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Ich liebe dieses Land, obwohl ich weiß, dass es mich umbringen wird; so wie ich Ketty liebte, obwohl ich wusste, dass sie mich am Ende verlassen würde. Warum fühle ich mich von allem, was mich zerstört, so krankhaft angezogen?

An einer anderen Stelle ein fast unleserlicher Eintrag. Eine merkwürdige, wenn auch plausible Vorahnung.

Wer wird mein Grab schaufeln? Wer meinen Namen auf das Kreuz schreiben?

O Jimmie! Ich weiß, dass ich auf dich warten sollte, aber ich kann nicht! Dein Berg ruft nach mir.

Zum ersten Mal seit Jahren musste Jimmie weinen.

Er saß auf der Balustrade des alten, im Kolonialstil gebauten Hotels und erinnerte sich an die Nacht, als sie an den Ufern des unbändigen Flusses mit seinem dunklen Wasser zu Abend gegessen hatten. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er daran dachte, wie sein Freund ihm in jener Nacht seine unerklärliche Leidenschaft für das Land gestanden hatte, in dem sie erst ein paar Stunden zuvor gelandet waren.

In der Hitze und Feuchtigkeit am Mittag hasse ich dieses Land. Aber wenn es Abend wird, versöhnen mich der malvenfarbene Himmel und sein unendlicher Frieden, so wie Ketty und ich uns versöhnten, wenn wir im Dunkel der Nacht miteinander schliefen.

»Ich hätte ihn niemals allein lassen dürfen«, murmelte Jimmie vor sich hin. »Und ich hätte nicht allein nach Hause zurückkehren dürfen. Er muss sich vorgekommen sein wie der einsamste Mensch auf der Welt.«

Mary versuchte, ihn zu trösten. Immer wieder erklärte sie ihm, dass Curry ein erwachsener Mensch war, der vollständig bei Sinnen und aus freien Stücken beschlossen hatte, zu bleiben. Er hatte sich sein Schicksal selbst ausgesucht und vielleicht war es gar nicht so dramatisch, wie man annehmen musste.

»Wer weiß, ob er nicht beschlossen hat, für immer im Dschungel zu bleiben? Vielleicht lebt er mittlerweile mit einer hübschen Eingeborenen, die ihm ein paar Kinder geschenkt hat, in einer gemütlichen Lehmhütte? Vielleicht hat er beschlossen, nach Brasilien auszuwandern, und genießt jetzt irgendwo am Strand von Río de Janeiro die Sonne?« Sie nahm seine Hand und drückte sie zärtlich. »Und schlimmstenfalls, woher weißt du, ob er nicht tatsächlich fündig geworden ist und beschlossen hat, nicht mit dir zu teilen?«

»Das hätte Dick niemals getan.«

»Das weiß man nie«, erwiderte Mary und lächelte. »Der Buchhalter meiner Firma war ein netter Mann, verheiratet, mit drei Kindern, und trotzdem ist er eines Tages mit einer Chorsängerin und neunzigtausend Dollar aus der Kasse durchgebrannt. Sie suchen heute noch nach ihm.«

»Dick würde so etwas nicht tun. Er ist tot.«

»Woher weißt du das?«

Der König der Lüfte deutete mit dem Kinn auf die über den ganzen Tisch verstreuten Hefte.

»Aus seinen Notizen.«

»Wo steht es geschrieben?«

»Auf jedem Blatt und auf keinem.« Jetzt war es Jimmie, der die Hand seiner Frau nahm und zärtlich streichelte. »Ich weiß, du kannst das nicht verstehen, aber wenn man miterlebt, wie die meisten Freunde um einen herum plötzlich verschwinden, entwickelt man ein besonderes Gespür, einen sechsten Sinn, wenn es um den Tod geht. Drüben in Frankreich haben wir immer gewusst, ob ein Pilot abgeschossen worden war oder nur notlanden musste und wir ihn jeden Moment wieder sehen würden, erschöpft, zu Fuß, aber mit einem Lächeln auf den Lippen.«

»Es ist nicht gut, ständig mit dem Tod zu leben«, bemerkte seine Frau nachdenklich.

Zwei Tage später startete Jimmie zu einem Aufklärungsflug, den er bis ins kleinste Detail geplant hatte: über das unbekannte und wilde Gebiet südlich des Orinoco und östlich des Caroní.

Sein neuer, mit einem leistungsstarken Motor bestens ausgerüsteter Doppeldecker war in der Lage, eine Last von zweihundert Kilogramm zu transportieren. Die Tiger Moth war robust, äußerst zuverlässig und bot ihm ein Höchstmaß an Sicherheit, sodass er nun riskieren konnte, an den unzugänglichsten Orten zu landen. Zudem vergrößerte sie durch ihre beträchtliche Reichweite seinen Aktionsradius.

Nur selten begleitete Mary ihn auf seinen gefährlichen Erkundungsflügen. Meistens blieb sie im Hotel und wartete ungeduldig darauf, dass die unverwechselbare gelbe Silhouette am blauen Himmel auftauchte und sanft auf der nahe gelegenen Flugpiste aufsetzte.

