Выбрать главу

McCracken saß starr auf seinem Sitz, klammerte sich mit beiden Händen an die Armlehnen und versuchte, sie instinktiv nach oben zu zerren, als könnte er auf diese Weise die altersschwache Maschine zum Steigen bewegen.

Der Pilot dagegen freute sich anscheinend wie ein Kind über die grüne Landschaft. Er winkte den Menschen unten zu, die ihre Arme schwenkten, um sie zu verabschieden. Dann streiften sie noch ein paar Baumwipfel und plötzlich löste sich die Wolkenwand auf, der Boden unter ihnen fiel steil in die Tiefe und gab den Blick auf eine schier endlose Weite frei, die sich unter ihnen erstreckte.

Ein schwarzer Kondor schoss über ihre Köpfe hinweg.

Aus den dunklen Klippen, die sie mittlerweile hinter sich gelassen hatten, ergossen sich ungeheure Wassermassen. Unter ihnen begann jetzt der dichte Dschungel, der bis auf eine Höhe von tausend Metern die Berghänge bedeckte und sich wie ein riesiger Teppich nach allen Seiten ausbreitete.

Sie kreuzten viele kleine Nebenflüsse mit wilden Stromschnellen, die sich allmählich zu mächtigen Strömen zusammenschlossen und in einem gewaltigen Wasserfall endeten. Dieser ergoss sich in eine flache Ebene, wo das Wasser seine Suche nach dem mächtigen Orinoco fortsetzte.

Die alte Bristol Piper glitt durch die Luft wie ein Adler, der seine Beute verfolgt, ganz gemächlich und ruhig, ohne das leiseste Rumpeln oder Zittern. Man hätte meinen können, dass die Luft, die mit jedem Meter, den sie an Höhe verloren, wärmer wurde, der alten Maschine jene Selbstsicherheit wiederschenkte, die ihr gefehlt hatte, seit sie von Turbo gestartet waren.

Der nervenaufreibende Flug über die Anden in einer für den Einsatz im Ersten Weltkrieg überstürzt zusammengestoppelten Maschine schien nur noch ein schrecklicher ferner Albtraum zu sein, den er längst vergessen hatte.

Jimmie sang aus vollem Hals in einem malerischen, katastrophal schlechten Spanisch, das er anscheinend in den heruntergekommensten Kneipen und Bordellen von Panama gelernt hatte:

Si Adelita se fuera con otro La seguiría por aire y por mar Si por mar en un buque de guerra Si por aire en un avión militar…
Si Adelita quisiera ser mi esposa Si Adelita fuese mi mujer… Le compraría unas bragas de seda Y se las quitaría a la hora de joder…

Der Schotte hingegen konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er sich fragte, wohin sie die Reise in einer derart lächerlichen Kiste wohl führen würde. Obendrein war der Pilot völlig übergeschnappt. Er schien es sogar zu genießen, dass sein Leben an einem seidenen Faden hing, der noch dünner war als das Höschen seiner Adelita.

All hätte seinen Spaß gehabt, dachte McCracken. Er hätte sich köstlich amüsiert mit diesem Wahnsinnigen, der sich nur allzu offensichtlich über das Leben lustig machte.

Noch immer vermisste er seinen walisischen Freund.

Sieben Jahre waren vergangen, seit er ihn in einer gottverlassenen Lagune in Venezuela bestattet hatte, und kein einziger Tag, an dem er ihn nicht verflucht hatte, weil er dumm genug gewesen war, mit dem Rücken gegen einen Felsen zu prallen und sich die Wirbelsäule zu brechen.

Noch heute hatte er das Gefühl, als fehlte ihm ein Arm oder ein Bein.

Als wäre er von einem Tag auf den anderen zu einem Waisenkind geworden.

Verurteilt, für den Rest seines Lebens Selbstgespräche zu führen, weil er seitdem weder Männern noch Frauen begegnet war, die seine Worte oder gar sein Schweigen hätten verstehen können.

All hätte seine Freude daran gehabt. Wahrscheinlich hätte er mich zuerst verflucht, weil ich ihn genötigt habe, in diese Kiste zu steigen, aber hier oben hätte ihn der Blick auf die Landschaft versöhnt.

