»Und mich«, erinnerte ihn seine Frau.
»Und dich natürlich«, pflichtete ihr der König der Lüfte bei. »Aber du weißt, warum wir hergekommen sind. Du hast es akzeptiert und mir sogar Mut gemacht, weil du weißt, wie viel es mir bedeutet.« Liebevoll küsste er ihre Hand. »Wir haben einen Pakt geschlossen. Wenn ich dabei umkomme, hast du versprochen, nicht traurig zu sein, weil ich auf die Art gestorben sein werde, die ich mir immer gewünscht habe, im Cockpit meiner Maschine. Aber wenn ich umkomme und einen Unschuldigen mit in den Tod ziehe, werden weder ich noch du damit glücklich sein.«
»Ich muss verrückt gewesen sein, als ich mich darauf eingelassen habe!«, jammerte sie. »Vollkommen verrückt.«
»Nein!«, widersprach der Pilot. »Verrückt wärst du gewesen, wenn du mich daran gehindert hättest, das Leben so zu leben, wie ich es leben will, obwohl du mich liebst. Dass du dich darauf eingelassen hast, war kein Wahnsinn, sondern der größte Liebesbeweis, den du mir erbringen konntest.«
Sie schwiegen und starrten auf die unzähligen Sterne, die in dieser Nacht besonders nah wirkten. Nach einer Weile murmelte sie mit einem Hauch von Bitterkeit in der Stimme: »Wenn du wüsstest, wie eifersüchtig ich gelegentlich auf den Tod bin! Mir ist klar, dass er dich anzieht und du ständig mit ihm flirtest. Und auch, dass er früher oder später die Oberhand gewinnen wird. Trotzdem kann ich ihn nicht als denjenigen hassen, der allem ein Ende setzt. Für mich ist er so etwas wie ein Rivale, der schlauer sein will als ich.«
»Der Tod behält immer die Oberhand.«
»Nicht wenn man im hohen Alter stirbt. Wenn man im Bett vom Tod überrascht wird, muss man sich seinem Willen beugen, das ja. Aber wenn er dich vom Himmel holt, noch ehe deine Stunde geschlagen hat, dann wird er mich besiegt haben.«
»Ich bin ein guter Pilot und seit wir uns kennen, gehe ich keine unnötigen Risiken mehr ein. Ich verspreche dir, besonders vorsichtig zu sein.«
»Na schön!«
Am nächsten Morgen startete Jimmie erneut auf der Suche nach seinem Berg.
Ebenso am übernächsten.
Und am überübernächsten.
So vergingen Tage, Wochen und Monate.
Schließlich war ein ganzes Jahr um.
Weder Regen noch Stürme, weder Flaute noch Hitze oder Kälte konnten ihn vom Fliegen abhalten. Als das Geld allmählich zur Neige ging, zogen sie aus dem Hotel in ein winziges Häuschen direkt neben dem Fluss, das auf Pfählen gebaut war.
Eines Morgens, als Jimmie über eine weite trockene Ebene der Gran Sabana flog, entdeckte er einen groß gewachsenen Mann, der ohne Eile durch die endlose Weite marschierte. Als er das Flugzeug hörte, sah er auf und winkte freundlich.
Irgendetwas kam Jimmie an ihm bekannt vor und bewog ihn zu landen. Als er aus der Maschine kletterte, stand plötzlich der bärtige Pater Benjamin Orozco vor ihm und grinste.
