»Und die Schwindelanfälle? Die Übelkeit? Dir wird sich der Magen umdrehen und es gibt nichts, was dagegen hilft.«
»Ich habe mal gelesen, dass Lord Nelson seekrank wurde, aber das hat ihn nicht davon abgehalten, der berühmteste Admiral in der Geschichte seines Landes zu werden. Wenn er es geschafft hat, kann ich es auch.«
»Wie du meinst…« Jimmie widersprach seinem Freund nicht. Er schnitt ein großes Stück Fleisch von seinem Steak ab und tunkte es in eine scharfe, dunkle Sauce. »Wenn ich etwas für dich tun kann, sag Bescheid.«
»O ja, das kannst du«, antwortete sein Reisegefährte hastig. »Warte mit dem Essen, bis ich draußen an der frischen Luft bin.«
Dann stürzte er aus dem Lokal, als sei der Leibhaftige hinter ihm her. Jimmie blieb nachdenklich sitzen. Es war nicht zu übersehen, dass er sich ernste Sorgen um seinen Freund machte. Niemand wusste besser als er, wie viele Strapazen und Hindernisse noch vor ihnen lagen. Wenn sie es schaffen wollten, musste er sich darauf verlassen können, dass sein Reisegefährte körperlich und geistig vollkommen auf dem Damm war.
Als er daran dachte, wie sich McCracken während ihrer unvergesslichen Expedition in die fernen Berge des Escudo Guayanés den unzähligen Widrigkeiten gestellt hatte, musste er lächeln. Gelassen hatte er alle gefährlichen Situationen gemeistert, sogar als sie einmal mit der klapprigen alten Bristol Piper geradewegs in die schwarzen Wolken eines Hurrikans gesteuert waren.
Ein großartiger Mann!
Großartig in jeder Hinsicht, sogar als er ihm mit unbewegter Miene erzählt hatte, dass die Ärzte ihm nur noch ein Jahr gaben. In seiner Stimme war keine Spur von Angst oder Traurigkeit zu erkennen gewesen.
Jimmie hatte viele mutige Männer kennen gelernt, im Krieg wie im Frieden, doch McCracken stand auf seiner langen Liste ganz oben.
Das hieß nicht, dass Jimmie an Currys Mut zweifelte. Bei mehr als einer Gelegenheit hatte er mit eigenen Augen erlebt, wie der Rennfahrer am Steuer eines Wagens Kopf und Kragen riskierte. Doch er konnte sich gut vorstellen, was seinem Freund in diesen bitteren Augenblicken durch den Kopf ging, und beschloss, einen Tag länger in San Antonio zu bleiben als vorgesehen. Curry sollte genug Zeit haben, um nachzudenken, und vielleicht kam er dann zu dem weisen Schluss, dass es für ihn besser wäre, nach Colorado zurückzufahren.
»Kommt nicht infrage!«, protestierte Curry. »Das Erste, was man im Rennstall lernt, ist, sofort wieder in die Kiste zu steigen, wenn du einen Unfall gebaut hast, um die Angst zu überwinden. Tut man das nicht, kann man die Rennfahrerei an den Nagel hängen. Morgen in aller Frühe starten wir.«
Im Morgengrauen hoben sie ab und flogen Richtung Mexiko Stadt. Nach Zwischenlandungen in Tampico und Matamoros setzten sie, kurz ehe die Sonne am Horizont versank, in der aztekischen Hauptstadt auf.
Während sie sich aus ihren schweren Fliegeruniformen quälten, sagte der einstige Kneipenwirt mit einem verschmitzten Lächeln: »Ich hätte nichts dagegen, ein paar Tage in dieser Stadt zu verbringen. Nicht aus Angst vor diesem Vogel. Das wird sich bald legen, hoffe ich. Aber es wäre eine Sünde, diese Stadt, von der ich schon so viel gehört habe, nicht richtig kennen zu lernen. Wir müssen uns unbedingt eine echte Mariachiband anhören.«
Genau das taten sie, aber sie machten auch einen Stadtrundgang, besuchten die alten Ruinen der Azteken und freundeten sich sogar mit zwei hübschen Mädchen an. Die beiden waren Schwestern und schienen großen Spaß an ihrem flüchtigen und vergnüglichen Techtelmechtel mit zwei Verrückten zu haben.
Plötzlich spürte er, wie sein Passagier ihm auf die Schulter tippte.
»Was zum Teufel machst du?«, schrie ein aufgebrachter Curry.