»Der Meta!«

»Was?«

»Das da unten«, schrie Jimmie und drehte sich zu ihm um, »ist der Río Meta… Wir folgen ihm jetzt, bis er in den Orinoco fließt. Wenn diese Karte nicht völlig daneben ist, müssten wir dann Puerto Carreño erreichen.«

»Ich dachte, wir wollen nach Puerto Ayacucho«, gab der Schotte verwundert zurück.

»Ich habe es mir anders überlegt«, rief der König der Lüfte. »Puerto Ayacucho liegt am anderen Flussufer, auf venezolanischer Seite. Ich halte es für keine gute Idee, wenn wir auf venezolanischem Gebiet landen, ohne zu wissen, was an der Grenze los ist. Ich habe gehört, dass der verdammte General Gómez ein Hundesohn sein soll.«

Jetzt in fast tausend Meter Höhe war nicht der rechte Augenblick für große Diskussionen; im Übrigen wusste McCracken aus eigener Erfahrung, wie unberechenbar, ja gefährlich der alte Tyrann Gómez sein konnte.

Sollte ein Flugzeug, noch dazu gesteuert von zwei Ausländern, ohne Vorankündigung auf venezolanischem Territorium landen, das der Kerl ohnehin als sein Privatgrundstück betrachtete, gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder wurden sie mit offenen Armen empfangen oder aber auf der Stelle erschossen.

Wozu ein zusätzliches Risiko eingehen?

Also folgten sie dem Lauf des Río Meta, der eine natürliche Grenze zwischen dem dichten Urwald an den steilen Berghängen der Anden und der offenen Savanne bildete, jener mythischen Region in nordöstlicher Richtung, Los Llanos genannt.

McCracken hatte das Gefühl, an einer Erdkundestunde teilzunehmen, die für ihn, der sich nicht hätte träumen lassen, dass er eines Tages in einer ächzenden, schrottreifen Kiste sitzen würde, nur umso spektakulärer und beeindruckender war.

Als John McCracken und All Williams zum ersten Mal in den ecuadorianischen Dschungel eindrangen, waren die Gebrüder Wright noch nicht einmal zu ihrem legendären Flug gestartet, der sie gerade mal vierzig Meter weit durch die Luft transportieren sollte.

An dem Tag, als McCracken den venezolanischen Urwald verlassen hatte und in Ciudad Bolívar eingetroffen war, hatte er verblüfft festgestellt, dass ein gewisser Louis Blériot es mittlerweile gewagt hatte, über den vierzig Kilometer breiten Ärmelkanal zwischen Frankreich und England zu fliegen.

Und jetzt war er selbst an Bord eines Doppeldeckers, der zum ersten Mal Los Llanos überquerte.

All hätte seinen Spaß gehabt, dachte er einmal mehr. Wie hätte er sich gefreut.

Den unpassendsten Augenblick hatte er sich zum Sterben ausgesucht; so hatte er nie erfahren, dass der Mensch es geschafft hatte zu fliegen.

Mit seinem Mut wäre Williams bestimmt genauso ein draufgängerischer Pilot geworden wie Jimmie, der König der Lüfte.

Wie gern wäre Williams in diesen privilegierten Ausguck gestiegen und hätte beobachtet, wie sich die Vögel zu Tausenden in die Lüfte erhoben, wie ganze Herden von Rindern in Panik ausbrachen und in alle Himmelsrichtungen davonstoben, wie ein Reiter sein Pferd zügelte und verdutzt emporspähte, zu dem stählernen Vogel, der über seinen Kopf hinwegflog.

Si Adelita se fuera con otro La seguiría por aire y por mar Si por mar en un buque de guerra Si por aire en un avión militar…

Zwei Stunden später begann der Amerikaner den Landeflug. Ausgiebig studierte er das Terrain, ehe er auf einer Lichtung am linken Flussufer aufsetzte und die Maschine ausrollen ließ, bis sie vor einem schattigen Wäldchen aus Mauritiuspalmen zum Stehen kam.

Sie sprangen aus der Maschine, streckten die Beine und pinkelten an den Stamm der nächstbesten Palme. Danach zog der Pilot eine alte Schrotflinte unter dem Sitz hervor und reichte sie seinem Passagier.