Robin Darcy erstarrte.
Michael Ford ließ seine furchterregenden Muskeln spielen.
Evelyn kam mit dem uniformierten Bodyguard, Fahrer, Läufer und Springer herein. Niemand stellte ihn mir vor, aber die anderen nannten ihn Arnold. Er trug nicht mehr die Baseballmütze und benahm sich kein bißchen wie ein Bediensteter, und ich hätte ihn kaum erkannt, wenn ich ihm nicht dabei zugesehen hätte, wie er in knapp zwei Stunden ein Päckchen Zigaretten verqualmte.
Arnold hatte ein schwarzes Hemd an und trug seine Pistole in einem Schulterholster mit schweren Gurten unter der linken Achsel.
Als Kind einer Kultur mit strengen Waffengesetzen hatte ich nie einen Schuß abgefeuert und das auch noch nie bedauert, aber bei den Darcys fühlte ich mich nackt. Wer hier mit bloßen Händen kämpfte, war auf dem besten Weg zur Leichenhalle.
Evelyn hatte ihrer Pistole sicher wieder das Magazin eingesetzt. Von ihr zu erwarten, daß sie die wachsende Spannung im Raum dämpfte, war zwecklos, mit ihrer lauten Drohstimme schürte sie eher noch das Feuer.
Nur Robin Darcy, im Augenblick unbewaffnet, war sichtlich um Verständigung bemüht.
Michael Fords zu Anfang gezeigte Aggressivität verstärkte sich wie in Eigendynamik. Immer wieder spannte er die Muskeln an, bis es aussah, als hätte er sie sich nur zugelegt, um besser explodieren zu können. Das anschauliche Wort >Streitlust< flackerte mir durch den friedliebenden Sinn, und unwillkürlich suchte ich nach einer Körpersprache, die ihm die Lust nehmen würde.
Der Perry Stuart des großmütterlichen Umhangs hielt jedoch nicht viel von Demutsgesten. Was immer Michael an ungewolltem Trotz in meinem Gesicht sah, es brachte ihn nur noch mehr in Fahrt.
Amy, für die ihr Mann ein ebenso offenes Buch war wie der Rennkalender, setzte ihr Geld offensichtlich auf den Champion. Nicht nur darauf, daß er siegte, sondern daß er mir jeden Gedanken an eine etwaige Revanche austrieb. Sie lächelte. Sie mag es, wenn er sich schlägt, dachte ich. Es erregt sie. Im Kolosseum hätte sie nach Blut geschrien.
«Los, Michael«, drängte sie ihn,»er soll dir sagen, was er wirklich mit den deutschen Bestellungen gemacht hat. Laß dir nichts von ihm erzählen. Gib’s ihm, Michael!«
Außer Robin Darcy zeigte sich keiner von ihnen gewillt oder auch nur in der Lage, anders als mit vorgehaltener Pistole über die deutschen Briefe oder sonst etwas mit mir zu reden. Sie übertrafen einander mit finsteren Drohungen (Alligatoren wurden nicht genannt), bis Michael, bestärkt und angestachelt durch den Lärm und das Geschrei der anderen, seiner inneren Gesetzlosigkeit freien Lauf ließ, die einer Lawine gleich erst langsam, dann immer schneller ins Rollen kam, bis sie durch nichts mehr aufzuhalten war.
Auf Michael Ford übertragen hieß das: massiver Angriff mit geballten Fäusten und Emporheben des Opfers in die Luft, um es unter den anfeuernden Rufen der Gemahlin gegen die ungepolsterte Einrichtung zu schleudern.
Evelyn und Arnold klatschten Beifall.
Nur mein Gastgeber war still.
Meine Bemühungen, Michaels Attacke abzuwehren, indem ich trat, auswich oder zuschlug, wo ich konnte, und seinen Kopf gegen die Wand zu knallen versuchte, reichten nicht aus. Selbst in Bestform hätte ich gegen einen Profi wie ihn keine Chance gehabt.
Er ließ sich Zeit. Er bewies Übersicht. Jeder seiner Schläge saß.
Als ich ihm dann gerade einmal entwischt war und er einen Moment verschnaufte, warf ich mich auf Evelyns besten Teppich und riß Darcy die Füße unterm Körper weg. Ich zog ihn an den Haaren zu mir herüber, brachte meinen Mund an sein Ohr und flüsterte ebenso eindringlich wie deutlich in nicht geringer Verzweiflung:»Machen Sie die Terrassentür auf und gehen Sie schlafen.«
Ich sah noch seine verblüfft aufgerissenen Augen, bevor Michael seine Verschnaufpause beendete und heranstürmte, um unter dem zunehmend hirnlosen Drängen seiner Anhänger erneut die zerstörende Kraft seiner Muskeln vorzuführen, und mir schien, daß er deshalb so in die vollen ging, weil er im grauen Alltag nur selten dazu kam.
