»Also schön«, sagte Vittoria ein wenig überzeugter. »Und was ist mit>Dämons Loch<? Von Santis irdnem Grab in Dämons Loch?«.
Langdon war sich nicht sicher, jedenfalls nicht so sicher wie mit Santis Grab. »Es könnte der Oculus sein«, sagte er. Es war eine logische Schlussfolgerung. »Die kreisrunde Öffnung im Kuppeldach des Pantheons.«
»Aber das Pantheon ist eine Kirche!«, entgegnete Vittoria. Sie hielt mühelos mit seinem Laufschritt mit. »Warum sollte jemand die Kuppelöffnung ein Dämonenloch nennen?«
Diese Frage hatte sich Langdon ebenfalls gestellt. Er hatte den Ausdruck »Dämons Loch« noch nie gehört, doch er erinnerte sich an eine Schilderung aus dem siebten Jahrhundert, die aus seiner heutigen Sicht eigenartig passend schien. Angeblich hatten Dämonen das Loch in das Kuppeldach gebrochen, als sie auf der Flucht vor der Konsekration durch Bonifaz IV. gewesen waren.
»Und warum.«, fügte Vittoria hinzu, als sie einen weiteren kleineren Hof durcheilten, ». warum sollten die Illuminati den Namen Santi benutzen, wenn er in Wirklichkeit als Raphael
bekannt war?«
»Sie stellen eine Menge Fragen.«
»Das hat mein Vater auch immer gesagt.«
»Zwei mögliche Gründe. Erstens, das Wort Raphael hat eine Silbe zu viel. Es hätte den fünfhebigen Jambus zerstört.«
»Klingt ziemlich weit hergeholt.«
Langdon stimmte ihr zu. »Schon möglich. Vielleicht haben sie Santi auch deswegen genommen, um den Hinweis stärker zu verschleiern, sodass nur hoch gebildete Männer den Hinweis auf Raphaels Grab erkannten.«
Auch das überzeugte Vittoria noch nicht. »Ich bin sicher, Raphaels Nachname war zu seinen Lebzeiten äußerst bekannt.«
»Überraschenderweise nicht, nein. Es war ein Statussymbol, nur mit Vornamen berühmt zu sein. Raphael hat seinen Nachnamen weggelassen, genau wie viele Popstars es heute tun. Nehmen Sie beispielsweise Madonna. Wer weiß schon ihren Nachnamen - Ciccone?«
Vittoria blickte ihn amüsiert an. »Sie kennen den Nachnamen von Madonna?«
Langdon bedauerte seine Bemerkung augenblicklich. Es war schon erstaunlich, was man so alles auffing, wenn man Tag für Tag unter zehntausend pubertierenden Studenten lebte.
Sie passierten das letzte Tor auf dem Weg zur Kaserne der Schweizergarde, doch dann wurden sie unvermittelt aufgehalten.
»Para!«, brüllte eine Stimme hinter ihnen.
Vittoria und Langdon wirbelten herum und starrten in den Lauf einer Maschinenpistole.
»Attentat«, rief Vittoria und sprang zurück. »Passen Sie gefälligst auf mit.«
»Non sportarti!«, rief der Gardist und legte den Sicherungshebel um.
»Soldato!«, brüllte eine befehlsgewohnte Stimme über den Hof. Olivetti kam soeben aus dem Sicherheitszentrum. »Lassen Sie die beiden gehen!«
Der Gardist starrte seinen Vorgesetzten verwirrt an. »Ma Comandante! E una donna...!«
»Los, hinein!«, brüllte Olivetti seinen Untergebenen an.
»Signore, nonposso...!«
»Auf der Stelle! Sie haben neue Befehle, Soldat. Hauptmann Rocher wird in zwei Minuten eine Lagebesprechung abhalten. Wir werden eine Suchaktion durchführen.«
Verwirrt eilte der Gardist in das Sicherheitszentrum. Olivetti marschierte Langdon und Vittoria entgegen. Er schäumte förmlich. »Sie waren in unseren geheimsten Archiven! Ich verlange augenblicklich eine Erklärung!«
»Wir haben gute Neuigkeiten«, berichtete Langdon.
Olivettis Augen verengten sich zu Schlitzen. »Ich hoffe für Sie, dass es verdammt gute Neuigkeiten sind.«
Kapitel 56.
Die vier unauffälligen Alfa Romeo 155 T-Spark rasten durch die Via di Coronari wie Kampf jets über eine Startbahn. In den Wagen saßen zwölf zivil gekleidete Schweizergardisten mit halbautomatischen Cherchi-Pardinis, Betäubungsgasgranaten und Betäubungsgewehren. Die drei Scharfschützen hatten Gewehre mit Laseroptiken.
