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»Meine Interessen«, sagte Vittoria, »sind ein gutes Stück profaner als die Vereinigung von Wissenschaft und Religion.«

»Die Umwelt«, sagte Kohler. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

»Unbeschränkte Energie. Kein Tagebau mehr. Keine Umweltverschmutzung. Keine Strahlung.

Antimaterietechnologie könnte den Planeten retten.«

»Oder ihn zerstören«, sagte Kohler scharf. »Es kommt immer darauf an, was man daraus macht.« Vittoria spürte die Kälte, die von der verkrüppelten Gestalt ausging. »Wer sonst weiß noch davon?«, fragte Kohler.

»Niemand!«, erwiderte Vittoria. »Das habe ich Ihnen doch schon gesagt!«

»Und was glauben Sie, warum Ihr Vater umgebracht wurde?«

Vittorias Gesicht wurde hart. »Das weiß ich nicht! Er hatte Feinde hier bei CERN, das wissen Sie so gut wie ich, aber es kann unmöglich mit der Antimaterie zu tun haben. Wir haben einander geschworen, es noch ein paar Monate für uns zu behalten.«

»Und Sie sind sicher, dass Ihr Vater seinen Schwur eingehalten hat?«

»Mein Vater hat ganz andere Schwüre gehalten als diesen!«, fauchte sie ärgerlich.

»Und Sie haben ebenfalls niemandem davon erzählt?«

»Selbstverständlich nicht!«

Kohler atmete aus. Er wählte seine nächsten Worte mit Bedacht. »Angenommen, jemand hat es herausgefunden. Und weiter angenommen, irgendjemand hat sich Zutritt zu diesem Labor verschafft. Was glauben Sie, wonach er gesucht haben könnte? Hat Ihr Vater hier unten Notizen aufbewahrt? Hat er sein Verfahren dokumentiert?«

»Herr Direktor, bis jetzt war ich sehr geduldig. Aber ich möchte ein paar Antworten. Sie reden ununterbrochen von einem Einbruch, aber Sie haben den Retina-Scanner gesehen. Mein Vater war äußerst vorsichtig, was Geheimhaltung und Sicherheit angeht.«

»Bitte haben Sie noch einen Augenblick Geduld«, fauchte Kohler so heftig, dass Sie ihn verblüfft ansah. »Was könnte

gestohlen worden sein?«

»Ich weiß es wirklich nicht.« Ärgerlich überflog sie das Labor. Sämtliche Antimaterieproben waren noch vorhanden. Der Arbeitsbereich ihres Vaters sah aus wie immer. »Niemand war hier drin«, erklärte sie schließlich. »Hier oben ist alles in Ordnung.«

Kohler sah überrascht hoch. »Hier oben?«

»Ja, hier oben, im oberen Labor.«

»Sie benutzen auch das untere Labor?«

»Zum Lagern, ja.«

Kohler rollte auf sie zu. Er hustete erneut. »Sie benutzen das HAZMAT-Labor2 zum Lagern? Vittoria, was lagern Sie dort?«

Gefährliche Substanzen, was denn sonst? Vittoria verlor allmählich die Geduld. »Antimaterie.«

Kohler stemmte sich auf den Armlehnen seines Rollstuhls hoch. »Es gibt noch mehr Antimaterie? Warum, zur Hölle, haben Sie nichts davon gesagt?«

»Das habe ich doch gerade«, erwiderte Vittoria. »Außerdem haben Sie mich ja kaum zu Wort kommen lassen!«

»Wir müssen nachsehen, ob die Proben noch da sind«, entschied Kohler. »Auf der Stelle.«

»Die Probe«, verbesserte ihn Vittoria. »Singular. Und sie ist noch da. Niemand könnte.«

»Nur eine einzige? Warum.« Kohler zögerte. »Warum ist sie nicht hier oben?«

»Mein Vater wollte sie unter dem Fels aufbewahren, zur Sicherheit. Sie ist größer als die anderen.«

Der alarmierte Blickwechsel zwischen Kohler und Langdon blieb Vittoria nicht verborgen. Kohler rollte erneut auf sie zu.

