurze Inkubationszeit, plötzlicher Ausbruch, schnelle Genesung, das ist schlüssig. Die Krankheit ist neu. Anders. Sie sind ein Fall für sich. Übrigens habe ich Ihre Krankheit uns beiden zu Ehren Mycobacterium paratuberculosis Chand-Stuart X genannt.«
Er drückte mir herzlich die Hand.»Ich kann Sie nicht zu meinen Notizen in den Safe sperren, aber bitte, bitte, lieber Doktor Stuart, lieber Perry, bleiben Sie am Leben, bis ich mein Buch herausbringe.«
Jett holte mich mit ihrem Wagen ab, und Ravi Chand in seinem weißen Kittel stand an der Tür und winkte uns traurig zum Abschied auf Zeit. Bis jetzt war ich nur von Mittwoch bis Sonntag in seiner Obhut gewesen, aber die schnelle (Gott sei Dank heilbare) Chand-Stuart-Infektion harrte bereits in vielen Petrischalen in seinem Labor der weltweiten Anerkennung.
Jett fuhr mich zur Wohnung meiner Großmutter, wo sie vom nächsten Tag an wieder Dienst hatte. Sie schien sich darauf zu freuen, aber für mich bedeutete das das Ende der nun eine Woche lang erlebten Nähe. Jett war mir eindeutig tief unter die wenig anziehende Haut gegangen.
Meine Großmutter, die sich darüber entsetzte, wie dünn ich geworden war, erfreute sich der Gesellschaft von John Rupert, der meinetwegen noch eine Golfpartie verschoben hatte und dabei war, Unwetteranbahnungsverträge im ganzen Zimmer zu verteilen.
Als alles unterschrieben war, gab er meiner Großmutter die Hand und mir einen auf den Namen einer Kreditkartengesellschaft ausgestellten Riesenscheck für entstehende Unkosten.
«Gültig ab sofort, und es kommt noch mehr«, versprach er,»sobald Geist sich an die erste Seite setzt.«