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Olivetti schimpfte mit Vittoria. »Warum haben Sie es nicht

sofort herausgefunden?«

Vittoria bemühte sich, dem Kommandanten die Situation zu erklären.

Olivetti schnitt ihr das Wort ab und wandte sich zu seinen Leuten um. »Schafft den Leichnam von dort unten weg! Sucht das ganze Gebäude ab!«

Langdon versuchte aufzustehen. Die Chigi-Kapelle wimmelte von Schweizergardisten. Der Plastikvorhang vor der Nische war weggerissen worden, und die muffige Luft aus dem Hauptschiff füllte Langdons Lungen. Sie erschien ihm unendlich frisch. Langsam kehrten seine Sinne wieder. Vittoria kam zu ihm. Sie kniete nieder. Ihr Gesicht sah aus wie das eines Engels.

»Alles in Ordnung?« Sie nahm seine Hand und prüfte seinen Puls. Ihre Hände fühlten sich weich und behutsam an.

»Danke«, sagte Langdon und setzte sich auf. »Olivetti ist wütend.«

Vittoria nickte. »Er hat jedes Recht dazu. Wir haben es vermasselt.«

»Sie meinen, ich habe es vermasselt.«

»Verdammen Sie sich meinetwegen. Aber kriegen Sie den Mistkerl beim nächsten Mal.«

Beim nächsten Mal? Was für ein grausamer Kommentar. Es gibt kein nächstes Mal! Wir haben unsere Chance verpasst, und das war’s.

Vittoria schaute auf Langdons Armbanduhr. »Mickey sagt, dass wir noch vierzig Minuten haben. Sehen Sie zu, dass Sie wieder einen klaren Kopf bekommen und helfen Sie mir, den nächsten Hinweis zu finden.«

»Ich hab Ihnen doch gesagt, Vittoria, die Statuen und Skulpturen sind verschwunden. Der Weg der Erleuchtung ist.« Er verstummte.

Vittoria lächelte nachsichtig.

Plötzlich dämmerte es Langdon. Er mühte sich unsicher schwankend auf die Beine und starrte auf die Kunstwerke ringsum. Pyramiden, Sterne, Planeten, Ellipsen. Mit einem Mal war alles wieder da. Das hier ist der erste Altar der Wissenschaft. Nicht das Pantheon! Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie sehr die Chigi-Kapelle nach Illuminati aussah -weit subtiler als das weltberühmte Pantheon. Die Chigi-Kapelle war ein abgelegener Alkoven, ein geheimes Versteck, ein Tribut an einen großen Förderer der Wissenschaft, voller irdener Symbole. Einfach perfekt.

Langdon stützte sich an die Wand und starrte die beiden mächtigen Marmorpyramiden an. Vittoria hatte Recht, daran bestand kein Zweifel. Wenn diese Kapelle hier der erste Altar der Wissenschaft war, befand sich möglicherweise auch die Skulptur noch hier, die als Wegweiser zum zweiten Altar diente. Langdon spürte einen elektrisierenden Anflug neuer Hoffnung, als ihm bewusst wurde, dass sie noch immer eine Chance hatten. Falls cfer Wegweiser tatsächlich noch existierte und sie durch ihn zum nächsten Altar fanden, bedeutete das eine zweite Chance, den Assassinen zu stellen.

»Ich habe übrigens herausgefunden, wer der unbekannte Bildhauer der Illuminati war«, raunte Vittoria.

Langdon riss die Augen auf. »Sie haben was?«

»Wir müssen also nur noch feststellen, welche Skulptur in dieser Kapelle von seiner Hand stammt.«

»Halt, warten Sie! Sie haben herausgefunden, wer der unbekannte Meister ist? Aber - wie?« Langdon hatte Jahre mit der Suche nach dieser Information verbracht.

Vittoria lächelte. »Es war Bernini. Der Bernini.«

Langdon wusste sogleich, dass sie sich irren musste. Bernini kam überhaupt nicht infrage. Giovanni Lorenzo Bernini war neben Michelangelo der berühmteste Bildhauer aller Zeiten. Bernini hatte im siebzehnten Jahrhundert mehr Skulpturen erschaffen als jeder andere Künstler. Und der Mann, nach dem sie suchten, war ein Unbekannter, ein Niemand.

