»Ich dachte, in den ballistischen Datenbänken wäre nichts darüber erwähnt?«
»Das trifft zu, Herr Oberst. Ich fand die Informationen online.«
Halleluja!, dachte Vittoria.
»Die Substanz scheint höchst explosiv zu sein«, fuhr der
Gardistfort. »Es ist schwer, sich das vorzustellen, aber es heißt, Antimaterie wäre um das Hundertfache zerstörerischer als eine Atombombe.«
Olivettis Haltung zerbrach wie ein in sich zusammenstürzender Berg. Vittorias Triumphgefühl wurde ausgelöscht vom Entsetzen auf dem Gesicht des Camerlengos.
»Haben Sie den Anruf zurückverfolgt?«, stammelte Olivetti.
» Erfolglos, Comandante. Ein Mobiltelefon mit starker Verschlüsselung. Der Anrufer benutzt mehrere Satellitenverbindungen gleichzeitig, daher können wir ihn nicht triangulieten. Die IF-Signatur lässt vermuten, dass er sich irgendwo in Rom aufhält, doch es gibt keine Möglichkeit, ihn direkt zu orten.«
»Hat er Forderungen gestellt?«, fragte Olivetti kleinlaut.
»Nein. Er hat uns lediglich gewarnt, dass im Innern des Komplexes Antimaterie versteckt ist. Er schien überrascht, dass ich nichts darüber wusste. Er fragte mich, ob ich sie denn noch nicht gesehen hätte. Sie hatten mich nach Antimaterie gefragt, Herr Oberst, deswegen dachte ich, dass ich Sie informiere.«
»Sie haben richtig gehandelt«, sagte Olivetti. »Ich bin in einer Minute bei Ihnen. Informieren Sie mich augenblicklich, falls er sich noch einmal meldet.«
Einen Augenblick herrschte Stille auf dem Walkie-Talkie. Dann: »Der Anrufer ist noch immer in der Leitung,
Comandante.«
Olivetti sah aus, als hätte er einen elektrischen Schlag erhalten. »Der Anrufer ist was?«
»Er ist noch am Apparat. Wir versuchen seit zehn Minuten, seinen Standort ausfindig zu machen, ohne den geringsten Erfolg. Er muss wissen, dass wir ihn nicht fassen können, denn er weigert sich aufzulegen, bevor er nicht mit dem Camerlengo gesprochen hat.«
»Stellen Sie ihn durch!«, befahl der Camerlengo. »Sofort!«
Olivetti wirbelte herum. »Vater, nein! Ein ausgebildeter
Unterhändler der Schweizergarde ist viel besser geeignet, um mit dieser Situation.«
»Auf der Stelle!«
Olivetti gab den Befehl.
Einen Augenblick später klingelte das Telefon auf
Camerlengo Ventrescas Schreibtisch. Der Camerlengo betätigte den Freisprechknopf. »Für wen, in Gottes Namen, halten Sie sich?«
Kapitel 41.
Die Stimme aus dem Telefon des Camerlengos klang metallisch und kalt und troff vor Arroganz. Jeder im Raum lauschte gebannt.
Langdon versuchte den Akzent zu identifizieren. Vielleicht Mittlerer Osten?
»Ich bin ein Bote eines alten Bundes«, verkündete die Stimme in merkwürdigem Ton. »Einer Bruderschaft, die Sie seit Jahrhunderten verleumdet haben. Ich bin ein Bote der Illuminati.«
Langdon spürte, wie er sich versteifte, als die letzten Spuren von Zweifel schwanden. Einen Augenblick lang empfand er den gleicher! vertrauten Widerspruch aus Nervenkitzel, Privilegiertheit und tödlicher Furcht, der von ihm Besitz ergriffen hatte, als er am frühen Morgen zum ersten Mal das Ambigramm gesehen hatte.
»Was wünschen Sie?«, fragte der Camerlengo.
