»Es war großartig, nicht wahr?«
»Großartig? Es war Wahnsinn!«
»Was sonst hätten wir machen sollen? Sie waren es doch, der da oben landen wollte. Irgendwie mussten wir dann ja auch wieder wegkommen.«
»Das ist allerdings richtig. Und ich habe es niemals bereut. Wäre ich nicht so alt und müde, würde ich Sie glatt bitten, es noch einmal zu versuchen.«
»Wer sagt, dass Sie alt und müde sind? Sie sehen blendend aus«, widersprach der König der Lüfte.
»Lieber Freund, der Schein trügt«, erklärte McCracken traurig. »Ich komme gerade aus Houston, wo es die besten Krebsspezialisten der Welt gibt, wie Sie vielleicht wissen.« Er lächelte bitter und schüttelte den Kopf. »Zumindest waren sie ehrlich. Man gibt mir noch ein Jahr.«
Jimmies gute Laune verflog augenblicklich, als er diese grausame Neuigkeit vernahm. Sichtlich erschüttert starrte er seinen einstigen Abenteuergefährten an.
Eine Weile brachte er kein einziges Wort heraus und schließlich stotterte er: »Ddas tut mir Leid! Sehr Leid! Auch wenn unsere Freundschaft kurz war, sind Sie mir ans Herz gewachsen.«
»Ich weiß, mein Lieber, ich weiß. Wenn Gefühle erwidert werden, dann weiß man, dass sie echt sind. Auch ich mag Sie sehr und deshalb bitte ich Sie, nicht traurig zu sein.«
»Es fällt mir schwer, mich damit abzufinden, dass Ihnen nur noch ein Jahr bleiben soll.«
»Sie selbst setzen Ihr Leben täglich aufs Spiel und ich habe mich mit meinem Schicksal bereits versöhnt. Irgendwie finde ich die Vorstellung gar nicht mal schlecht, All Williams wiederzutreffen. Hier unten gibt es nichts mehr, was mich interessiert.«
»Sie haben sich nicht verändert.«
»Wir waren ein gutes Gespann, nicht wahr? Können Sie sich noch erinnern, wie wir durch den Fluss gewatet sind, in dem es von Piranhas wimmelte, und uns in die Hosen gemacht haben vor Angst, die Menschenfresser am anderen Ufer würden uns überfallen? Das waren noch Zeiten!«
»Ja, es war wunderbar. Ich träume oft davon.«
»Sie sind immer noch der alte Träumer. Wenn es Ihnen so gefallen hat, warum kehren Sie nicht allein zurück?«
»In die Gran Sabana? Wozu?«
»Um nach der Goldader auf dem Tepui zu suchen, die Sie reich machen würde.«
Es folgte ein langes Schweigen, in dem sich die beiden nur ansahen. Offenbar fragte Jimmie sich, ob er sich verhört hatte.
»Was meinen Sie damit?«, hakte er schließlich mit brüchiger Stimme nach.
»Genau das, was ich gesagt habe«, gab McCracken lässig zurück.
»Es würde Ihnen nichts ausmachen, wenn ich Ihre Goldader suche?«
»Aber nein! Für das bisschen Leben, das mir noch bleibt, habe ich mehr als genug Diamanten. Es wäre nicht fair von mir, dieses Geheimnis mit ins Grab zu nehmen. Ich habe nie geheiratet und daher auch keine direkten Erben.«
»Warum gerade ich?«
»Weil Sie schon einmal dort waren und ich Sie schätze. Und weil es ein Wink des Schicksals sein muss, dass ich Ihnen hier über den Weg laufe, nachdem man mir gerade mitgeteilt hat, dass es mit mir zu Ende geht. Und weil mir eine alte Dame gerade erst klar gemacht hat, dass man dem Wink des Schicksals folgen muss.« Er streckte die Hand aus und drückte den Arm des Piloten. »Ich schenke Ihnen die Ader.«
Minutenlang saß Jimmie reglos da, während er darüber nachdachte, wie grundlegend dieses Angebot sein Leben verändern konnte.
»Sie meinen es ernst, nicht wahr?«, fragte er schließlich.
