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»Dann kam Buffalo Bill.«

»Buffalo Bill? Der berühmte Buffalo Bill aus dem Wanderzirkus?«

»Von wegen! Er war nur ein Clown, eine groteske Karikatur der eigentlichen Tragödie. Eine Hyäne, die sich von Aas ernährte. Ein Hochstapler, der sich selbst ein Denkmal setzte, indem er auf Berge von toten Büffeln kletterte, die andere vor ihm geschossen hatten. Millionen von Tieren wurden einfach niedergemetzelt!«

»Millionen?«, wiederholte ihr Reisegefährte überrascht. »Sie wollen mir weismachen, dass man hier Millionen von Büffeln geschossen hat?«

»Mehr oder weniger. Es waren Millionen Tonnen von erstklassigem Fleisch; es hätte den Hunger all dieser Familien stillen können, die jetzt durchs Land ziehen und um ein Stück Brot betteln müssen. Während meiner Jugend hat man auf diesen Prärien so viel Fleisch verfaulen lassen, dass man eine ganze Generation damit hätte ernähren können.«

»Aber warum?«

»Weil ein sturer General auf die Idee kam, dass man die Indianer am leichtesten ausrotten kann, wenn man ihnen ihre Hauptnahrungsquelle nimmt. Natürlich war es viel leichter, die armen Tiere abzuschlachten, als sich mit den Indianern auf einen langen und verlustreichen Kampf einzulassen. Also hat er befohlen, die Tiere auszurotten.«

»Das ist ja entsetzlich!«

»Ja, das ist es und der Preis, den die Menschen für diesen Wahnsinn bezahlen, ist verdammt hoch.«

Die elegante Dame schien eine kleine Stärkung zu brauchen. Vorsichtig legte sie die Zigarre auf dem Rand des Aschenbechers ab und nahm aus ihrer Handtasche einen Flachmann mit zwei kleinen silbernen Bechern.

»Wie wäre es mit einem Cognac?«, fragte sie und schenkte ein.

»Danke.«

Sie beugten sich vor und stießen wortlos an. Dann füllte die alte Dame die kleinen Becher erneut und beide lehnten sich in die weichen Polstersitze zurück.

»Büffelleder!«, erklärte sie und strich über die Armlehne ihres Sitzes. »Echtes Büffelleder, so gut wie unverwüstlich. Das Einzige, was von diesen stolzen Tieren übrig geblieben ist. Soll ich fortfahren?«

»Ich bitte darum!«

»Na schön. Wie gesagt, sie haben die Büffel und die Indianer ausgerottet, um Platz für die Siedler zu schaffen, die das Land unter sich aufteilten und bebauten, zum Wohl der Allgemeinheit und des Staates. So zumindest lautete die offizielle Version und diese Richtlinien wurden bis ins kleinste Detail ausgeführt. Sie teilten das Land unter sich auf und machten sich an die Arbeit.«

»Und dann?«

»Zu Anfang lief alles wie geplant. Die fleißigen Siedler bearbeiteten den Boden, säten und bewässerten die Felder. In den Flüssen gab es ja reichlich Wasser. Aber Mais, Weizen, Korn oder Baumwolle brauchten viel mehr Wasser als das Gras, das früher auf der Prärie wuchs, und so wurde das Wasser schon bald knapp. Bis eines Tages plötzlich die Dürre über uns hereinbrach. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, es war in dem Jahr, als meine Rosalyn geheiratet hat. Die Dürre war katastrophal. Angeblich weil sich das Wasser des Pazifiks allzu stark aufgewärmt hatte. Erst da haben wir erkannt, dass sich der Boden unter unseren Füßen praktisch auflöst, wenn er austrocknet und nicht von den Graswurzeln zusammengehalten wird.«

»Was meinen Sie mit auflösen?«

»Die Erde zerfiel zu Staub. Zu feinem Staub. Tausende von Jahren hatte das Gras sie vor Sonne und Wind geschützt. Die Büffel wiederum hatten die Prärie gepflegt. Ohne Schutz und Pflege wurde die Erde zu Staub.«

»Ich hätte nicht gedacht, das so etwas möglich ist«, erklärte McCracken verwirrt.

