»Nun…«, räumte Pater Orozco ein, und ein seltsames Lächeln spielte um seinen Mund. »Ich gehe davon aus, dass sich dieses Problem mit dem Tod des alten Tyrannen von allein lösen wird. Schließlich ist niemand unsterblich. Wir betrachten unsere Mission als eher langfristig. Die Menschen sterben, aber Gottes Wort bleibt. Und was mich angeht, ich muss erst einmal einen geeigneten Ort finden, um die Mission aufzubauen, bevor ich mit der seelsorgerischen Arbeit beginnen kann. Man muss nur Geduld haben. Eine gute Ernte braucht eben ihre Zeit.«
»Das Wasser scheint zu sinken.«
»Wie?«
»Das Wasser geht allmählich zurück«, wiederholte der Amerikaner und zeigte auf das Flugzeug. »Man kann bereits das Fahrwerk sehen.«
Zwei Stunden später tauchte die alte Sandbank freundlicherweise wieder aus dem Wasser auf. Jimmie fand, dass sie sofort starten sollten, um der kniffligen Lage mitten im Fluss zu entkommen.
»Glauben Sie, dass die Sandbank lang genug ist, um abzuheben?«, fragte Pater Orozco.
»Wenn Sie uns helfen, könnten wir es schaffen.«
»Ihnen helfen?«, erwiderte der andere verwundert. »Was könnte ich denn tun?«
»Wir vertäuen das Heck der Maschine an zwei Bäumen am Ufer. Wenn ich den Motor auf volle Touren gebracht habe, gebe ich Ihnen ein Zeichen. Sie kappen das Seil und wir starten.«
»Das scheint mir ziemlich riskant zu sein«, wandte der Missionar schüchtern ein.
»Entweder heben wir ab in die Luft oder wir gehen wortwörtlich baden«, antwortete der Pilot lachend.
»Und die Piranhas?«
»Was soll ich Ihnen sagen? Wenn wir sie zum Mittagessen verspeisen, ist es doch nur gerecht, dass sie uns zum Abendessen fressen.«
»Ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl, dass Sie nicht ganz richtig im Kopf sind«, erwiderte der Missionar. »Aber das gilt vermutlich für jedermann, der sich in dieser Gegend herumtreibt. Wir sollten uns an die Arbeit machen, bevor der Fluss es sich doch noch anders überlegt.«
Sie paddelten wieder hinüber zur Sandbank und befestigten ein langes Seil am Heck der Maschine, das sie an zwei kräftigen Bäumen zu beiden Seiten des Flusses vertäuten. Dann warf der Pilot den Motor an, damit er sich gemächlich Warmlaufen konnte.
Tausende von aufgeschreckten Vögeln erhoben sich kreischend in die Luft und eine ganze Kolonie von Wasserschweinen tauchte am rechten Flussufer auf, um neugierig die seltsamen Ereignisse zu beobachten, die sich in diesem entlegenen Winkel der Erde abspielten.
Sie verabschiedeten sich mit einer kräftigen Umarmung von dem Dominikaner, nachdem dieser die Maschine feierlich mit Weihwasser gesegnet hatte. Jimmie gab Vollgas und brachte den Propeller auf Touren, bis der Motor zu explodieren drohte. Erst dann senkte er den Arm.
Mit einem kräftigen Hieb seiner Machete durchtrennte Pater Benjamin Orozco das dicke Tau am Heck und die Maschine schoss wie ein Pfeil vorwärts. Man hatte fast den Eindruck, dass irgendetwas sie gebissen hatte, denn sie machte erst einen großen Satz nach vorn und raste dann, so schnell es der feuchte Sand auf der schmalen Insel erlaubte, los.
In Sekundenschnelle erreichte sie das Ende der improvisierten Piste und konnte gerade so viel Höhe gewinnen, dass ihre Räder das Wasser, das unter ihnen aufspritzte, nur streiften.
Es folgte eine Minute, die ihnen wie eine Ewigkeit vorkam und in der kein Berufsspieler auch nur einen Cent auf die alte Bristol gesetzt hätte.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit erhobenem Heck kopfüber wie ein Stück Blei ins Wasser plumpsten, war ebenso groß wie dass sie es schafften, zu fliegen. Und wieder einmal machte der Pilot seinem Namen alle Ehre. Er unternahm gar nicht erst den Versuch, am Steuerknüppel zu ziehen, um zu steigen. Er wusste nur allzu gut, dass das Hinterrad möglicherweise das Wasser berühren würde und die Maschine dann nicht mehr lenkbar wäre.
