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»An welche eigentlich?«

»Darüber habe ich ehrlich gesagt noch nicht nachgedacht. Aber überall gibt es Not, die man lindern kann.«

Lange Zeit schwiegen sie, bis Curry vergnügt erklärte: »Ich glaube, mir ist gerade etwas klar geworden. Auf mich wartet niemand, der mit Scheidung droht. Deshalb habe ich auch keinen Grund, in einem Monat zurückzukehren. Ich fühle mich hier sehr wohl. Also werde ich noch eine Weile bleiben und später gemütlich auf einem Luxusdampfer zurückkehren, ohne mir auf dieser Scheißbank in der Gipsy den Arsch wund zu sitzen.«

»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf«, antwortete sein Reisegefährte. »Die Gipsy Moth ist in einem derart jämmerlichen Zustand, dass ein Rückflug so gut wie ausgeschlossen ist. Sie wird wahrscheinlich in Venezuela ihren Geist aufgeben. Wir können von Glück sagen, wenn sie es bis zum Tafelberg schafft.«

»So schlimm ist es?«, fragte sein Freund beunruhigt.

»Was soll ich dir sagen? Auch wenn es mir total gegen den Strich geht, muss ich Virginia in diesem Fall Recht geben. Mit dieser Kiste werden wir nicht sehr weit kommen.«

So übertrieben pessimistisch Jimmies Worte auch klingen mochten, wenn man sich die Maschine bei Tageslicht ansah, musste man als vernünftiger Mensch einfach zugeben, dass der erfahrene Pilot vollkommen Recht hatte.

Seit sie das fremde Fahrwerk angebracht hatten, sah die Gipsy Moth nicht nur aus wie ein Zwerg mit riesigen Beinen und Füßen, sondern hatte auch ihre vorzüglichen Flugeigenschaften eingebüßt.

Um sie im Gleichgewicht halten zu können, hatte Jimmie am Heck einen schweren Amboss anschweißen müssen. Es war ein Wunder, dass ein Pilot, selbst ein so erfahrener wie Jimmie, das altersschwache Wrack überhaupt in die Luft bekam.

Angesichts der haarsträubenden Manöver, die nötig waren, um die Maschine beim Start in die Luft zu ziehen, rutschte einem das Herz in die Hose. Vor allem, wenn man wie Curry auf dem Passagiersitz saß und ängstlich beobachtete, wie die Piste mit jedem Meter kürzer wurde, die Bäume mit schwindelerregender Geschwindigkeit näher rückten und der rustikale Propeller vergeblich um Stabilität kämpfte.

Trotzdem gelang es dem Piloten immer wieder, in letzter Sekunde die Maschine hochzuziehen.

Es war wie ein Wunder.

Und wie ein Wunder kam es ihnen auch vor, als sie dem Lauf des gewaltigen Orinoco folgten und nach einer halben Stunde in der Ferne sahen, wie der unbändige Río Caroní, an dessen linkem Ostufer McCrackens Heiliger Berg liegen musste, in den Orinoco mündete.

Unter den Tragflächen der Gipsy Moth rauschte der wilde Strom, einer der gefährlichsten Flüsse der Welt. An seinen Ufern begann die von dichten Flecken Urwald gesprenkelte endlose Weite der Gran Sabana.

Nach etwas mehr als einer Stunde tauchte rechter Hand der Río Paragua auf, ein ruhiger Nebenfluss, der aus Südwesten kam. Es dauerte nicht lange, bis am Horizont die ersten Tafelberge erschienen. Und einer von ihnen — welcher, wusste er nicht — hütete seinen Schatz.

Es war ein stickiger Morgen. Jimmie erkannte, dass er der alten Maschine eine Verschnaufpause gönnen musste, weil der geschundene Motor heiß zu laufen drohte. Als er eine weite Ebene entdeckte, an deren Ende eine heruntergekommene Hütte stand, beschloss er zu landen und brachte die Maschine direkt vor der Tür der elenden Behausung zum Stehen.

Aus der Hütte traten drei zerlumpte, halb verhungerte Gestalten und starrten sie mit offenem Mund an.

»Guten Morgen!«, grüßte Jimmie.

