»Das tut mir Leid für Sie.«
»Ich habe ein Vermögen mit den schönsten und teuersten Frauen der Welt ausgegeben«, fuhr der Schotte fort, ohne auf die Unterbrechung zu achten. »Aber niemals haben sie mir auch nur eine Nacht beschert, die so herrlich gewesen wäre wie diejenigen, die ich mit meinem Freund All Williams am Lagerfeuer verbracht habe. Für mich gab es wahre Liebe nur als Freundschaft, auch wenn Sie mir da sicher widersprechen werden. Als bedingungslose, saubere Freundschaft zwischen zwei Männern.«
»Ich fand es schon immer besser, keine Freunde zu haben«, erklärte der Pilot offen. »In meinem Beruf, vor allem in Kriegszeiten, tut man gut daran, Distanz zu wahren, um vor allzu schmerzlichen Erfahrungen gefeit zu sein. Aus meinem Geschwader haben nur zwei Jungs überlebt.«
»Trotzdem fliegen Sie weiter.«
»Mir ist klar, dass ich am Steuerknüppel einer Maschine sterben werde, aber diesen Tod habe ich mir selbst ausgesucht. Ich will nicht mitansehen müssen, wie ein Mensch, der mir nahe ist, stirbt.«
»Bestimmt wird das Fliegen eines Tages bequemer und sicherer sein, aber im Augenblick sind Piloten offenbar so etwas wie Versuchskaninchen. Die Verluste sind jedenfalls hoch.« Er suchte trotz des spärlichen Lichts Jimmies Blick. »Was haben Sie davon, wenn Sie ständig Ihr Leben riskieren?«
Jimmie musste grinsen, als machte er sich über sich selbst lustig, und deutete mit dem Kinn auf die alte Maschine.
»Diese Kiste da und eine Hand voll Dollar! Aber wenn es stimmt, was Sie ständig sagen, werde ich bald ein reicher Mann sein, oder etwa nicht?«
»Morgen schon, das können Sie mir glauben.«
»Wenn das so ist, sollten wir versuchen, ein bisschen zu schlafen. Ich kann es kaum erwarten, dass es Morgen wird.«
Doch der Morgen ließ auf sich warten.
Zwar war am Horizont die Sonne längst aufgegangen, doch versuchte sie vergeblich, die dichte graue Wolkenwand zu durchdringen, die sich erneut über den Tafelberg gelegt hatte. Der Nebel war so dicht, dass man die Hand vor Augen nicht sah.
Als Jimmie aufwachte und merkte, dass er allein war, schreckte er hoch.
Er trat unter der improvisierten Zeltplane hervor, kniff die Augen zusammen, um im Dunst etwas zu erkennen, und schrie dann aus vollem Hals: »McCracken! Wo zum Teufel stecken Sie?«
Nach einer Weile antwortete eine ferne Stimme, von der man nicht sagen konnte, aus welcher Richtung sie kam.
»Ich bin hier! Machen Sie sich keine Sorgen!«
»Was tun Sie da?«
»Ich mache uns reich!«, lautete die fröhliche Antwort.
»Ihr Wort in Gottes Ohr«, murmelte der Amerikaner und zündete den kleinen Spirituskocher an, um Kaffee zu machen.
Er hatte bereits zu Ende gefrühstückt und war gerade dabei, sich die Pfeife zu stopfen, als er die Stimme des Schotten hörte.
»Wo zum Teufel stecken Sie?«
»Na hier. Direkt vor Ihrer Nase.«
»Das ist mir klar, aber was zum Teufel heißt hier! Ich kann nicht mal die Hand vor Augen sehen, und wenn ich nicht aufpasse und einen falschen Schritt mache, stürze ich womöglich noch in die Tiefe.«
»Ich glaube, dass Sie direkt vor mir stehen. Nur noch etwas mehr nach rechts.«
»Hören Sie nicht auf zu sprechen, damit ich mich an Ihrer Stimme orientieren kann.«
»Was soll ich sagen? Haben Sie die Mine gefunden?«
»Jawohl!«
»Heißt das, dass wir jetzt tatsächlich reich sind?«
»Ich schon!«, gab der andere zurück und lachte. »Sie nicht ganz so sehr.«
Kurz darauf tauchte er wie ein Gespenst aus dem Nebel auf, in jeder Hand einen Bastkorb, die er dem Amerikaner vor die Füße stellte.
»Da!«, sagte er mit einem breiten Grinsen.
Der König der Lüfte merkte nicht einmal, dass ihm die Pfeife aus dem Mund fiel und die Augen aus den Höhlen traten, als er den Inhalt der beiden Körbe inspizierte, der nur wegen des kärglichen Lichts nicht funkelte.