»Tja, hier jedenfalls ist es genau so passiert. Wie Sie bestimmt wissen, bevorzugt der Wind weite flache Ebenen wie diese.«

»Klar.«

»Ja, das leuchtet ein. Aber früher hat der Wind höchstens das Gras, die Mähne der Pferde oder den Federschmuck der Indianer durcheinander gebracht. Jetzt wirbelt er die schutzlose Erde bis zum Himmel auf.« Die alte Frau stöhnte. »Es ist wie eine der biblischen Plagen. Der Wind nimmt von Tag zu Tag zu und hüllt die Sonne, Felder, Dörfer, Städte, ja ganze Bundesstaaten in Staub. Er hat sich in die größte Naturkatastrophe verwandelt, die dieser Kontinent jemals erlebt hat.« Sie deutete mit dem Kinn nach draußen. »Da ist er, unser größter Feind, der Staub, verantwortlich für den Verlust von Abermillionen Hektar fruchtbaren Weidelands.«

»Merkwürdig«, gab McCracken zu, der von den Ausführungen der alten Frau tief beeindruckt schien. »Merkwürdig und furchterregend zugleich. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, etwas, das ich immer als ein schlichtes Wetterphänomen betrachtet habe, direkt auf die Handlungsweise des Menschen zurückzuführen.«

»Nun, so ist es aber«, beharrte seine Gesprächspartnerin und nahm einen tiefen Zug, der ihre Lungen bis zum Rand füllte. »Zum Glück erkannte mein Mann, übrigens der klügste Mensch, den ich je kennen gelernt habe, an dem Morgen, als er einen kleinen Tornado beobachtete, der am Horizont vorbeizog, die bevorstehende Gefahr. Es war nicht der Erste, den er sah, trotzdem fiel ihm der Unterschied sofort auf. Das war kein gewöhnlicher Wirbelsturm, der kurz Laub und Insekten aufwirbelt und dann verschwindet. Nein, er war wie ein riesiger Staubsauger, der drei oder vier Tage hintereinander wütete, die gesamte Erde verschluckte und sogar die Sonne verdunkelte.«

Die Alte schien diesen Augenblick, der ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte, noch einmal zu durchleben.

»Noch am gleichen Abend hat mein Mann gesagt: ›Wir ziehen hier weg!‹« Sie ahmte die Stimme ihres verstorbenen Mannes nach.»›Gleich morgen früh verkaufe ich alles und wir verlassen diesen verwünschten Ort.‹ Ich versuchte, es ihm auszureden. Ich wandte ein, dass es unser Land sei, unser Zuhause, wo unsere Kinder und Kindeskinder geboren wurden, aber es half nichts. Zum Glück hörte er nicht auf mich. Er behauptete, die Tornados seien ein Zeichen dafür, dass Gott mit den Menschen haderte, weil sie sein Werk zerstört hatten. Er war fest davon überzeugt, dass Gott ihm ein Zeichen gesandt hatte. Also verkauften wir alles und zogen nach Philadelphia.«

»Es muss sehr schwer für Sie gewesen sein«, bemerkte McCracken.

»Aber nicht so schwer wie für diejenigen, die geblieben sind. Irgendwann waren ihr Land, ihre Farmen und Häuser nichts mehr wert. Als die Ernte ausblieb, mussten sie Kredite aufnehmen, doch da der Wind nicht aufhörte, bekamen am Ende alles die Banken.«

»Typisch! Am Ende profitieren immer die Banken vom Unglück der anderen.«

»Nicht in diesem Fall«, widersprach die alte Dame leichthin. »Die Banken haben zwar alles bekommen, aber was sollten sie mit dem Staub anfangen? Was sollten sie mit dem Land tun, auf dem nichts mehr wuchs? Die großen Landwirtschaftsbanken im Mittleren Westen verfügten über riesige Ländereien, aber es war totes Kapital, weil sie nichts mehr wert waren. Und da die Banken nicht mehr flüssig waren, gingen sie eine nach der anderen Bankrott. Mein Mann, der wie gesagt überaus klug war, hat sofort erkannt, dass die Pleitewelle bald auch die Industriebanken erfassen würde, da sie irgendwie alle miteinander zusammenhingen.«

»Klingt logisch.«

»Ist es auch. Gleichzeitig hat Thomas beobachtet, dass die Werte an den Börsen viel zu hoch gehandelt wurden. So kam er wenig später zu dem Schluss, dass der große Crash nur noch eine Frage der Zeit war. Er verkaufte unsere Aktien und legte das Kapital in Gold an. Ein Jahr später kam der Crash tatsächlich. Aber er hat ihn leider nicht mehr erlebt. Drei Monate vorher ist er gestorben.«

»Ein beeindruckender Mann, ohne Zweifel.«

»Der beeindruckendste, dem ich je begegnet bin. Der beste und vorsichtigste, aber gleichzeitig auch der mutigste. Dass ich heute nicht zu den vielen gehöre, die in diesem trostlosen Land ziellos umherziehen und betteln müssen, habe ich nur ihm zu verdanken.«

Beide schwiegen und starrten aus dem Fenster auf die schattenhafte Ruine eines Gebäudes, das plötzlich neben den Gleisen aufgetaucht war. Während sie daran vorbeifuhren, wurde es von einer riesigen Staubwolke wie von einem apokalyptischen Ungeheuer verschluckt.