Vittoria runzelte die Stirn. »Sie sehen nicht aus, als wären Sie begeistert.«

»Bernini... unmöglich!«

»Warum? Bernini war ein Zeitgenosse Galileos. Und er war ein genialer Bildhauer.«

»Bernini war ein sehr berühmter Mann und außerdem Katholik.«

»Na und?«, entgegnete Vittoria. »Galileo war ebenfalls Katholik.«

»Nein«, widersprach Langdon. »Galileo ist etwas anderes. Galileo war dem Vatikan ein Dorn im Auge. Bernini hingegen war das gehätschelte Wunderkind. Die Kirche hat Bernini geliebt. Er wurde vom Papst zur obersten Autorität für künstlerische Fragen ernannt und hat praktisch sein ganzes Leben in der Vatikanstadt verbracht.«

»Eine perfekte Tarnung. Illuminati waren Meister der Infiltration. Ihre eigenen Worte.«

Langdon errötete. »Vittoria, die Illuminati selbst haben ihren geheimnisvollen Künstler als U maestro incognito bezeichnet, Den unbekannten Meister.«

»Ja. Weil er ihnen unbekannt war. Denken Sie an die Freimaurer. Nur die obersten Echelons wussten die ganze Wahrheit. Galileo hätte Berninis wahre Identität vor den meisten Mitgliedern verbergen können. um Berninis eigener Sicherheit willen. Der Vatikan hätte die Wahrheit niemals herausgefunden.«

Langdon war nicht überzeugt, doch er gestand sich ein, dass Vittorias Logik einen eigenartigen Sinn ergab. Die Illuminati waren berühmt dafür, auf welch geschickte Art und Weise sie geheime Informationen aufgeteilt hatten. Die ganze Wahrheit war stets nur den obersten Mitgliedern ihrer Ränge bekannt gewesen. Es war eine Bedingung dafür, im Verborgenen zu bleiben. nur wenige Mitglieder kannten die ganze Geschichte.

»Und Berninis Verbindung zu den Illuminati.«, erklärte Vittoria lächelnd,». seine Verbindung zu den Illuminati würde auch erklären, warum er diese beiden Marmorpyramiden hier erschaffen hat.«

Langdon wandte sich zu den großen Pyramiden um und schüttelte den Kopf. »Bernini war ein religiöser Bildhauer. Er hätte niemals heidnische Pyramiden angefertigt!«

Vittoria zuckte die Schultern. »Erzählen Sie das dem Schild hinter Ihnen.«

Langdon wandte sich um und las:

KUNST IN DER CHIGI-KAPELLE

Die Architektur der Kapelle entstammt Raphaels Hand.

Sämtliche enthaltenen Skulpturen und Fresken wurden von Giovanni Lorenzo Bernini geschaffen.

Langdon las die Inschrift zweimal und war noch immer nicht überzeugt. Giovanni Lorenzo Bernini war berühmt für seine kunstvollen, heiligen Bildnisse der Jungfrau Maria, von Engeln, Propheten und Päpsten. Was hatte ein Mann wie Bernini mit diesen beiden Pyramiden zu schaffen?

Langdon betrachtete die drei Meter hoch aufragenden Gebilde ratlos. Zwei Stück. Jede mit glänzenden, elliptischen Medaillons versehen. Sie wiren so wenig christlich, wie eine Skulptur es nur sein konnte. Die Pyramiden, die Sterne darüber, die Tierkreiszeichen. Sämtliche enthaltenen Skulpturen und Fresken wurden von Giovanni Lorenzo Bernini geschaffen. Falls das tatsächlich zutraf, erkannte Langdon, musste Vittoria Recht haben. Dann musste Bernini tatsächlich der unbekannte Meister der Illuminati sein - niemand außer ihm hatte in dieser Kapelle gearbeitet! Die Schlussfolgerungen waren so überwältigend, dass Langdon Mühe hatte, sie zu verdauen.

Bernini war ein Illuminatus.

Bernini bat die Ambigramme der Illuminati geschaffen.

Bernini hat den Pfad der Erleuchtung angelegt.

Langdon spürte einen Kloß im Hals. War es tatsächlich möglich, dass der weltberühmte Bernini hier eine Skulptur aufgestellt hatte, die den Weg quer durch Rom zum nächsten Altar der Wissenschaft wies?

»Bernini«, stieß er hervor. »Nie im Leben hätte ich vermutet, dass er dahinter steckt.«