Vier Holzpfähle und ein Dach aus Palmwedeln, nur zwei nackte Lehmwände, die nach Südosten gingen. Aus dieser Richtung kam der Wind und folglich auch der Regen. Weiße Wolken, die über einen dunkelblauen Himmel rasten, Graureiher mit langen Schnäbeln, die geduldig auf den Ästen der hohen Bäume hockten, deren Namen er nie erfahren würde. Schwarze Rabengeier, Dattelpalmen, deren breite Fächer sanft im Wind wogten…
Wunderschön, dachte er immer wieder. Etwas Schöneres habe ich in meinem ganzen Leben nicht gesehen, es ist unglaublich.
Gelegentlich warf ihm der König der Lüfte einen Blick zu. Er wusste, wie sich sein Freund fühlte und was ihm jetzt durch den Kopf ging.
Seine Augen leuchteten vor Begeisterung, das Gesicht war entspannt und der ewige Zug von Überdruss und Unrast um seinen Mund war verschwunden.
Sie schlugen ihr Lager in sicherer Entfernung von der Hütte auf. Jimmie hielt es nicht für ratsam, die Nacht unter einem Dach mit den drei Goldschürfern zu verbringen, die eher wie Gewaltverbrecher aussahen. Diese Kerle schienen durchaus in der Lage, ihnen wegen ein paar Dollar die Kehle aufzuschlitzen. Am Abend setzte sich der Pilot auf einen umgestürzten Baumstamm auf der anderen Seite des Lagerfeuers und sagte nach kurzem Zögern:
»Lass dich nicht blenden, Dick! Lass dich nicht vom Zauber dieser Landschaft überwältigen. Sie ist wie eine schöne Frau, die dich hypnotisiert und schließlich zu ihrem Sklaven macht. Wenn du ihr erst einmal verfällst, lässt sie dich nie mehr aus ihren Fängen.«
»Wäre das denn so schlimm?«
»O ja. Man sollte niemandes Sklave sein.«
»Das musst gerade du sagen! Du bist doch selbst ein Gefangener der Fliegerei«, entgegnete Dick. »Ihretwegen hast du deine Mutter verlassen und jetzt auch deine Frau, und wenn du Kinder hättest, würdest du auch sie im Stich lassen. Für dich ist das Fliegen in einer Klapperkiste, die jeden Augenblick abstürzen kann, wichtiger als alles andere. Was das angeht, bist du am allerwenigsten geeignet, gute Ratschläge zu erteilen.«
»Gerade deshalb«, antwortete sein Freund. »Niemand weiß besser über die Sünde Bescheid als ein eingefleischter Sünder. Ich bin tatsächlich ein Sklave der Lüfte und ich weiß, wie tief ich die Menschen verletze, die mich wirklich lieben. Für Virginia ist jede Stunde, die ich da oben verbringe, eine Qual, weil sie Angst hat, es könnte meine letzte sein. Es würde mich traurig machen, wenn ich dir eine Welt gezeigt hätte, in der du dich verlieren könntest.«
»Ich habe keine Virginia«, erinnerte ihn Curry. »Auf mich wartet niemand. Und wenn du Recht hast und ich mich in dieses Land verliebe, werde ich wenigstens eine Liebe haben. Du musst zugeben, dass es die reinste und jungfräulichste wäre, die man nur haben kann.«
»Sie wird dich verschlingen.«
»Dich nicht?«
»Doch, ich fürchte, mich auch.«
Jahre später würde sich Jimmie an dieses Gespräch in der stillen Dunkelheit der Gran Sabana wie an eine schmerzhafte, unausweichliche Vorahnung erinnern.
Jimmie hielt sich nicht gerade für einen Hellseher, was das Verhalten von Menschen anging; doch als er sah, wie sich sein Freund verändert hatte, seit sie sich im wilden Land des Escudo Guayanés befanden, war ihm klar geworden, dass es Curry erwischt hatte.
Dick Curry war in einem Arbeiterviertel von Detroit zur Welt gekommen und zwischen Öl, Motoren und dem Gestank von Benzin groß geworden. Er war dem Bier, dem Baseball, dem Rennfahren und den Frauen verfallen. Doch jetzt, mit fünfunddreißig Jahren, hatte er plötzlich eine leidenschaftliche Sehnsucht entwickelt: nach reiner Luft, dem Geruch feuchter Erde, der Stille der Nächte und offenen Landschaften, die keinen Horizont kannten.
In diesem Augenblick wusste Jimmie jedoch nicht so recht, ob er sich für seinen Freund freuen oder ihn bedauern sollte.