»Ich repräsentiere Männer der Wissenschaft. Männer, die wie Sie selbst nach Antworten suchen. Antworten auf das Schicksal des Menschen, auf den Sinn seines Daseins und auf seinen Schöpfer.«
»Wer auch immer Sie sein mögen«, sagte der Camerlengo, »ich.«
Silenzio! Sie tun besser daran, mir zuzuhören. Zwei Jahrtausende hat die Kirche die Suche nach der Wahrheit dominiert. Sie haben Ihre Gegner mit Lügen und Untergangsprophezeiungen vernichtet. Sie haben die Wahrheit zu Ihren Zwecken manipuliert und diejenigen ermordet, deren Entdeckungen Ihrer Politik zuwider liefen. Sind Sie tatsächlich überrascht, dass Sie sich erleuchtete Männer aus der ganzen
Welt zum Feind gemacht haben?«
» Erleuchtete Männer flüchten sich nicht in Erpressung, um ihre Sache voranzubringen.«
» Erpressung?« Der Anrufer lachte. »Dies ist keine Erpressung. Wir haben keine Forderungen. Die Vernichtung des Vatikans ist nicht verhandelbar. Wir haben vierhundert Jahre auf diesen Tag gewartet. Um Mitternacht wird Ihre Stadt zerstört, Es gibt nichts, was Sie dagegen unternehmen könnten.«
Olivetti stürmte zum Telefon. »Sie können unmöglich in die Stadt eingedrungen sein! Sie können keine Bombe in der Vatikanstadt versteckt haben!«
»Sie sprechen mit der ignoranten Hingabe des Schweizergardisten. Wahrscheinlich sind Sie Offizier? Sicher wissen Sie sehr genau, dass die Illuminati jahrhundertelange Erfahrung im Infiltrieren elitärer Organisationen überall auf der Welt besitzen. Glauben Sie allen Ernstes, Ihr Vatikan wäre dagegen immun?«
Mein Gott, dachte Langdon, sie haben jemanden in der Vatikanstadt! Es war kein Geheimnis, dass Infiltration das Markenzeichen der Illuminati und ihr erprobter Weg zur Macht gewesen war. Sie hatten die Freimaurer infiltriert, Großbanken, Regierungen. Churchill hatte einmal zu Reportern gesagt, dass der Krieg in weniger als einem M^nat vorüber gewesen wäre, hätten englische Spione die Nazis in dem Ausmaß infiltriert, in dem das englische Parlament von Mitgliedern der Illuminati durchsetzt gewesen sei.
»Ein durchsichtiger Bluff!«, fauchte Olivetti. »Ihr Einfluss kann sich unmöglich bis hinter unsere Mauern erstrecken!«
»Warum nicht? Weil Ihre Schweizergarde so wachsam ist? Weil sie jeden Winkel Ihrer privaten Welt überwacht? Was ist mit den Gardisten selbst? Sind sie nicht auch Menschen? Glauben Sie allen Ernstes, sie würden ihr Leben für die Fabel um einen Mann hingeben, der über das Wasser gelaufen sein soll? Fragen Sie sich, wie der Behälter mit Antimaterie in Ihre Stadt gelangen konnte. Oder wie vier Ihrer wichtigsten Aktivposten heute Nachmittag unbemerkt aus der Stadt verschwinden konnten.«
»Aktivposten?« Olivetti runzelte die Stirn. »Was meinen Sie damit?«
»Eins, zwei, drei, vier. Ist Ihnen noch nicht aufgefallen, dass etwas fehlt?«
»Wovon reden.?« Olivetti stockte und riss die Augen auf, als hätte er einen Schlag in den Unterleib erhalten.
»Ah, ich merke, es dämmert«, sagte der Anrufer. »Soll ich ihre Namen nennen?«
»Was geht da eigentlich vor?«, fragte der Camerlengo verwirrt.
Der Anrufer lachte. »Ihr Offizier hat Sie also noch nicht informiert? Das überrascht mich nicht. So viel Stolz. Wahrscheinlich schämt er sich, Ihnen die Wahrheit zu gestehen. dass vier Kardinale, die er mit seinem Leben zu schützen geschworen hat, spurlos vom Erdboden verschwunden sind.«
»Woher haben Sie diese Information?«, brauste Olivetti auf.
»Camerlengo«, spottete der Anrufer, »fragen Sie Ihren Oberst, ob sich sämtliche Kardinale in der Sixtinischen Kapelle eingefunden haben.«
Der Camerlengo wandte sich zu Olivetti und funkelte ihn fragend an.
»Monsignore.« Olivetti beugte sich herab und flüsterte in das Ohr des Camerlengos. »Es trifft zu, dass vier der Kardinale noch nicht in der Sixtinischen Kapelle erschienen sind, doch es gibt keinen Grund zur Besorgnis. Jeder von ihnen hat sich heute Morgen in der Residenz gemeldet, daher wissen wir, dass sie sich noch in der Vatikanstadt befinden. Sie selbst haben noch vor einigen Stunden mit ihnen Tee getrunken. Sie haben sich lediglich verspätet und versäumen die stille Begegnung vor der eigentlichen Konklave. Wir suchen nach ihnen, doch ich bin sicher, sie haben einfach das Gefühl für die Zeit verloren und genießen noch immer die Gärten.«
»Genießen die Gärten?« Die Ruhe aus der Stimme des Camerlengos war wie weggeblasen. »Sie sollten seit über einer Stunde in der Kapelle sein!«