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Der Wind sang.

Er pfiff.

Er heulte.

Die Maschine zitterte vom Bug bis zum Heck.

Vor Kälte oder Angst.

Rapide verloren sie an Geschwindigkeit und wurden immer schwerer.

Unaufhaltsam kam die Felswand näher.

O Gott! O Gott!

Der Schatten des Todes eilte mit der Sense in der Hand zum steilen Abgrund des Tafelberges und wartete auf seine Beute.

Sie konnten ihn im dichten Nebel erkennen, mit seinem schwarzen Umhang und dem Totenschädel.

O Herr! O Herr!

Sie rasten auf die Felswand zu.

Im letzten Augenblick zog Jimmie den Steuerknüppel sachte an und richtete den Bug der Maschine so weit auf, dass sie sich ein paar Meter in die Luft erhob und das Fahrwerk nur wenige Zentimeter über den Rand des Abgrunds hinwegglitt.

Nach weiteren zehn Metern setzte die schwere Maschine auf dem festen, steinigen Boden auf wie ein riesiger tollpatschiger Albatros.

Dann rollte sie ziellos im Nebel weiter, bis sie endlich zum Stehen kam.

Eine lange Zeit, die ihnen wie eine Ewigkeit erschien, regte sich nichts.

Wie versteinert saßen beide Männer in der Maschine, unfähig, den kleinsten Muskel zu rühren. Vielleicht konnten sie es immer noch nicht fassen, dass sie mit dem Leben davongekommen waren.

Schließlich hörte man eine heisere Stimme murmeln:

»Endstation!«

»Wie fühlen Sie sich?«

»Ich hätte nie gedacht, dass man so viel Angst und so viel Freude zugleich empfinden kann.«

»Verstehen Sie langsam, was Fliegen bedeutet?«, fragte Jimmie. »Wenn man ein Flugzeug steuert, spürt man, wie klein und nichtig man angesichts der großen weiten Welt ist. Aber gleichzeitig hat man das Gefühl, man hält das eigene Schicksal in der Hand.«

Er sprang aus dem Cockpit, trat einige Schritte vor und blieb dann vor dem Abgrund stehen, um auf die Wolken hinabzusehen.

»Eines Tages werde ich meinen Enkeln erzählen, wie ich auf dem Dach der Welt gelandet bin.« Er drehte sich um und sah zu dem Schotten auf, der unendlich langsam aus der Maschine kletterte. »Und Sie wollen mir weismachen, dass Sie schon einmal hier waren?«

Sein Passagier schüttelte unbehaglich die Beine und kam auf ihn zu.

»Ja, vor vielen Jahren«, antwortete er. »All Williams und ich brauchten eine ganze Woche, um die Steilwand raufzuklettern.«

»Man muss schon ziemlich verrückt sein, um sowas zu wagen! Aber was haben Sie denn? Warum schütteln Sie denn so entsetzlich die Beine?«

»Weil ich mir vor lauter Angst in die Hose gepisst habe«, erklärte der Schotte fröhlich. »Na ja, es hätte noch schlimmer kommen können. Ich war sicher, dass wir gegen den Berg prallen.«

»Ich auch.«

»Was man über Sie erzählt, ist ja noch untertrieben. Ihre Nerven möchte ich haben, alle Achtung!«

»Sie sind aber auch nicht ohne. Eine solche Wand zu erklimmen! Wie sind Sie denn darauf gekommen?«

»Wir hatten Goldspuren am Fuß der Felswand gefunden und waren zu dem Schluss gekommen, dass es hier oben noch mehr geben musste.«

»Was für Spuren waren das?«

»Kleine Goldnuggets, wie man sie sonst in Flüssen findet. Oft liegen sie schon seit Jahrhunderten auf dem Grund eines Flusses, aber meistens stammen sie von einer Goldader im Oberlauf. Wir sind auf den Berg geklettert und haben die Goldquelle gefunden. Und nicht nur Gold, sondern auch Diamanten.«

Der König der Lüfte ließ seinen Blick über das Plateau des Tafelbergs schweifen. Schließlich pfiff er durch die Zähne und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Und diese geheimnisvolle Ader soll wirklich hier liegen?«

»So ist es.«

»Das glaube ich nicht!«

»Morgen werden Sie es mit eigenen Augen sehen.«

»Na schön. Aber wenn wir bis morgen warten müssen, dann sollten wir die Maschine vertäuen, falls der Wind zunimmt. Sonst wird sie uns noch über den Abgrund geweht.«

Sie machten sich unverzüglich an die Arbeit, verkeilten die Räder und befestigten die Tragflächen mit Seilen an scharfzackigen Felsen. Dann spannten sie die Plane auf, die ihnen als Dach diente, und machten es sich darunter gemütlich, um auf die raue Nacht zu warten.