»Sie haben eine noch größere Probe als fünfhundert Nanogramm hergestellt?«

»Eine Notwendigkeit«, verteidigte sich Vittoria. »Wir mussten beweisen, dass die Energiebilanz ohne Probleme in den positiven Bereich verschoben werden kann.« Die Frage nach neuen Energiequellen, das wusste sie, war stets verbunden mit der Frage nach dem erforderlichen Aufwand, nach dem Betrag an Geld, der investiert werden musste, um den Treibstoff zu erzeugen. Wenn man eine Bohrinsel errichtete, um ein einziges Barrel Öl zu fördern, war das ein Verlustgeschäft. Wenn jedoch die gleiche Insel mit minimalen zusätzlichen Kosten Millionen Barrels fördern konnte, machte man Gewinn. Für Antimaterie galt das gleiche Prinzip. Die Versorgung von siebenundzwanzig Kilometern Elektromagneten mit Energie, um eine winzige Probe zu sammeln, führte unausweichlich zu einer negativen Energiebilanz. Um die Effizienz und leichte Herstellbarkeit zu beweisen, mussten wesentlich größere Mengen erzeugt werden.

Vittorias Vater hatte zwar anfänglich gezögert, doch Vittoria hatte lange auf ihn eingeredet. Ihr Argument war gewesen, dass sie und ihr Vater zwei Dinge beweisen mussten, damit Antimaterie ernst genommen wurde. Erstens, dass man kosteneffiziente Mengen herstellen konnte, und zweitens, dass es eine Methode gab, um die Proben sicher zu lagern. Am Ende hatte sie gewonnen, und ihr Vater hatte wider seine eigene Überzeugung nachgegeben. Allerdings nicht ohne genaue Absprachen, was die Geheimhaltung und den Zugriff auf das Material anging. Die Antimaterie, darauf hatte Leonardo Vetra bestanden, würde im HAZMAT-Labor gelagert werden, einem kleinen Hohlraum im Granitgestein, weitere fünfundzwanzig Meter tiefer unter der Oberfläche. Die Existenz der Probe würde ihr Geheimnis bleiben. Nur sie beide würden Zugang zum HAZMAT-Labor haben.

»Vittoria?«, beharrte Kohler mit angespannter Stimme. Sie wusste, dass die Menge selbst den großen Maximilian Kohler sprachlos machen würde. Sie stellte sich den Anblick unten im Lagerraum vor. Ein unglaublicher Anblick. In der Falle, sichtbar mit bloßem Auge, tanzte eine winzige Kugel aus Antimaterie. Kein mikroskopisch kleiner Fleck, nein, sondern eine Menge so groß wie eine Schrotkugel.

Vittoria atmete tief durch. »Ein viertel Gramm.«

»Was?« Aus Kohlers Gesicht wich alles Blut, und er erlitt einen weiteren Histenanfall. »Ein viertel Gramm? Das sind. das wären ja fünf Kilotonnen!«

Kilotonnen. Vittoria hasste diesen Ausdruck. Ihr Vater und sie hatten ihn nie benutzt. Eine Kilotonne war das Äquivalent von eintausend Kilogramm TNT, dem stärksten herkömmlichen Sprengstoff, den die Menschheit kannte. »Kilotonnen« war ein Ausdruck aus der Waffentechnik. Zerstörungskraft. Sie und ihr Vater hatten über Elektronenvolt und Joule gesprochen -konstruktive Energien. Nutzbare Energien.

»So viel Antimaterie könnte buchstäblich alles im Umkreis von einem drei Viertel Kilometer auslöschen!«, rief Kohler.

»Ja, wenn man sie auf einen Schlag annihiliert«, schoss Vittoria zurück. »Was niemand jemals tun würde!«

»Es sei denn, jemand weiß es nicht besser. Oder die Energieversorgung fillt aus.« Kohler war bereits auf dem Weg zum Aufzug.

»Deswegen hat mein Vater die Probe ja auch im HAZMAT gelagert und ein ausfalltolerantes, redundantes Sicherheitssystem eingerichtet!«

Kohler wandte sich zu ihr um und fragte hoffnungsvolclass="underline" »Gibt es unten im HAZMAT-Labor zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen?«

»Ja. Einen zweiten Retina-Scanner.«

»Nach unten. Sofort«, war alles, was Kohler erwiderte.

Der Lastaufzug fiel wie ein Stein.

Weitere fünfundzwanzig Meter in die Tiefe.

Vittoria war sicher, dass sie Angst bei den beiden Männern spürte, während der Lift nach unten sackte. Kohlers für gewöhnlich reglose Miene war angespannt. Ich weiß, dachte Vittoria, die Probe ist gigantisch, aber wir haben so starke Sicherheitsvorkehrungen getroffen, dass...

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HAZMAT - hazardous materials = gefährliche Substanzen (Anm. d. Übers.).