»Glauben Sie, dass ich Witze mache, jetzt, da ich mit einem Bein schon im Grab stehe?«, gab McCracken lächelnd zurück. »Was hätte ich von der Gewissheit, theoretisch als reicher Mann zu sterben? Lieber verabschiede ich mich im Wissen, dass ich einen anderen Menschen glücklich gemacht habe. Ich schenke Ihnen die Goldmine unter zwei Bedingungen.«
»Die da wären?«
»Erstens, dass Sie die Ader nicht ausbeuten. Nehmen Sie sich, was Sie brauchen, um ein angenehmes Leben zu führen, aber seien Sie nicht habgierig. Sie wissen ja, wie sehr ich Habgier verabscheue.«
»Das verspreche ich. Und die zweite?«
»Dass Sie zehn Prozent von dem, was Sie dort herausholen, benutzen, um das Elend in diesem Landstrich zu lindern. Zum Gedenken an All Williams.«
»Ich schwöre es.«
»Sie brauchen nicht zu schwören«, erwiderte der Schotte. »Ich weiß, dass Sie es tun werden.«
»Heiliger Strohsack! Jetzt bin ich Besitzer einer Gold- und Diamantenader!«, rief Jimmie im Überschwang des Gefühls.
»Wenn Sie verantwortungsbewusst damit umgehen, werden noch Ihre Kindeskinder etwas davon haben.«
Jimmie stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Aber wie soll ich sie finden?«, fragte er. »Sie haben mich damals so viele Runden drehen lassen, dass ich nicht mal mehr wusste, wo oben und unten ist. Ich hatte die Orientierung völlig verloren.«
»Sie liegt auf dem Gipfel eines Tafelberges, etwa dreihundert Kilometer südlich des Orinoco und fünfzig östlich des Río Caroní.«
»Dreihundert Kilometer südlich des Orinoco und fünfzig östlich des Río Caroní«, wiederholte der Pilot, als müsste er sich die Daten ins Gedächtnis einbrennen. »Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher. Ich verliere niemals die Orientierung. Das kommt daher, dass ich so viele Jahre im Dschungel verbracht habe. Es sind genau die Koordinaten, an denen der Tafelberg liegt. Und oben auf dem Tepui liegt auch der Schatz, wie Sie wissen.«
»Und wo muss ich suchen, wenn ich heil da oben gelandet bin?«
»Sie folgen dem Lauf des Baches, bis er nach links abbiegt und einen kleinen Tümpel bildet. Man sieht ihn kaum, weil er von schroffen schwarzen Felsen umringt ist, die sich in seinem Wasser spiegeln. Genau dort in einer tiefen Höhle sind das Gold und die Diamanten versteckt.«
»Ist es viel?«
»Sehr viel. Erheblich mehr als das, was wir bereits geborgen haben.« McCracken sah Jimmie an und fragte: »Wollen Sie den Berg ernsthaft suchen?«
Jimmie schlug das Revers seiner Lederjacke um und zeigte ihm die kleine Figur, die sich darunter verbarg.
»Erinnern Sie sich?«, fragte er. »Das Abzeichen für das Geschwader des Goldenen Reihers, das Sie damals selbst gegründet haben. Ich weiß nicht warum, aber ich hatte immer das Gefühl, dass diese Geschichte noch nicht abgeschlossen war, obwohl seitdem elf Jahre vergangen sind. Ich trage es stets bei mir. Mein Schicksal liegt in diesem Dschungel, das ist mir klar.«
McCracken warf einen Blick auf den goldenen Ehering an seinem Finger.
»Und Ihre Frau? Was wird sie dazu sagen?«
»Das frage ich mich allerdings auch. Virginia wird alles andere als begeistert sein. Sie sucht das Glück innerhalb der Grenzen ihres häuslichen Gartens. Sie wird ihr Schicksal in einem kleinen weißen Haus am Stadtrand von Springfield, Colorado, beenden.«
Das Haus war eher weitläufig, sehr hübsch und lag vor neugierigen Blicken und Lärm geschützt auf einem kleinen Hügel abseits der Hauptstraße.
Vor allem sein gepflegter Garten fiel ins Auge. Die üppigen, farbenfrohen Blumenbeete waren stumme Zeugen für die Aufmerksamkeit, die man ihnen angedeihen ließ. Das traf auch für den schmucken weißen Pavillon zu, der die Landschaft beherrschte. Dort saß der König der Lüfte in einem riesigen bequemen Korbsessel, den Kopf in die halbrunde Rückenlehne gebettet, und betrachtete gedankenverloren die am Horizont untergehende Sonne.
Es war fast schon dunkel, als eine hübsche, schlanke Frau mit knochigem Gesicht, kaum älter als dreißig, aus dem Haus kam und sich neben ihn setzte.