Doch so rau war sie gar nicht.

Sobald sich die Dunkelheit über sie herabgesenkt hatte, legte sich der Wind, die Wolken lösten sich auf und am sternenübersäten Himmel erschien eine schmale Mondsichel. Plötzlich hatten sie das Gefühl, tatsächlich vor den Toren des Himmels zu stehen.

Die Stille schmerzte beinahe.

Nicht das leiseste Säuseln einer Brise war zu hören, kein Vogelzwitschern, kein Raubtier, das auf der Suche nach Beute brüllte.

Nichts.

Hier oben auf dem Gipfel eines gottverlassenen Tepui inmitten des Escudo Guayanés herrschte einzig die Stille. Und wenn es zwischen den Felsen einen Spalt mit genügend Erde gegeben hätte, um auch nur einen einzigen Grashalm sprießen zu lassen, hätte man ihn wachsen hören können.

Da sie kein Auge zutun konnten, setzten sie sich an den Rand des Abgrunds und beobachteten schweigend den Dschungel, der sich unter ihnen wie ein dunkler Schatten in alle Himmelsrichtungen ausbreitete.

Der große Fluss, der sich durch den Urwald schlängelte, funkelte im Schein des aufgehenden Mondes und zum ersten Mal seit langer Zeit überkam die Männer ein seltenes, wohliges Gefühl grenzenlosen Friedens.

»Wissen Sie was? Ich habe über die Geschichte nachgedacht, die Sie neulich erzählt haben«, sagte McCracken nach einer Weile.

»Über welche denn? Ich habe Ihnen jede Menge Geschichten erzählt.«

»Die von dem Sanitätslaster und der Krankenschwester«, erklärte der Schotte. »Wie kann man sich in eine Frau verlieben, mit der man kein einziges Wort gesprochen hat? So sehr ich mir den Kopf darüber zerbreche, ich kann es einfach nicht verstehen.«

»Ich habe es auch nie verstanden«, gestand der Amerikaner offen. »Ich weiß, dass es ziemlich absurd klingt, aber nachdem ich lange darüber nachgedacht hatte, bin ich zu folgendem Schluss gekommen: Es spielt überhaupt keine Rolle, ob eine Frau hübsch oder hässlich, dumm oder intelligent, sympathisch oder abstoßend ist. In der Stunde der Wahrheit ist das alles nebensächlich. Das Einzige, worauf es ankommt, ist die Haut. Wie sie sich anfühlt, wie sie riecht und vor allem, wie sie auf die Berührung reagiert. Das ist es, was zählt.«

»Das steht aber im völligen Widerspruch zu allen romantischen Theorien in der Literatur«, wandte McCracken lächelnd ein. »Wenn es nach Ihnen ginge, wäre die platonische Liebe nichts als Humbug, den jemand erfunden hat, der noch nie zum Zug gekommen ist.«

»Unsinn!«, protestierte der Pilot. »Natürlich gibt es die platonische Liebe. Und auch jede Menge andere Arten von Liebe. Nur war mir von Anfang an klar, dass sie alle für mich keine Bedeutung haben. Für mich zählt nur die körperliche Liebe, eine beinahe krankhafte Leidenschaft, wenn Sie so wollen. Die Sehnsucht nach etwas sehr Konkretem, das ich erlebt habe, aber nie wieder erleben werde, außer in meinen Träumen.« Er zögerte und fragte dann: »Waren Sie noch nie verliebt?«

McCracken brauchte eine Weile, bevor er antworten konnte.

»Nein, niemals!«, gab er schließlich zu. »Meine ganze Jugend habe ich damit verbracht, durch den Dschungel und die Berge zu marschieren, und als ich schließlich in die Zivilisation zurückkehrte, war ich dermaßen deprimiert und entmutigt, dass ich nur noch ans Trinken dachte, um nicht über all das nachdenken zu müssen, was ich hinter mir gelassen hatte.«