»Das hörst du doch. Ich singe.«
»Du solltest lieber landen, dann kannst du obendrein dazu tanzen! Das hier gefällt mir nicht! Merkst du nicht, dass es allmählich dunkel wird?«
»Viele Flugzeuge fliegen bei Nacht«, log Jimmie frech.
»Damit niemand sieht, wo sie abstürzen, was? Wie weit ist es noch?«
»Wir sind gleich da.«
»Was heißt gleich?«
»Gleich heißt immer dasselbe: gleich.«
Was hätte er sonst sagen sollen? Die Silhouette der Küste war nur noch ein dunkler Fleck zu ihrer Linken. Wenn die Bucht, die sie vor wenigen Augenblicken hinter sich gelassen hatten, tatsächlich die von Fonseca war, dann hatten sie gerade noch genug Sprit, um bis nach Managua zu kommen. Sie konnten sogar ein paar Ehrenrunden drehen, bis das Personal auf dem Flughafen von Managua sie hörte und die Notbeleuchtung auf der Rollbahn anschaltete, damit sie sicher landen konnten.
Der Wind frischte auf.
Jetzt trieb er, wie eine Herde folgsamer Schafe, dichte Wolken vor sich her. Offensichtlich waren sie während der sengenden Mittagshitze über dem großen See von Nicaragua entstanden.
»Scheiße!«, rief Jimmie plötzlich.
»Was hast du gesagt?«
»Scheiße!«
»Kannst du sie etwa riechen?«
»Hör auf, Dick! Jetzt ist keine Zeit zum Witzemachen«, wies ihn sein Freund zurecht.
»Das ist leider kein Witz!«, gab Curry beschämt zurück. »Wie sieht es aus, Jimmie?«
»Sagte ich doch schon, beschissen! Warum soll ich dir was vormachen? Die Lage ist brenzlig, aber wir werden sie schon meistern, keine Bange!«
Einige Minuten vergingen.
Die Gipsy Moth kam kaum noch gegen den Wind an. Ihre Tragflächen aus perfekt verzapftem, feinem Eichenholz knackten so laut, als würden sie von einem riesigen Raubtier zermalmt.
Der Regen blendete sie.
Es war ein heftiger Schauer mit einem durchdringenden Geruch nach feuchter Erde und Gewürzen, den man sonst nur bei den nachmittäglichen Regengüssen der Tropen erlebt, wenn der Wind aus dem Landesinneren weht. In Wahrheit aber roch es nicht nach dem Regen, sondern nach dem Wind, der ihn auf den Armen trug.
Jimmie bückte sich und tastete nach der Taschenlampe, die er unter dem Pilotensitz aufbewahrte. Im Licht der Lampe erkannte er, dass die Nadel, die den Stand des Reservetanks anzeigte, so gut wie tot war.
»Mist!«
Zehn Minuten, bestenfalls eine Viertelstunde, würden sie sich noch in der Luft halten können.
Er drehte nach links ab, um sich der Küste zu nähern, auch wenn er dabei einen Umweg riskierte. Kurz darauf erkannte er in der Ferne das Flackern eines Lichtes, konnte jedoch nicht sagen, ob es von einem Haus oder einem Schiff kam.
Er warf einen Blick auf den Kompass und beschloss, sich lieber auf seinen sechsten Sinn zu verlassen.
Er hielt den Kurs, Süd-Südost, komme, was wolle.
Am Horizont tauchte ein neues Licht auf, dorthin richtete er die Maschine.
Noch eins.
Später ein Dorf.
Jetzt flogen sie über festen Boden.
Der Motor begann zu stottern.
»Verdammte Scheiße!«
Endlich erschienen am verregneten windgepeitschten Horizont die Lichter einer großen Stadt.
»Managua! Gott sei Dank! Das ist bestimmt Managua!«, rief Jimmie.
Doch es konnte genauso gut León sein. Und soweit er wusste, besaß León keine Landepiste und lag mehr als siebzig Kilometer von der Hauptstadt Managua entfernt.
Mein Gott, hoffentlich ist es Managua.
Einen Augenblick schloss er die Augen und versuchte, sich zu erinnern.
Managua liegt unterhalb des gleichnamigen Sees, am Ende einer Bucht, die von einer Halbinsel beherrscht wird.
Er ließ die Maschine so weit wie möglich herunter trotz der Gefahr, auf ein Hindernis zu stoßen. Dann sah er die Lichter der Stadt, die sich auf dem See spiegelten, und seufzte erleichtert.