»Nicht zu fassen!«, rief der König der Lüfte. »Sie?«
»Für mich ist es noch viel unfassbarer, obwohl ich Ihr Flugzeug oft am Himmel gesehen habe. Sie sind also tatsächlich zurückgekehrt.«
»Schon vor einiger Zeit.«
»Und was ist aus Ihrem Freund geworden?«
»Er ist gestorben.«
»Das tut mir Leid! Er war ein faszinierender Mensch.«
»Da wir gerade dabei sind, Sie sind nicht zufällig einem anderen Freund von mir über den Weg gelaufen? Dick Curry? Einem Amerikaner.«
»Dem Gringo? Nein, ich habe ihn nie kennen gelernt, aber viel von ihm gehört«, sagte der Pater. »Das Letzte, was mir zu Ohren kam, war, dass er dabei war, den AuyanTepui zu besteigen. Bei diesem waghalsigen Abenteuer muss er wohl ums Leben gekommen sein. Die Einheimischen jedenfalls sind felsenfest davon überzeugt, dass der Berg des Teufels ist und jeder, der hinaufsteigt, verflucht ist.«
»Glauben Sie das auch?«
»Mein Lieber, wenn man so lange in dieser gottverlassenen Gegend lebt wie ich, glaubt man am Ende sogar das Unglaubliche.«
»Haben Sie eigentlich Ihre Missionsstation gegründet?«
»Natürlich.«
»Und wovon leben Sie?«
»Von Wundern, mein Sohn, von Wundern. Gerade jetzt bin ich auf dem Weg nach Puerto Ordaz. Vielleicht kann ich da etwas Saatgut und ein paar Schweine erbetteln.«
»Das ist aber nicht viel.«
»Nein, das stimmt, und meine Vorgesetzten fangen schon an zu zweifeln. Sie halten all diese Arbeit für vergebliche Liebesmüh, die keine Früchte tragen wird. Die pemones weigern sich hartnäckig, getauft zu werden, und die waicas und guaharibos lassen sich gar nicht erst blicken.«
»Das wundert mich nicht. Hier wollen sich ja nicht mal die Berge zeigen.« Jimmie breitete die Arme aus. »Wie soll man dieses Land je verstehen, das einerseits so schön und andererseits so unnahbar ist?«
»Schönheit ist nun mal unnahbar. Ansonsten wäre sie für den Menschen nicht so attraktiv. Es ist dasselbe wie mit dem Glauben. Er ist nur deshalb so anziehend, weil man nie sicher sein kann. Sobald man meint, ihn fest im Griff zu haben, zerrinnt er einem zwischen den Fingern.«
»Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, dass Sie Ihren Glauben verloren haben. Wenn dem so wäre, was machen Sie dann noch hier?«
»Ihn jeden Morgen suchen, am Mittag verlieren, am Abend wieder finden und um Mitternacht spüren, wie er sich wieder davonmacht.« Der Pater lächelte verschmitzt. »Da ich aber weiß, dass er irgendwo ist, gebe ich den Kampf nicht auf.«
»Na schön, da haben Sie diesmal ja Glück gehabt. Steigen Sie ein! Ich bringe Sie nach Puerto Ordaz. Es liegt auf meiner Route. Ich bin unterwegs nach Ciudad Bolívar.«
»Tatsächlich hält sich der Monsignore in Ciudad Bolívar auf, aber ich glaube nicht, dass ich in dieses Ding da steigen werde. Wenn der Herr mir Beine gegeben hat, dann vermutlich, um damit zu laufen.«
»Und wie sind Sie aus Spanien hergekommen? Sind Sie etwa über das Wasser gewandelt?«
»Eine verdammt scharfe Zunge hast du, mein Sohn. Ich bin mit dem Schiff gekommen, aber vor Schiffen habe ich keine Angst, im Gegensatz zu dieser fliegenden Kiste. Ich habe mal mitten in der Savanne das Wrack einer ähnlichen Maschine gefunden.«
»Einer roten mit viel zu großen Rädern?« Als der andere schweigend nickte, setzte der Pilot hinzu: »Das war meine. Eine sehr gute Maschine.«
»Das muss wohl stimmen, denn mittlerweile hat ein fetter Jaguar Quartier darin bezogen. Wenn das eine gute Maschine war, will ich gar nicht erst wissen, wie die schlechten sind. Ich bleibe lieber bei dem, was ich kenne, und gehe zu Fuß.«
Jimmie lachte. »Na kommen Sie schon, Pater! Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass jemand, der keine Angst vor Jaguaren, Anakondas und Menschenfressern hat, sich wegen eines Flugzeugs in die Hosen macht?«
»Ob Sie es glauben oder nicht — es ist die Wahrheit.«
»Und wie wollen Sie dann in den Himmel kommen? Mit einer Leiter?«
»Jetzt werd mal nicht unverschämt, mein Sohn!« Der Pater stieß einen tiefen Seufzer aus, warf einen misstrauischen Blick auf die gelbe Kiste und zuckte schließlich die Achseln.
»Um die Wahrheit zu sagen, die Hitze ist heute einfach unerträglich. Und mir steht noch ein Dreitagesmarsch bevor. Also gut. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Möge Gott sich unserer erbarmen!«