»Morgen«, erwiderte ein schielender Mulatte den Gruß. Er sah furchterregend aus und war offenbar der Anführer der Gruppe. »Was habt ihr zu verkaufen?«

»Zu verkaufen?«, rief der Amerikaner überrascht, sprang aus der Maschine und schüttelte einem nach dem anderen die Hand. »Wir verkaufen nichts. Was sollten wir denn verkaufen?«

»Keine Ahnung. Nahrungsmittel, Rum, Waffen… Für Rum würden wir einiges springen lassen.«

»Das tut mir sehr Leid«, erklärte Jimmie. »Leider haben wir keinen Rum dabei, aber nächstes Mal bringen wir welchen mit, das verspreche ich Ihnen.«

»Wenn ihr nichts verkauft, was zum Teufel habt ihr dann in dieser Gegend verloren?«

»Wir führen eine topografische Vermessung durch.«

»Eine was?«, mischte sich einer seiner Kumpane ein.

»Eine Landvermessung, um Karten herzustellen.«

»Karten?«, wiederholte der andere, als wäre es ein Witz. »Wozu braucht man eine Karte vom Ende der Welt?«

»Offensichtlich hat man vor, eine Straße zur brasilianischen Grenze zu bauen«, log der König der Lüfte frech.

»Eine Straße an die brasilianische Grenze?«, wiederholte der Mann wie ein Papagei, der alles nachplapperte. »Welcher Idiot ist denn auf die verrückte Idee gekommen? Die Gegend hier wimmelt nur so von Wilden. Sie würden jeden, der sich in den Dschungel traut, abschlachten.«

»Was soll ich Ihnen sagen, Kumpel? Wir werden dafür bezahlt und machen nur unseren Job. Mein Freund hier ist Topograf, er zeichnet die Karten. Ich bin nur der Pilot.«

»Mannomann!«, rief der dunkelhäutige Wortführer der Bande. »Und ich habe geglaubt, das Leben der Goldschürfer ist gefährlich. Aber in dem Ding da durch die Luft zu fliegen… Da muss man ganz schön was draufhaben, wie? Habt ihr schon gegessen?« Als die beiden Fremden schweigend den Kopf schüttelten, zeigte er auf die Hütte. »Da ist noch Reis und etwas Fleisch von einem Brüllaffen, den wir heute Morgen geschossen haben.«

Das Fleisch war zäh wie Leder, aber es verlieh dem Reis Geschmack. In der Not frisst der Teufel Fliegen, also machten sich die beiden Amerikaner über das Essen her, wobei Jimmie, der im Gegensatz zu Curry Spanisch sprach, den drei Männern phantastische Geschichten über die Schwierigkeiten auftischte, die sie bei der Vermessung dieser Gegend überwinden mussten.

Die schweren Revolver, die ihre Gastgeber in den Halftern trugen, und die scharfen Macheten waren Jimmie nicht entgangen. Da er wusste, dass sie sich in einem gesetzlosen Niemandsland befanden, in dem es von Glücksrittern und rücksichtslosen Verbrechern nur so wimmelte, wollte er um jeden Preis vermeiden, dass sie von der Goldmine des Schotten erfuhren.

Für eine Bande von Habenichtsen, die mit gebeugten Rücken unter der sengenden Sonne schufteten, in der Hoffnung, im trüben Wasser der kleinen Nebenflüsse ein Goldnugget oder einen Diamanten von der Größe einer Linse zu finden, hätte die bloße Erwähnung des Vaters aller Flüsse eine allzu große Versuchung bedeutet.

Zwei Gringos, die abstruse Karten zeichneten und offensichtlich nicht mehr besaßen als das, was sie am Leib trugen, und eine Schrottkiste, mit denen die Männer nichts hätten anfangen können, würden keine unwillkommenen Begierden wecken.

Aber zwei Amerikaner im Besitz des bestgehüteten Geheimnisses in der Geschichte von Guayana wären ein gefundenes Fressen für diese Männer, deren Aussehen alles andere als beruhigend war.

Jimmie wusste, dass auch fünfhundert Jahre nach der Entdeckung Amerikas große Teile des riesigen Kontinents immer noch von Wilden und Banditen beherrscht wurden, obwohl man mittlerweile Großstädte wie New York, Buenos Aires oder San Francisco aus dem Boden gestampft hatte. Sie durften sich auf keinen Fall verplappern.

Curry verstand zwar kein Wort von dem, was die Männer sagten, freute sich aber an allem wie ein kleines Kind. Er genoss den Reis mit Affenfleisch, der ihnen auf schmutzigen Blechtellern serviert wurde, genauso wie die Gesellschaft dieser Abenteurer mit ihren schweren Revolvern und scharfen Macheten, die überwältigende Schönheit der Gran Sabana, die vielen Stromschnellen und den Anblick der geheimnisvollen Tepuis in der Ferne. Er kostete die Freiheit aus, nachdem er sich in seiner Kneipe auf einer Landstraße an den Ausläufern einer langweiligen Kleinstadt von Colorado jahrelang wie ein Gefangener vorgekommen war.