»Das können wir uns nicht leisten.«
»Ich habe genug Geld dabei«, erklärte sie schroff. »Ich habe den Wagen verkauft.«
»Du hast deinen Wagen verkauft?«, fragte ihr Mann überrascht.
«›Unseren‹ Wagen. Falls du es vergessen hast, noch sind wir nicht geschieden. Deshalb wäre es auch nicht richtig, wenn ich dich jetzt im Stich ließe.« Sie drohte ihm mit dem Zeigefinger. »Was nicht heißt, dass ich meine Meinung geändert hätte.«
Jimmie hätte gern etwas gesagt, zog es dann aber vor zu schweigen. Er dachte einen Augenblick nach, stand auf und fragte dann mit aufrichtiger Neugier: »Sag mir… ist es wirklich so schwer, mit mir zu leben?«
»Nicht mit dir«, antwortete Virginia entschieden. »Aber mit deinem verdammten Beruf. Hätte Gott gewollt, dass du fliegst, hätte er dir Flügel geschenkt. Aber du musst ja immer gegen den Strom schwimmen!«
Sie suchten ein sauberes Hotel, nahmen ein ordentliches Bad und kauften sich neue Kleider, die nicht nach Kuhmist stanken. Anschließend aßen sie sich in einem guten Restaurant satt. Drei Tage später erhielten sie das unbezahlbare Geschenk eines Propellers, der sich auf den ersten Blick nicht im Geringsten von dem alten unterschied.
Jimmie startete allein und testete die Maschine eine ganze Stunde lang. Nachdem er gelandet war, nahm er kein Blatt vor den Mund. »Sie liegt nicht mehr so gut in der Luft wie vorher. Das neue Fahrwerk ist schwerer als das alte und es wackelt ein bisschen. Aber man kann damit fliegen.«
»Die Frage ist nur, wie lange das gut geht«, wandte Virginia ein.
»Das weiß Gott allein«, gab Jimmie zurück.
»Aber du willst es trotzdem versuchen.«
»Klar.«
»Na dann, Hals und Beinbruch!«
Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und ging zurück in die Stadt. Als die beiden Männer am Abend ins Hotel kamen, hatte sie die Rechnung für alle drei bezahlt und war abgereist.
Am folgenden Morgen starteten sie in aller Herrgottsfrühe Richtung Panama. Von da flogen sie weiter an der Küste entlang nach Cartagena de las Indias, das bereits in Kolumbien lag.
Als Nächstes nahmen sie Kurs auf Santa Marta, Riohacha und Maracaibo. Es war ein ziemlich langer Umweg, doch Jimmie wollte angesichts der Tatsache, dass die Maschine nicht im besten Zustand war, die hohen Berge der Kordilleren lieber meiden.
Der Propeller war nicht so präzise gebaut, wie er sein sollte; Jimmie befürchtete, dass sich die Achse mit der Zeit verschieben könnte. Deshalb versuchte er, die Maschine nicht allzu heftig zu belasten und möglichen Turbulenzen aus dem Weg zu gehen.
Der ruhige Flug sollte auch dazu dienen, seinem Passagier allmählich das Selbstvertrauen wiederzugeben.
Curry litt noch immer an Schwindelanfällen. Seine Abneigung gegen das Fliegen hatte er nicht ablegen können, doch immerhin gelang es ihm, seine Magenkrämpfe unter Kontrolle zu bekommen, sodass er sich nur noch selten übergab.
An dem Nachmittag, als sie in Puerto Carreño landeten, war es bereits einen Monat und einen Tag her, dass sie ihre Reise angetreten hatten.
Leider war Evilasio Morales, genannt El Catire, seit Jimmies letztem Besuch nach Leticia am Ufer des Amazonas versetzt worden. Der schwarze Ciro Cifuentes hatte durch den Biss einer Klapperschlange ein Bein verloren und sich in seiner Heimatstadt Barquisimeto zur Ruhe gesetzt.
Juan Vicente Gómez hielt in Venezuela immer noch die Zügel fest in der Hand; dennoch war der neue Kommandant des Grenzpostens in Puerto Páez ohne zu zögern bereit, ihnen die Nutzung des venezolanischen Luftraums zu gestatten.
Jimmie wählte die Flugroute mit äußerster Vorsicht aus, denn er konnte sich noch sehr gut an den anstrengenden Flug über das Bergland von Guayana erinnern.
Die Gipsy Moth war zwar zehn Jahre jünger als die alte Bristol Piper, durch den Unfall aber so lädiert, dass sie den abrupten Druckschwankungen, tückischen Luftlöchern und wechselnden Winden, die er damals mit dem Schotten erlebt hatte, nicht hätte standhalten können.
Also entschied er sich, erneut einen Umweg zu machen und dem Lauf des Orinoco zu folgen, bis sie Ciudad Bolívar erreichten, etwa dreihundert Kilometer von der Stelle entfernt, an der sich laut McCracken der Heilige Berg befand.