Fast dreihundert Meter weit flog er waagerecht in der Mitte des Flusses, hielt Distanz zu den Ufern und wartete, bis sich die Maschine von selbst aus der Gefahrenzone entfernt hatte.
Erst dann zog er das Flugzeug hoch, drehte einen weiten Bogen und flog über den Kopf des Missionars hinweg, wobei er ihm eine Kusshand zuwarf.
»So, und jetzt?«, rief er seinem Passagier zu.
»Nach Süden!«, antwortete dieser entschieden. »Einfach immer geradeaus, Richtung Süden.«
»Solange Sie zahlen, geben Sie den Ton an.«
Sie nahmen Kurs auf die hohen Tepuis, die sich am Horizont abzeichneten, und flogen mal über dichten Dschungel, dann wieder über sumpfiges Schwemmland oder die Savanne.
Am späten Nachmittag, ehe es dunkel wurde, landeten sie erneut, diesmal auf einem nach allen Richtungen offenen Plateau, auf dem es nicht die geringste Spur von menschlichem oder tierischem Leben gab.
Was Fremden sofort auffiel, wenn sie sich in diese abgelegene Gegend verirrten, war ihre bedrückende Leere, trotz des fruchtbaren Bodens, des milden Klimas und der saftigen Weiden. Es schien der ideale Ort für eine Vielzahl von Spezies zu sein, war aber aus unerklärlichen Gründen so gut wie unberührt geblieben.
Das Einzige, was es hier anscheinend im Überfluss gab, waren große Termitenhügel aus rotem Lehm. Hin und wieder streifte in der Ferne einer der ungenießbaren Tamanduas mit gesenktem Kopf vorbei, doch abgesehen von diesen seltsamen, fast komischen Ameisenbären und gelegentlich einer Schlange oder einem Gürteltier bekam man in der Weite der Savanne so gut wie nichts zu sehen.
»Wir werden uns heute Abend wohl mit ein paar Bohnen begnügen müssen.«
»Sieht ganz danach aus. Hier fände nicht mal die Göttin Diana einen Hasen, verdammt.«
Sie aßen ihre Bohnen, während die Sonne allmählich am Horizont versank und den Himmel rot färbte. Nachdem Jimmie eine ganze Weile den weiten Horizont beobachtet hatte, an dem nur ein paar verschwommene schwarze Flecken zu sehen waren, fragte er plötzlich:
»Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wo wir uns befinden?«
»In Venezuela.«
»Sehr witzig!«, entgegnete der Pilot. »Das ist mir klar. Ich meinte in Bezug auf die verfluchten Diamanten.«
»Nicht die geringste.«
Jimmie warf seinem Passagier einen langen forschenden Blick zu, als wollte er herausfinden, ob er tatsächlich die Wahrheit sagte oder ihn bloß anschwindelte.
»Verflixt und zugenäht!«, rief er, als er sich vergewissert hatte, dass der Schotte es ernst meinte. »Wenn ich unsere Lage optimistisch einschätze, haben wir bestenfalls noch für acht Stunden Sprit. Wie geht es dann weiter?«
»Wenn es nur noch für drei Stunden reicht, müssen wir umkehren und wieder nach Norden fliegen, bis wir auf den Orinoco treffen. Von da aus kann es nicht mehr sehr weit bis Ciudad Bolívar sein.«
»In westlicher oder östlicher Richtung?«
Der andere zuckte die Achseln und antwortete:
»Was spielt das für eine Rolle? Irgendwann müssen wir ja wohl drauf stoßen.«
»Liebe Güte!«, antwortete der König der Lüfte. »Wir wissen weder, wohin die Reise geht, noch wie wir zurückkommen. Na prima!« Wie üblich zündete er sich in aller Ruhe seine alte Pfeife an, blies eine Rauchwolke aus und fügte hinzu: »Wissen Sie zufällig, ob es in Ciudad Bolívar eine Landepiste gibt?«
»Nein. Aber wenn ich mich recht erinnere, ist das andere Flussufer von Flachland gesäumt.«
»Wie tröstlich!«
»Bereuen Sie, dass Sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen haben?«
»Ob ich es bereue? Nein, ganz und gar nicht. Wie gesagt, solange ich fliegen kann, ist mir alles andere egal. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mich mal im Sinai verirrt habe. Das war wirklich schlimm! Noch heute wundere ich mich, wie ich auf dem steinigen Boden überhaupt landen konnte. Und als ich unten war, wurde mir schnell klar, dass ich niemals wieder starten könnte. Drei Tage habe ich damit verbracht, den sandigen Boden von Steinen zu säubern, während am Horizont die türkischen Militärkonvois vorbeizogen. Wie durch ein Wunder haben sie mich nicht entdeckt.«