Jahre später sollte er noch viel Zeit haben zu bereuen, dass er zur Entstehung dieser ungezügelten Leidenschaft beigetragen hatte.
Jetzt aber sah er nur zu, wie sich sein Gefährte auf dem Boden ausstreckte und den sternenübersäten Himmel betrachtete.
»Ich habe mal in einer Zeitschrift gelesen, dass die Polynesier alle Sterne des Firmaments wiedererkennen können. Sie wissen, an welchem Punkt des Firmaments sie entstehen und wo sie erlöschen. Deshalb sind sie so gute Seefahrer.« Als sein Freund schwieg, fragte er: »Weißt du auch so viel über die Sterne?«
»Ich habe unzählige Nächte im Freien verbracht. Ich kenne mich ein bisschen aus, aber nicht so gut wie die Polynesier.«
»Wäre es nicht herrlich, mehr darüber zu wissen? Dann könntest du dich da oben nie verirren!«
»Ich gehöre der alten Schule an«, erklärte der Pilot. »Ich fliege nicht gern nachts. Dann ist man immer darauf angewiesen, dass einen irgendwer am Boden bemerkt, und dann stellt er auch noch die Landebeleuchtung falsch auf, so wie es uns in Managua passiert ist. Aber du hast Recht. Die Luftfahrt macht eine rasante Entwicklung durch. Von Tag zu Tag gibt es mehr Flughäfen mit elektrischer Beleuchtung. Es wäre nicht schlecht, wenn ich einen Schnellkurs in Astronomie machen würde.«
»Wo ist eigentlich der Polarstern?«
»Dort drüben. Siehst du den Großen Bären? Etwas höher rechts, das ist der Polarstern.«
»Und er zeigt immer den Norden an?«
»Immer.«
»Das genügt mir.«
»Sei nicht albern«, schimpfte der König der Lüfte. »Du bist zum ersten Mal in einer vollkommen anderen Welt, hast keine Ahnung, wo du dich befindest und was um dich herum los ist, und glaubst, wenn du weißt, wo der Polarstern ist, kann dir nichts passieren?«
»Es ist ein Anhaltspunkt«, erwiderte der andere schlicht. »Und das ist mehr, als ich bisher hatte.« Er schwieg einen Augenblick, ohne die Augen vom Himmel abzuwenden, und sagte dann nachdenklich: »Vielleicht irre ich mich, aber irgendwie habe ich das seltsame Gefühl, dass ich zum ersten Mal im Leben eine absolut klare Vorstellung davon habe, wo ich bin. Ab jetzt wird alles, was ich tue, allein von mir selbst abhängen.«
»Du vergisst, dass hier die Natur das Sagen hat«, warnte Jimmie. »Wäre es das Paradies, dann würde es nur so von Menschen wimmeln. Aber in Wirklichkeit trifft man keine Seele an.«
»Gerade diese Einsamkeit macht das Land zum Paradies. Die Natur kann noch so brutal sein, trotzdem sind ihre Gesetze logisch, daran glaube ich fest. Da, wo wir herkommen, scheint mir vieles ziemlich absurd.« Er lächelte. »Und außerdem ist es voller Menschen.«
»Du wirst ja wirklich langsam zum Philosophen«, wunderte sich Jimmie grinsend. »Wer hätte das gedacht?«
»Wenn man ein halbes Leben hinter der Theke gestanden und zugesehen hat, wie sich die Leute zu Tode saufen und über ihr Leid, ihre Ängste und Sehnsüchte jammern, bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich eine Philosophie von der Welt zurechtzubasteln, ob man will oder nicht. Und es ist eine schmutzige Welt, das kannst du mir glauben.«
»Da hast du allerdings Recht. Ich habe Kollegen erlebt, die ihr Leben in einem alten Flieger riskiert haben, um ein paar Dollar zu verdienen, mit denen sie sich besaufen konnten, um zu vergessen, dass sie ihr Leben riskiert hatten, um ein paar Dollar zu verdienen, mit denen sie sich besaufen konnten. Und nicht wenige haben sich umgebracht. Was ist das für eine Welt? Wie konnte sich alles so verändern?«
Doch auf diese Frage hatte keiner eine Antwort. Also verfielen sie in Schweigen und beobachteten am Boden ausgestreckt den sternenübersäten Himmel über ihren Köpfen, bis sie einschliefen. Der eine froh darüber, dass er endlich seinen Weg gefunden hatte, und der andere besorgt, weil er aus Erfahrung wusste, dass der Weg, den sein Freund eingeschlagen hatte, mit Fallgruben gespickt war.