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»Hallo!«, schrie er in seinem holprigen Spanisch. »Könnten Sie uns vielleicht unter die Arme greifen, guter Mann?«

Der Unbekannte paddelte etwas stromaufwärts in die Mitte des Flusses und sprang dann einige Meter von der Maschine entfernt ins hüfthohe Wasser.

Nachdem er sich das Flugzeug eine Zeit lang angesehen hatte, fragte er mit heiserer, volltönender Stimme:

»Ist das ein Wasserflugzeug?«

»Ganz und gar nicht«, antwortete der Amerikaner belustigt. »Nur ein Flugzeug im Wasser, was nicht dasselbe ist.«

»Aha! Und wie sind Sie hierher gekommen?«

»Das ist eine lange Geschichte. Sie haben nicht zufällig ein paar Taue dabei, was?«

»Doch. Wollen Sie das Flugzeug etwa abschleppen?«

»O nein, das nicht. Ich will nur das Heck der Maschine an den Bäumen dort drüben vertäuen, solange das Wasser ansteigt, damit der Strom sie nicht mitnimmt. Nur so lange, bis der Wasserstand wieder fällt.«

Der Fremde studierte ausgiebig den westlichen Himmel über einem fernen Tepui und erklärte dann ziemlich selbstsicher:

»Heute wird es nicht mehr regnen. Und wenn kein Regen fällt, wird der Fluss am Nachmittag wieder seinen üblichen Stand erreichen.«

»Sind Sie aus der Gegend?«

»Nein. Ich suche einen geeigneten Ort, um eine Mission zu gründen.« Er grinste von Ohr zu Ohr. »Übrigens, ich heiße Orozco. Benjamin Orozco. Ich bin Dominikaner.«

»Sind Sie Venezolaner?«

»Spanier. Besser gesagt, Baske.«

»Jimmie Angel.«

»John McCracken.«

Sie schüttelten sich die Hand, und als der Missionar den Namen des Schotten hörte, sah er ihn erstaunt und bewundernd an.

»McCracken?«, wiederholte er. »Der berühmte John McCracken, der mit den Kokosnüssen?«

»Genau.« Der Schotte nickte. »Berühmt, das haben Sie gesagt.«

»Nicht nur ich. Das sagen alle! Der Schotte McCracken ist südlich des Orinoco eine Legende geworden. Wissen Sie überhaupt, wie viele Abenteurer den Dschungel erforscht haben, seit Sie damals mit Ihren Kokosnüssen in Ciudad Bolívar aufgetaucht sind?«

»Was für Kokosnüsse?«, wollte der König der Lüfte wissen, der sich keinen Reim darauf machen konnte. »Wir werden doch nicht hergekommen sein, um Kokosnüsse zu sammeln, oder?«, fragte er verunsichert. »Was ist das für eine Geschichte?«

»Eine mit Kokosnüssen«, erwiderte der Missionar und grinste wieder von Ohr zu Ohr. »Ganz gewöhnlichen grünen Kokosnüssen.«

»Was ist denn Besonderes an diesen Kokosnüssen, dass sie so einen Aufruhr verursacht haben?«

»Wenn man sie geöffnet hat, kamen Goldklumpen und Diamanten zum Vorschein, so dick wie Kichererbsen.« Der Missionar schüttelte den Kopf, als fiele es ihm immer noch schwer, das zu glauben. »Viele meinen, es sei das größte Spektakel gewesen, das Venezuela je erlebt hat.«

Jimmie drehte sich pikiert zu dem Schotten um. »Von den Kokosnüssen haben Sie mir nichts erzählt. Warum nicht?«

»Weil es nicht wichtig ist«, sagte der andere schlicht. »All Williams hatte die Angewohnheit, das Gold und die Diamanten in Kokosnüssen zu verstecken und sie mit Harz zuzukleben. Wenn das Boot kenterte, fielen die Kokosnüsse ins Wasser und wir brauchten sie dann bloß wieder einzusammeln. Ein alter Minenarbeitertrick.«

»Schlau!«, stimmte der Pilot zu. »Sehr schlau. Wie viele hatten Sie denn dabei?«

»So an die hundert.«

»Was bedeutet das an Gewicht?«

»Etwa fünfundsechzig Kilo Gold und fünfzehn Kilo Diamanten.«

»Donnerwetter!« Der Baske pfiff voller Bewunderung durch die Zähne. »Was haben Sie dafür bekommen?«

»Etwas mehr als eine halbe Million Dollar«, antwortete McCracken und zuckte gleichgültig die Achseln. »Nicht gerade viel, wenn man bedenkt, dass wir dafür jahrzehntelang ein entbehrungsreiches Leben im gefährlichsten Dschungel der Welt führen mussten.« Er machte eine Pause. »Und dass es den tapfersten Mann, den ich je kannte, das Leben kostete.«

