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»Wir werden schon eine Lichtung finden.«

»Ihr Wort in Gottes Ohr…«

Als sie sich in die Luft erhoben, war es noch tiefe Nacht. In absoluter Dunkelheit überflogen sie den breiten Orinoco. Erst als sie an Höhe gewonnen hatten, wurde es allmählich heller. In der Ferne erkannten sie einen dünnen Silberstreif, vor dem sich die bedrohlichen Gebirgsausläufer von Parima abzeichneten.

Kurz darauf kam die Sonne zögernd zwischen den hohen verschneiten Gipfeln zum Vorschein. Der morgendliche Dunst, der noch über dem Land hing, löste sich langsam auf und gab den Blick auf eine endlose grüne Fläche frei: die Wipfel von Millionen und Abermillionen Baumriesen, ein undurchdringlicher Teppich, unter dem kein einziger Zentimeter Boden zu erkennen war.

Die alte Bristol ächzte, bockte und rumpelte, als müsste sie unablässig Luftlöcher von unterschiedlicher Temperatur und Dichte überwinden. Es fühlte sich an, als rasten sie in einem Wagen mit kaputten Stoßdämpfern über eine holprige Straße voller Schlaglöcher.

Jetzt war dem König der Lüfte nicht mehr nach Singen zumute.

Mit beiden Händen umklammerte er den Steuerknüppel. Seine Arme sahen aus wie Eisenstangen, mit dunklen aufgequollenen Adern und Sehnen, so straff wie Klavierseiten. Von der Kraft dieser Arme hing nicht nur sein Leben ab, sondern auch das seines Passagiers. Und der hatte den Eindruck, dass der Pilot so heftig die Zähne zusammenbiss, dass sie knirschten.

Mit einem im Krieg zusammengestoppelten Doppeldecker durch die Turbulenzen zu fliegen, die über dieser wilden, vom Dschungel bewachsenen Gebirgskette mit ihren gegensätzlichen Windströmungen herrschten, war kein Pappenstiel.

Wirklich nicht.

Die kleinste Unaufmerksamkeit oder Schwäche, ein einfacher Muskelkrampf würden die zerbrechliche Maschine aus dem Gleichgewicht bringen, und dass sie sich überhaupt in der Luft hielt, grenzte an ein Wunder.

Jetzt war es nicht mehr der Motor, der drohte, seinen Geist aufzugeben.

Nein.

Der Motor funktionierte.

Der Propeller drehte sich.

Das Flugzeug kämpfte sich voran.

Nur ächzte und knarrte der Rumpf mit jedem Meter, den sie vorwärts kamen.

Der Wind heulte und pfiff ihnen um die Ohren.

Die Sitze schwankten.

Die beiden Männer hatten das Gefühl, in einem überdimensionalen Cocktailshaker zu hocken, der von einem schadenfrohen Riesen kräftig geschüttelt wurde.

McCracken musste an den unheilvollen Nachmittag denken, als die heimtückischen Stromschnellen des Caroní ihr Kanu in die Tiefe rissen und seinem alten Freund die Wirbelsäule brachen.

Es war genau dasselbe Gefühl von Ohnmacht und Verzweiflung.

Das Gefühl, dass alles in der Hand des Schicksals liegt und man angesichts der Naturgewalten ein Nichts ist.

Damals war es das Wasser gewesen.

Jetzt würde es der Wind sein.

Aber am Ende des Weges wartete derselbe Felsen.

»Was ist los?«

»Nichts!«, erwiderte der andere knapp.

»Wie meinen Sie das? Meine Knochen fallen auseinander!«

»Das geht gleich vorbei!«

Gleich hieß eine geschlagene Stunde. Erst als sie die Bergkette passiert hatten, legte sich der Wind und im Dickicht unter ihnen tauchten vereinzelte Lichtungen auf, erste Vorboten der majestätischen, imposanten Gran Sabana.

Jimmie beeilte sich, eine geeignete Stelle zu finden, wo er landen konnte. Meterhohes strohfarbenes Süßgras bedeckte die Erde, sodass er nicht feststellen konnte, wie uneben der Boden war oder was sich darunter verbarg. Als er schließlich die Maschine aufsetzte und den Motor ausschaltete, blieb er wie versteinert sitzen, unfähig, einen Muskel zu bewegen.

McCracken sprang von der Maschine und ging nach vorn zu ihm. Als er das kreidebleiche Gesicht seines Piloten sah, fuhr ihm der Schreck in die Glieder.

»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte er.