Eines Abends, als sie nach dem Essen im geräumigen Speisesaal saßen, dessen Fenster nach Norden gingen, trat ein Mann an ihren Tisch.

»Guten Abend, mein Name ist Félix Cardona«, stellte er sich vor. »Dürfte ich mich einen Augenblick zu Ihnen setzen?«

»Aber gern«, antwortete Jimmie liebenswürdig. »Ich habe eine Menge von Ihnen gehört. Félix Cardona, der berühmte spanische Pilot.«

»Nicht halb so berühmt wie ein gewisser Jimmie Angel«, gab Cardona das Kompliment zurück. »Stimmt es, was man sich erzählt? Dass Sie vor Jahren auf McCrackens Heiligem Berg gelandet sind?«

»Ja, das stimmt.«

»Und dass Sie den Berg jetzt wieder suchen?«

»In der Tat.«

»Haben Sie Neuigkeiten von McCracken?«

»Nur, dass er vor zwei Jahren gestorben ist.«

»Das tut mir Leid. Er war ein großartiger Mann. Hier wird er wie ein Mythos verehrt.«

»Ja, er hat mir seine Mine vermacht.«

»Verstehe. Das ist ja auch einleuchtend. Brauchen Sie Hilfe?«

»Welche Art von Hilfe?«

»Jede Art«, antwortete der Spanier freimütig. »Vor sechs Jahren sind Juan Mundó und ich auf dem Caroní bis zum Fuß des AuyanTepui vorgedrungen, den viele für den Heiligen Berg halten. Wir haben versucht, die Steilwand hinaufzuklettern, aber es war schier unmöglich. Später haben wir die gesamte Umgebung in einem Umkreis von dreihundert Meilen erforscht.«

»Ja, ich habe von Ihrer Erkundungsreise gehört. Alle Achtung. Eine außerordentliche Leistung.«

»In aller Bescheidenheit möchte ich behaupten, dass Mundó und ich die Gegend so gut kennen wie kein anderer. Deshalb bin ich gekommen, um Ihnen eine Zusammenarbeit anzubieten.«

»Und welche Gegenleistung erwarten Sie dafür?«

»Gar keine. Die pemones, waicas und guaharibos sind fest davon überzeugt, dass sich in dieser Gegend der Vater aller Flüsse befindet, der einer alten Legende zufolge im Himmel entspringt, und dass dort auch Aucayma liegt, der Heilige Tafelberg, auf dessen Gipfel es Gold und Diamanten geben soll. Mich interessiert dieser Fluss, nicht der Berg oder seine Schätze.«

»McCracken hat mir erzählt, dass man den nächsten Vollmond nicht erlebt, wenn man diesen Fluss erblickt. Sein Kamerad All Williams jedenfalls starb wenige Tage, nachdem er ihn gesehen hatte.«

»Ich weiß. Ich habe sein Grab gesehen.«

»Ich auch.«

»Trotzdem glaube ich nicht an Legenden. Ich bin davon überzeugt, dass der Fluss an einem gewaltigen Wasserfall entspringt, aber dass ein Fluch auf diesem Wasserfall lastet, ist Unsinn.«

»Was also wollen Sie? Mit mir kommen, um den Wasserfall zu finden?«

Cardona nickte. »Mehr oder weniger. Sie helfen mir, den Wasserfall zu suchen, und ich helfe Ihnen, Ihren Berg zu finden.«

»Das scheint ein faires Angebot«, räumte Jimmie ein. »Ihr Fluss gegen meinen Berg. Ich werde mir die Sache überlegen.«

»Ich glaube, dass er Wort hält.«

»Dann wirst du also darauf eingehen?«, fragte Mary, als sie um Mitternacht auf der Balustrade des Hotels die frische Brise genossen. »Nimmst du ihn mit?«

»Er gilt als Ehrenmann und ich würde ihm gern helfen, seinen Fluss zu finden«, erklärte Jimmie seiner Frau und zog bedächtig an der alten Pfeife, von der er sich nicht trennen konnte. »Ich weiß, dass er einem Traum nachjagt, genau wie ich, aber ich will mich nicht für einen anderen verantwortlich fühlen. Sollte dieser Berg eines Tages in naher Zukunft, wenn wir am wenigsten damit rechnen, tatsächlich seinen Dunstschleier abwerfen, muss ich in wenigen Augenblicken entscheiden, ob ich darauf landen will oder nicht. Ich kenne diesen Berg. Er weiß genau, wie er sich vor neugierigen Blicken schützen kann.« Er wandte sich zur Seite und warf seiner Frau, die in ihrem Schaukelstuhl wippte, einen Blick zu. »Jedenfalls will ich nicht, dass ausgerechnet in diesem Augenblick das Leben eines Fremden von meiner Entscheidung abhängt. Auf keinen Fall!«, schloss er bestimmt. »Diese Sache ist etwas, das nur mich betrifft.«