Jimmie staunte. »Eine halbe Million Dollar! Und da, wo wir hinwollen, gibt es noch mehr davon?«

»Viel mehr«, antwortete der Schotte. »Und wenn der Fluss nicht unser Flugzeug entführt, werden Sie Ihren Anteil schon kriegen.«

»Verdammter Fluss!«, fluchte Jimmie und wandte sich an den Missionar. »Haben Sie eine Ahnung, wie er heißt?«

»Ich bin mir nicht ganz sicher, aber wahrscheinlich ist es der Caroní«, erklärte der Baske. »Leider gibt es immer noch keine Karten von diesem Gebiet. Die Leute erzählen, dass die Armee die gesamte Gegend hier vermessen will, um den tatsächlichen Verlauf der Grenzen festzustellen, aber bislang ist noch nichts passiert.«

»Worauf warten sie denn eigentlich?«, fragte sich der Amerikaner. »Und wie kann es sein, dass ein zivilisiertes Land im zwanzigsten Jahrhundert nicht mal weiß, wo seine Flüsse, Berge und Grenzen liegen?«

»Sie sagen es! Ein zivilisiertes Land. Dieses Land hier ist zwar wunderbar, aber noch längst nicht zivilisiert«, erklärte der Missionar. »Wäre es das, gäbe es für Leute wie mich hier nichts zu tun. Aber das ganze Gebiet südlich des Orinoco ist zur Freibeuterzone erklärt worden, zu einer Art Niemandsland. Deshalb finden sich jetzt Verbrecher aus aller Herren Länder hier ein, die ganz genau wissen, dass die Justiz sie nicht verfolgt, wenn sie erst den Fluss überquert haben.« Er schnalzte mit der Zunge und warf dem Schotten einen warnenden Blick zu. »An Ihrer Stelle würde ich vorsichtiger sein. Wenn das Gesindel, das sich hier herumtreibt, erfährt, dass Sie John McCracken sind, wird man Ihnen das Fell über die Ohren ziehen, bis Sie verraten, wo diese legendäre Goldader liegt.«

»Ich werde Ihren Rat beherzigen. Natürlich war es schon immer das größte Problem, meine Identität zu verschleiern. Aucayma war eine allzu große Versuchung.«

»Sie glauben also auch an Aucayma?«, fragte der Missionar lächelnd.

»Das hat mit Glauben nichts zu tun«, entgegnete der Schotte. »Ich habe den Berg mit eigenen Augen gesehen. Deshalb bin ich wiedergekommen.«

Wenig später setzte der Dominikaner die beiden Abenteurer in seinem wackligen Kanu ans linke Flussufer über, wo sie ein Feuer anzündeten und sich eine herzhafte Reissuppe mit Piranha kochten.

Der Baske hatte sie beruhigt, was die gefürchteten Menschenfresser anging, und ihnen erzählt, dass dieses Gebiet nicht von Kannibalen, sondern vom friedlichen Stamm der piaroas, der noch nie jemandem etwas zuleide getan hatte, oder den extrem scheuen guaharibos bevölkert war, die höchstens einmal im Jahr von ihren Bergen herunterkamen, um Jaguarfelle gegen Töpfe und Macheten einzutauschen.

»Nicht mal die waicas im Süden sind wirklich so schrecklich, wie sie immer beschrieben werden. In der Zeit des Kautschukfiebers wurden sie regelrecht massakriert und mussten sich wehren. Die Kautschuksammler haben ihre Kinder gefangen genommen und aufs Grausamste verstümmelt oder getötet, wenn ihre Eltern nicht genug Kautschuksaft aus dem Dschungel lieferten.«

»Elende Hundesöhne!«, fuhr Jimmie auf. »Haben sie die Kinder wirklich getötet?«

»Die Frauen auch«, beteuerte der Missionar und seufzte laut. »Gott sei Dank ist der Kautschuk auf dem Weltmarkt fast nichts mehr wert, aber was in der Vergangenheit geschah, lässt sich nicht einfach rückgängig machen. Wir haben uns vorgenommen, alle Stämme der Gegend aufzusuchen und ihnen klar zu machen, dass auch sie Venezolaner sind und dieselben Rechte haben wie die Weißen.«

»Welche Rechte haben venezolanische Bürger denn, solange dieser Unmensch von Juan Vicente Gómez an der Macht ist?«, gab McCracken zu bedenken. »Soweit ich weiß, wirft er jeden, der ihm widerspricht, ins Gefängnis oder lässt ihn töten. Ohne seine Einwilligung darf hier keiner einen Finger rühren.«