Auf dem Beifahrersitz des vorderen Wagens saß Oberst Olivetti. Er drehte sich zu Vittoria und Langdon um. In seinen Augen stand nackte Wut. »Sie haben mir eine vernünftige Erklärung versprochen, und das ist alles, was Sie zu sagen haben?«
Langdon fühlte sich beklemmt auf dem Rücksitz des kleinen Wagens. »Ich verstehe Ihren.«
»Nichts verstehen Sie!« Olivetti hob niemals die Stimme, doch seine Eindringlichkeit war kaum noch zu überbieten. »Ich habe gerade ein Dutzend meiner besten Leute aus der Vatikanstadt abgezogen, und das am Abend des Konklaves! Ich bin losgezogen, um das Pantheon zu durchsuchen, allein auf das Wort eines Amerikaners hin, den ich noch nie zuvor gesehen habe und der mir ein vierhundert Jahre altes Gedicht vorliest und weiter nichts! Und ich habe die Suche nach dieser Antimaterie in den Händen untergebener Offiziere gelassen.«
Langdon widerstand dem Verlangen, Galileos Blatt Nummer fünf aus der Brusttasche zu ziehen und damit vor Olivettis Gesicht zu wedeln. »Ich weiß nur, dass die Informationen, die wir gefunden haben, auf Raphaels Grab hinweisen, und Raphaels Grab befindet sich im Pantheon.«
Der Gardist hinter dem Steuer nickte. »Da hat er Recht, Herr Oberst. Meine Frau und ich waren.«
»Fahren Sie!«, fauchte Olivetti. Er wandte sich wieder zu Langdon um. »Wie kann ein Mörder an so einem belebten Ort seine Tat begehen und unerkannt entkommen?«
Pantheon der richtige Ort ist, können wir dieser Spur zu den anderen Wegweisern folgen. Wir haben also vier Chancen, diesen Mann zu fangen.«
»Das hatte ich zu Anfang auch gehofft«, widersprach
Langdon. »Und bis vor einem Jahrhundert hätte es auch gestimmt.«
Langdons Gedankenblitz, dass der erste Altar der Wissenschaft das Pantheon sein musste, war ein bittersüßer Augenblick gewesen. Die Geschichte hatte ihre ganz eigene Art, denjenigen grausame Streiche zu spielen, die ihr hinterher jagten. Sicher, es war eine schwache Hoffnung gewesen, dass der Weg der Erleuchtung nach all den Jahren noch immer intakt war und alle Statuen noch immer an ihrem Platz standen, doch Langdon hatte sich vorgestellt, dem Weg bis ans Ende zu folgen und schließlich das berühmte Nest der Illuminati zu finden. Aber das sollte nicht sein, erkannte er rasch. »Ende des neunzehnten Jahrhunderts ließ der Vatikan sämtliche Statuen aus dem Pantheon entfernen und zerstören.«
Vittoria starrte Langdon schockiert an. »Aber warum?«
»Es waren Statuen von olympischen Göttern. Heidnischen Göttern. Unglücklicherweise bedeutet es, dass der erste Wegweiser nicht mehr existiert, und mit ihm ist.«
». jede Hoffnung verloren, den Weg der Erleuchtung und die übrigen Wegweiser zu finden«, vollendete Vittoria seinen Satz.
Langdon nickte traurig. »Wir haben nur diese eine Gelegenheit. Das Pantheon. Wie der Weg der Erleuchtung von dort weiterführt, wissen wir nicht.«
Olivetti starrte die beiden wortlos an; dann drehte er sich wieder nach vorn. »Fahren Sie rechts ran«, befahl er dem Fahrer schroff.
Der Fahrer lenkte den Wagen an den Straßenrand und trat auf die Bremse. Die drei anderen Alfa Romeos kirnen hinter ihm zum Stehen.
»Was machen Sie denn nun schon wieder?«, rief Vittoria ärgerlich.
»Meine Arbeit.« Olivetti starrte sie aus eisigen Augen an; dann richtete er den Blick auf Langdon. »Als Sie sagten, Sie würden die Situation unterwegs erklären, ging ich davon aus, dass wir bis zum Eintreffen beim Pantheon eine genaue Vorstellung von dem haben, was meine Männer erwartet. Das ist nicht der Fall. Ich vernachlässige wichtige Pflichten, indem ich mich hier aufhalte, und Sie haben mir rein gar nichts erzählt, was Ihrer Theorie von einem jungfräulichen Opfer auf dem Altar der Wissenschaft und diesen alten Versen rgendwelchen Sinn geben würde. Deswegen kann ich nicht guten Gewissens mit dieser Schnitzeljagd weitermachen. Ich werde diese Mission augenblicklich beenden, und wir kehren in die Vatikanstadt zurück.« Er zog sein Walkie-Talkie hervor und schaltete es ein.