Die Niederlage aus Erschöpfung war zum Greifen nah, und ich lag buchstäblich und bildlich auf den Knien, als Darcy die schwere gläserne Schiebetür zur Terrasse erreichte. Ich selbst hätte die Tür inzwischen kaum noch aufbekommen, aber als ich sah, wie Robin Darcy die große Glasscheibe mit einem Ruck zur Seite schob, als ich das Grummeln der Gleitrollen und dann den Wellenschlag draußen vom Strand hörte und das Salzwasser roch, als sich mir eine Möglichkeit auftat, den Prügeln lebend zu entkommen, machte ich jede Energiereserve locker, die mir die Mycobakterien gelassen hatten, und ich wälzte mich von Michaels stampfenden Füßen weg, kroch einen Meter wie ein Säugling, spannte jede geschwächte Sehne zum Verzweiflungsakt. und ich war zur Glastür hinaus und halb über die Terrasse, bevor sie brüllend hinter mir herjagten.
Ich torkelte wie besoffen die Steintreppe von der Terrasse zum Pool hinunter und platschte ungeschickt ins Wasser, statt hineinzutauchen, entsetzt darüber, daß ich mich vor Schwäche selbst in meinem liebsten Element nicht einmal halb so schnell wie sonst bewegen konnte.
Wenn ich gehofft hatte, der einseitige Kampf wäre damit zu Ende, so hatte ich mich geirrt. Michael Ford verlegte sich nur auf eine andere Technik. Statt mir in voller Montur ins Wasser zu folgen, nahm er Amy seine Knarre wieder ab und schoß auf mich, so daß die Kugeln viel zu nah und sengend heiß an mir vorbeispritzten. Die Vorstellung vom bekannten Meteorologen, der tot in einem privaten Swimmingpool schwamm, noch dazu gespickt mit Kugeln aus einer registrierten Schußwaffe, schien Michael nichts auszumachen — und seine Anhänger wollten offensichtlich nicht kapieren, daß ihnen Gefängnis drohte, wenn er zum Erfolg kam.
Ich versuchte nicht mehr, mich aus seiner Schußlinie zu halten, indem ich schnell im Kreis schwamm. Ich konnte keine Brechungswinkel mehr berechnen. Ich hielt einfach lappenschlaff den Handlauf am Beckeninnenrand gepackt und drückte mich in den viel zu kleinen Schatten des gekachelten Überhangs, während Michael unvermindert blutrünstig seinen Kriegstanz fortführte und als er sah, daß er schlecht postiert war, ums Becken wetzte, um mich von der anderen Seite zu erwischen.
Das Wasser bremste die Geschwindigkeit der Kugeln, aber nicht genug. Die optische Brechung funktioniert als Schutzschild um so besser, je tiefer das Ziel unter Wasser ist, denn um so falscher ist das Bild, das die gebrochenen Lichtstrahlen abgeben. Schießt man dahin, wo das Ziel zu sein scheint, verfehlt man es. Tiefes Wasser… ich schnappte nach Luft und tauchte, und die Schüsse gingen vorbei — wie bei Odin wurde meinen Lungen mal wieder zugesetzt.
Diesmal schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis sich das Flutlicht über die Terrasse und den Pool ergoß, bis mit Sirenen und Lautsprechern, mit Gebrüll und gezückten Kanonen der Schwarm marineblauer Uniformen durch das Gebüsch brach. Irgendwie kannte ich es schon, daß ich mit vorgehaltener Pistole barsch aufgefordert wurde, aus dem Wasser zu kommen und mich hinzuknien, daß eine schwere Hand im Nacken mich nach unten drückte, daß man mir unverständliches Zeug ins Ohr brüllte und mir mit Handschellen die Hände auf den Rücken band.
Es waren nicht die gleichen Polizisten wie beim letzten Mal. Diese hier hatten höchstens noch mehr Angst und waren um so ruppiger. Da ich sie praktisch herbeigerufen hatte, um meine Haut zu retten, konnte ich mich nicht beschweren.
Auf der anderen Seite des Pools versuchte Michael, gleichfalls in die Knie gezwungen, sich herauszureden.»Ein kleiner Jux, Officer, bloß ein Spiel«, und er behauptete, mit dem Polizeihauptmann und sogar mit dem Chef der Polizei befreundet zu sein.
Arnold hatte ebensowenig Verständnis wie Evelyn und Amy für die Art, wie sie hier behandelt wurden. Es war empörend. Das ganze Überfallkommando konnte sich auf seine Degradierung gefaßt machen.