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Tatsächlich war es genau an dieser Stelle, dem späteren Puerto Ordaz, wo vierhundert Jahre zuvor der spanische Hauptmann Diego Ordaz zum ersten Mal von einem sagenumwobenen Häuptling erfahren hatte, der im Innern des Landes herrschte, sich jedes Jahr den Körper mit Goldstaub bedecken ließ und ins Wasser einer Lagune tauchte, um die Götter anzuflehen, sein Land noch fruchtbarer zu machen.

Tausende von Männern hatten ihr Leben gelassen, um dieser Schimäre nachzujagen. Und noch viele andere sollten den gleichen Weg in den Untergang antreten, weil sie nicht wahrhaben wollten, dass die alte Legende in Wirklichkeit nichts weiter war als ein dummer Kinderstreich oder eine Kriegslist der Einheimischen, um die feindlichen Eindringlinge in die Irre zu führen.

Im spanischen Wappen gibt es ein Motto, »Plus Ultra«; damals konnte man nicht wissen, ob damit gemeint war, dass Spanien die erste Nation war, die sich »noch weiter« über das Meer der Finsternis hinauswagte oder, wie das Land sich immer wieder versicherte, »noch weiter« entfernt das Gold finden würde, nach dem es so beharrlich suchte.

Die Witwe des Goldsuchers brachte ihrem Gast bereitwillig ihre Sprache und sämtliche Kenntnisse über das Land bei, die sie von ihrem verstorbenen Mann erhalten hatte. All dies trug dazu bei, dass Curry in seinem absurden Vorhaben noch bestärkt wurde. Innerhalb von sechs Monaten wollte er in der Lage sein, das abenteuerliche Unternehmen anzupacken.

»Ich werde bis Mitte November auf dich warten«, erklärte er und umarmte seinen Freund zum Abschied. »Danach breche ich auf, um diese Berge noch während der Trockenzeit zu bezwingen. Was danach wird, steht in den Sternen.«

Der König der Lüfte hätte nur allzu gern Worte gefunden, um ihn davon zu überzeugen, dass dieses Vorhaben für jemanden, der keinerlei Erfahrung im Dschungel besaß, selbstmörderisch war. Doch er kannte seinen Freund und wusste, dass jeder Versuch, ihn umzustimmen, zum Scheitern verurteilt war.

Curry hatte seinen Weg aus freien Stücken und ganz allein bestimmt und er schien fest entschlossen, ihn bis zum Ende zu gehen.

Als der alte Holzfrachter ablegte und von der Strömung des Orinoco in Richtung Meer davongetragen wurde, starrte Jimmie auf den Mann, der ihm vom Ufer aus lächelnd zuwinkte, und wusste, dass er seinen Gefährten nie Wiedersehen würde.

Mitte November des Jahres 1933 drang der ehemalige Rennfahrer aus Detroit in die weite, menschenleere Gran Sabana vor, auf der Suche nach dem sagenhaften Land der Tafelberge.

Er kehrte nie zurück. Wie so viele vor ihm.

Überall im Dschungel, in den Wüsten, Ebenen und hohen Bergen finden sich die sterblichen Überreste namenloser Helden, die weder zu Ruhm kamen, noch ihre Träume verwirklichen konnten.

Auf dem Grund eines kleinen Baches inmitten dieses unerforschten Gebietes, der vielleicht geheimnisvollsten Gegend der Welt, fand vor nicht allzu langer Zeit ein Goldsucher ein altes spanisches Schwert aus dem 16. Jahrhundert.

Wer hatte es bis an diesen entlegenen Ort geschleppt?

Welcher vergessene Konquistador hatte vier Jahrhunderte zuvor dieses Gebiet zu Fuß durchwandert und dabei Entfernungen zurückgelegt, die uns noch heute unglaublich erscheinen?

Und ebenso würde eines Tages, in diesem oder im nächsten Jahrhundert, ein hartnäckiger Goldsucher auf dem Gipfel eines vergessenen Tepui Currys alten Revolver finden.

Oder am Fuß einer tausend Meter hohen Felswand die Knochen eines Mannes, der abgestürzt war, als er glaubte, dem sagenhaften Schatz von John McCracken schon dicht auf der Spur zu sein.

Vielleicht war es auch ein vergifteter Pfeil oder ein hungriger Jaguar, der diesem Leben voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft ein jähes Ende bereitet hatte.

Niemand wird es je erfahren.