»Ja, ja. Ich bin bloß völlig erledigt«, gab der andere nach einer Weile zurück. »Das war wie eine Luftschlacht, aber länger als alle, die ich je durchgemacht habe. Meine Arme sind so taub, als wären sie abgestorben.«

»Warum sind wir so durchgerüttelt worden?«

»Sie werden es nicht glauben«, antwortete der Pilot und versuchte, sein Grinsen wiederzufinden. »Nicht einmal über den Anden habe ich solche Turbulenzen erlebt. Es muss wohl daran gelegen haben, dass der Wind sich einfach nicht entscheiden konnte, in welche Richtung er bläst.« Er seufzte übellaunig. »Helfen Sie mir mal runter!«

Seine Hände waren derart verkrampft, dass er eine halbe Stunde brauchte, um sie mit Übungen halbwegs wieder bewegen zu können. McCracken machte sich derweil daran, etwas zu essen vorzubereiten und die Maschine aufzutanken, so wie er es bei seinem Gefährten mehrmals beobachtet hatte.

Wenig später setzte sich Jimmie in den Schatten eines Busches und deutete auf einen merkwürdigen Berg mit flachem Gipfel, dessen Hänge wie mit einem Messer gezogen wirkten. Etwa dreißig Kilometer von ihnen entfernt türmte er sich auf.

»Was ist das da drüben?«

»Ein Tepui«, erklärte sein Passagier. »Ein Tafelberg. In dieser Gegend wimmelt es davon. Es heißt, dass sie die ältesten geologischen Formationen des Planeten sind. Sie entstanden ganz plötzlich, offenbar wurden sie von irgendwelchen seltsamen geologischen Verschiebungen nach oben gepresst. Auf diesen Bergen haben sich jahrtausendealte Spezies erhalten. Übrigens, Die verlorene Welt von Conan Doyle spielt auf einem dieser Tafelberge.«

»Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass es auf diesen Bergen Dinosaurier gibt?«, fragte der Pilot beunruhigt.

»Nein, nein, keine Bange«, beruhigte McCracken ihn hastig. »Aber mit Sicherheit Gattungen, die an keinem anderen Ort der Welt überlebt haben.«

»Sachen gibt es…!« Der Pilot staunte. »Na ja, was mich angeht, so habe ich nicht vor, diese Gattungen, wie immer sie auch heißen mögen, zu stören. Von mir aus sollen sie in aller Ruhe da oben bleiben.«

Er erhielt keine Antwort, denn sein Reisebegleiter hatte sich mit offensichtlichem Appetit über die saftige Pekarikeule hergemacht, die ihnen Evilasio Morales, genannt El Catire, zum Abschied mitgegeben hatte.

Während sie aßen, lagen die Waffen schussbereit in Reichweite und gleichzeitig behielten sie das Dickicht, das etwa dreihundert Meter vor ihnen begann, im Blick.

In dieser Gegend, so hieß es, stieß man häufiger als in den Llanos auf die gefürchteten Menschenfresser. Es handelte sich um ein vollkommen wildes Gebiet, das nicht erforscht, geschweige denn erschlossen war und die eigentliche Heimat der Kannibalen, der waicaIndianer, bildete.

Kein »zivilisierter« Mensch war bislang ins Innere dieser wilden Bergkette vorgestoßen und lebend wieder zurückgekehrt und es sollten noch Jahrzehnte vergehen, ehe die venezolanische Regierung sich für das Wohl oder auch nur das Überleben der indígenas in diesem abgelegenen Territorium eines Landes interessierte, das viel zu groß für seine spärliche Bevölkerung war.

»Südlich des Orinoco schießen die Moskitos mit Speeren und die Vögel mit Pfeilen«, lautete ein weit verbreiteter Spruch, hinter dem sich die Venezolaner verschanzten, wenn es um diese unerforschte Gegend ging, von der man sich ihrer Meinung nach besser fern hielt.

Jimmie und McCracken blieb nichts anderes übrig, als Augen und Ohren offen zu halten und auf das kleinste verdächtige Geräusch zu achten, das aus dem Busch kam. Es war keineswegs abwegig, dass die waicas den lauten Metallvogel entdeckt hatten und sich nun neugierig fragten, ob die Crew möglicherweise essbar war.

Nicht einmal eine halbe Stunde war vergangen, als am Horizont bedrohliche schwarze Wolken auftauchten und den Gipfel des Tafelberges in dichten Dunst hüllten. Dann begann ein anhaltender, warmer Regen. Jimmies Gesichtsausdruck veränderte sich. Nach einer Weile bückte er sich, nahm eine Hand voll Erde und prüfte sie eingehend.