Ein Berg mit einem Herzen aus Gold und Diamanten.
»Hast du nie an ihm gezweifelt?«, wollte Curry wissen, nachdem sie in einem kleinen Restaurant auf einer Anhöhe über der Stadt mit einem wunderschönen Blick auf den breiten Fluss zu Abend gegessen hatten. »Hast du nie an die Möglichkeit gedacht, dass er dich übers Ohr gehauen haben könnte?«
»Nicht eine Sekunde.«
»Ich kann nur hoffen, dass du Recht behältst. Ich selbst werde die ganze Zeit von Zweifeln geplagt«, vertraute ihm sein Freund an. »Kannst du dir vorstellen, was es bedeuten würde, wenn wir einer Schimäre hinterherjagen würden, nur weil er sich einen dummen Scherz mit uns erlaubt hat?«
Der König der Lüfte schüttelte heftig den Kopf, während er sich in aller Ruhe seine Pfeife stopfte.
»Erstens habe ich blindes Vertrauen in den Alten. Und zweitens vergisst du, dass ich schon mal auf diesem Berg war und das Gold und die Diamanten mit eigenen Augen gesehen habe.« Er tippte mit dem Mundstück der Pfeife auf das Abzeichen der imaginären Geschwader des Goldenen Reihers, das er nun um den Hals trug. »Drittens stammt dieses goldene Abzeichen von da und ich weiß, so wahr ich Jimmie Angel heiße, dass es auf dem Gipfel des Tafelbergs noch mehr davon gibt.«
»Dein Wort in Gottes Ohr.«
»Nun, Gott kann mich hören und er weiß, dass ich die Wahrheit sage. Etwas anderes ist, ob es uns gelingt, den Berg zu finden, aber das hängt jetzt allein von uns ab.«
Sie blieben wortlos sitzen, bis ein riesiger gelb leuchtender Mond über dem Fluss aufging. Der ehemalige Rennfahrer betrachtete ihn eine Weile und sagte schließlich: »Weißt du was? Auch wenn es mir da oben verdammt schlecht geht, ich mir vor Angst in die Hose gemacht habe, als wir verunglückt sind, und deine Frau mich für einen Vollidioten hält — ich bin verdammt froh, dass wir es wenigstens bis hierher geschafft haben.«
»Froh oder stolz?«
»Beides. Ich glaube, dass man nicht froh sein kann, wenn man nicht auch stolz auf das ist, was man tut«, antwortete Curry überzeugt. »Tief im Innern bin ich froh, dass ich den Mut aufgebracht habe, alle Brücken abzubrechen. Nicht weil ich scharf auf das viele Geld bin, sondern weil ich endlich der sein kann, der ich mal war, statt hinter dem Tresen einer Kneipe zu verkümmern.« Er lächelte, was Jimmie aber nicht sehen konnte. »Ich weiß nicht, ob du es gemerkt hast, aber seit wir Springfield verlassen haben, habe ich keinen einzigen Tropfen Alkohol angerührt.«
»Wahrscheinlich weil jedes Bier so viel kostet wie ein Liter Sprit«, scherzte sein Freund. »Und wenn du uns auch nur einen halben Liter Sprit wegsäufst, breche ich dir sämtliche Knochen.«
»Dieses Leben gefällt mir.«
»Ja, weil man das Leben hier spürt, statt einfach nur dahinzuvegetieren.«
»Wenn es so ist, dann musst du intensiver gelebt haben als alle Menschen, die ich kenne.«
»So weit will ich gar nicht gehen«, erwiderte Jimmie. »Aber es stimmt, dass ich in einem magischen Augenblick geboren wurde: Als der Mensch entdeckte, dass er fliegen kann, obwohl Gott ihm keine Flügel geschenkt hat. Ein Pionier bei dieser unglaublichen Herausforderung zu sein, Tag und Nacht dazu beizutragen, dass dieser Traum Wirklichkeit wird, und am Leben zu bleiben, um darüber berichten zu können, ist für mich das größte Geschenk, das man einem Menschen machen kann. Wenn das intensiv leben heißt, dann muss ich dafür sehr dankbar sein.«
»Vor allem, wenn du als Zugabe noch eine Goldader geschenkt bekommst.«
»Es wäre ein wunderschöner Abschluss für ein erfülltes Leben, meinst du nicht?« Jimmie hob den Finger. »Aber eins darfst du nicht vergessen. Nicht wir werden diese Goldader oder Goldmine entdeckt haben, wie immer du sie nennen willst. Diese Leistung gebührt jemand anderem. Wir haben es seiner Großzügigkeit zu verdanken, dass wir hier sind. Und denk auch dran, dass wir zehn Prozent von unserem Gewinn an Wohltätigkeitsorganisationen spenden müssen.«