Weder die Geschichte noch die Legende, ja nicht einmal ein Raunen in diesem Landstrich, dessen wenige Bewohner sich von Gerüchten über sagenhafte Gold- und Diamantenvorkommen ernährten, gaben Aufschluss darüber, welches Schicksal dem merkwürdigen Amerikaner zuteil geworden war. An einem schwülen Morgen hatte er sich von der freundlichen Witwe eines anderen offenbar ähnlich Verrückten verabschiedet, um sich entschlossen dem fernen Süden zuzuwenden, wo die Träume wohnen.

Der Dschungel, die von der brütenden Sonne versengte Savanne, Einsamkeit, Hunger, Fieber und Wahnsinn bilden eine feste Allianz, an der selbst der Wille der verwegensten Männer zerbricht. Und sollte all dies nicht ausreichen, gesellen sich Schlangen, Menschenfresser, Banditen und schließlich die gefürchteten Vampirfledermäuse dazu, die den Menschen Nacht für Nacht das Blut aus den Adern saugen und den Körper so lange schwächen, bis er völlig ermattet.

Südlich des unergründlichen Orinoco ist alles möglich.

Heute ziehen Düsenflugzeuge und sogar unzählige Satelliten ihre Bahnen über das wilde Land südlich des mächtigen Orinoco, doch nach wie vor ist alles, was sich auf seinem Boden befindet, ein ungelüftetes Geheimnis.

Südlich des Orinoco hat ein Mensch zu Fuß keinerlei Überlebenschance.

Curry wollte das nicht wahrhaben und bezahlte für seinen Leichtsinn mit dem Leben.

Diese Tatsache lastete schwer auf Jimmies Gewissen, denn letztendlich konnte er zeit seines Lebens den Gedanken nicht abschütteln, seinen unschuldigen Freund mit der schrecklichen Krankheit angesteckt zu haben.

Zwei Jahre nach ihrem Abschied kam er zurück, um ihn zu suchen.

Jetzt flog er eine prächtige, brandneue gelbe De Havilland Tiger Moth, ein Nachfolgermodell der alten Gipsy Moth. Das Geld dafür hatte er sich mit Nitroglyzerintransporten verdient, das dazu verwendet wurde, brennende Ölquellen zu löschen.

Mary, seine neue, schlanke, sehr attraktive und zugleich abenteuerlustige Frau begleitete ihn. Sie war fest davon überzeugt, dass der Mann, den sie geheiratet hatte, sich eines Tages einen Namen in der Geschichte der Luftfahrt machen würde.

Sie schlugen ihr Hauptlager in Ciudad Bolívar auf. Kaum hatte der König der Lüfte seine Frau in einem malerischen Hotel mit Blick auf den Fluss und einer hübschen, offenen Balustrade abgesetzt, machte er sich zum nahe gelegenen Puerto Ordaz auf, in der Hoffnung, eine Spur oder einen Hinweis zu finden, die über das Schicksal seines besten Freundes Aufschluss geben könnten.

»Keine Ahnung, Señor«, antwortete die alte Witwe traurig. »Ich habe alle, die aus dem Süden zurückgekommen sind, gefragt, aber niemand hat ihn gesehen. Die böse Hexe hat ihn verschlungen, Señor, ganz bestimmt!«

»Hat er nichts hinterlassen? Keine Karte, keine Notizen?«

»Nur ein paar Bücher und Kleidungsstücke. Er hat den ganzen Tag gelesen und studiert. Er war ein wirklich feiner Mann, Señor. Ein richtiger Gentleman. Ich war sehr traurig, als er verschwunden ist, weil es von seiner Sorte nicht mehr viele gibt.«

»Darf ich mir das, was er hier zurückgelassen hat, einmal ansehen?«

»Sie können es mitnehmen, wenn Sie wollen. Ich weiß von Ihrer Freundschaft. Er hat mir viel von Ihnen und der Zeit, die Sie zusammen da unten im Süden verbracht haben, erzählt.« Die arme Frau schüttelte kummervoll den Kopf. »Es muss die schönste Zeit seines Lebens gewesen sein. Er war ein guter Mann, Señor, aber traurig. Ja, das war er, gutherzig und traurig.«

Jimmie wollte der alten Frau ein Bündel Scheine in die Hand drücken, doch sie weigerte sich, das Geld anzunehmen. Schließlich verließ er die bescheidene Behausung mit einem abgewetzten Koffer in der Hand, in dem sich die letzten Habseligkeiten des ehemaligen Rennfahrers aus Detroit befanden.

Drei Tage lang studierte er die zerfledderten Hefte, die Curry in einem völlig unverständlichen Spanisch vollgekritzelt hatte. Und entdeckte die geheimsten Gedanken eines Menschen, der sich in diesem entlegenen fremden Land sehr einsam gefühlt haben musste.