»Liebe Güte!«, rief er fassungslos. »Das ist doch nicht möglich!«
»O doch«, versicherte sein Reisegefährte, setzte sich neben ihn und schenkte sich Kaffee ein. »Ich sagte Ihnen doch, dass es eine sehr ungewöhnliche Ader ist. Gold und Diamanten, alles auf einmal. Nicht mal wir selbst wollten es glauben, als wir sie damals entdeckten, und wir kennen uns in unserem Beruf aus. So etwas kommt in der Natur so gut wie nie vor.«
»Wie viel wird das sein?«
»Schätzungsweise fünfunddreißig Kilo Gold und sechs Kilo Diamanten.«
»Sie haben in knapp über einer Stunde sechs Kilo Diamanten gesammelt?«, rief der Pilot ungläubig. »Das kommt mir vor wie ein Traum.«
McCracken nickte. »Es ist tatsächlich einer. Obwohl es in Wahrheit eher eine Legende ist. Die guaharibos glauben, dass die Erde zu Anbeginn der Zeiten ein unfruchtbarer Ort war. Eines Tages jedoch beschlossen das Gold, das die Sonne darstellte, und die Diamanten, ein Symbol für Eis, sich auf dem Gipfel des Heiligen Berges zu vermählen. Die Sonne brachte mit der Wärme ihrer Liebe das kalte Herz der Diamanten zum Schmelzen. So entstand das Wasser, das in Gestalt des Vaters aller Flüsse den Boden fruchtbar machte, damit er Pflanzen hervorbrachte, von denen sich später die Tiere und Menschen ernähren sollten.«
»Eine schöne Legende.«
»Und wie in jeder Legende steckt auch in ihr ein Körnchen Wahrheit«, deutete der Schotte an. »Manche Leute behaupten, die Ureinwohner Amerikas seien über Alaska aus Asien gekommen. In Alaska sind die Berge von Eis bedeckt, bis es in der Frühlingssonne schmilzt und sein Wasser die Felder überschwemmt. Ich glaube, hier liegt der Ursprung der Legende von Aucayma.«
Jimmie nickte. »Könnte sein.«
»Ja. Und genauso ist es mit dem Fluch, der besagt, dass derjenige, der den Vater aller Flüsse zu sehen bekommt, den nächsten Vollmond nicht erleben wird.« Er schwieg eine Weile, in Gedanken an längst vergangene Zeiten versunken. »All Williams ist bei Vollmond gestorben, wenige Tage nachdem er mir erzählt hatte, dass er den Vater aller Flüsse gesehen hat.«
»Fallen Sie wirklich auf einen so dummen Aberglauben herein?«
»Wer wenn nicht ich hätte einen Grund, daran zu glauben?«, gab McCracken traurig zurück. »Ich habe meinen besten Freund verloren, das ist die härteste Probe, auf die man einen Menschen stellen kann.« Er deutete mit dem Kinn auf die Bastkörbe, die vor ihnen auf dem Boden standen. »Deshalb werde ich nur das mitnehmen, was ich brauche, um ein sorgloses Leben zu führen. Ich will nicht mit einem Fluch leben müssen.«
»So ein Unfug!«, wandte der Amerikaner ein. »Wir könnten noch viel mehr transportieren.«
McCracken zögerte mit seiner Antwort. Er fuhr sich mit der Hand über den ungepflegten Bart und blinzelte; ob aus Erschöpfung oder Nervosität, war nicht ganz klar. Schließlich schüttelte er energisch den Kopf.
»Nein! Das genügt. Habgier führt nur ins Verderben und ich war noch nie habgierig.«
»Aber wenn wir Gold und Diamanten hier lassen, hat niemand etwas davon!«
»Das ist mir klar. Doch wenn Gott sie hier haben wollte, dann sollten sie auch hier bleiben. Vielleicht werden sie eines Tages jemanden, der wie All und ich durch die Hölle gegangen ist, für seine Mühen entschädigen.«
»Ich begreife das nicht«, antwortete Jimmie verwirrt. »Das will mir einfach nicht in den Kopf! In nur einer Stunde könnten wir doppelt so viel da rausholen und Sie wollen es hier lassen, an einem Ort, an den sich vielleicht kein Sterblicher je wieder verirren wird?«
»So ist es. In einer Stunde könnten wir doppelt so viel herausholen, in zwei Stunden dreimal so viel. Und so weiter und so weiter, nur weil die Habgier keine Grenzen kennt.« Der Schotte sah Jimmie in die Augen. »Dabei habe ich Habgier schon immer verachtet.«
»Nun, ich halte mich nicht gerade für habgierig«, protestierte der Pilot gekränkt. »Aber irgendwie ist es nicht fair, wenn man bedenkt, dass ich nur zehn Prozent abkriege. Dabei liegt anscheinend nur einen Steinwurf von hier entfernt jede Menge davon.«