Während der ersten Minuten in der Luft hielt der Pater die Augen fest geschlossen und die Hände zu Fäusten geballt, doch als er endlich einen Blick nach unten riskierte, überwältigte ihn die Großartigkeit der Landschaft.
»Es ist wunderbar hier oben. Wie auf einem Balkon mit Aussicht. Sehen Sie mal, dort. Der Cerro Venado und daneben der Carrao.«
»Und da weiter vorn können Sie den Caroní und den Canaima sehen.«
»Und das ist der ParanTepui!«
»Nein! Das ist der AuyanTepui.«
»Entschuldigen Sie, mein Freund«, widersprach der Dominikaner freundlich, aber selbstbewusst. »Das dort ist der ParanTepui.«
»Nein! Der AuyanTepui!«, beharrte der Pilot hartnäckig.
»Der Rechte ist der AuyanTepui«, berichtigte ihn der Alte erneut. »Der Linke der ParanTepui. Aber von hier aus erscheinen sie wie ein und derselbe Berg.«
»Es ist auch nur einer!«
»Nein, es sind zwei«, berichtigte ihn Orozco. »Zwei Tepuis, die durch die Teufelsschlucht voneinander getrennt sind. Von hier kann man sie nicht sehen.«
Plötzlich horchte der König der Lüfte auf und hakte neugierig nach: »Sind Sie ganz sicher, dass es zwei Berge sind?«
»Natürlich. Warum fragen Sie?«
»Weil ich noch nie dort war. Er kam mir zu groß vor, als dass er John McCrackens Berg sein könnte. Der war viel kleiner, aber wenn Sie sagen, dass es zwei sind, sieht die Sache ganz anders aus.«
»Nun, es sind zwei, so wahr ich hier in diesem Flugzeug sitze.«
Sobald sie gelandet waren, erzählte Jimmie seiner Frau, was er gerade erfahren hatte, aufgeregt wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal erfahren hat, wo die Kinder herkommen.
»Ist dir klar, was das bedeutet?«, wiederholte er wieder und wieder. »Verstehst du? Es sind zwei Tepuis und sie liegen genau dort, wo John McCrackens Berg liegt. Dreihundert Kilometer südlich des Orinoco und fünfzig Kilometer westlich des Caroní!«
»Wieso bist du denn nicht schon vorher darauf gekommen?«
»Weil sie alle beide ständig von Wolken verhüllt sind. Ich habe sie zwar mehrmals überflogen, aber die Schlucht, von der Pater Orozco gesprochen hat, habe ich nie sehen können. Sie muss sehr schmal sein, doch wenn es sie wirklich gibt, dann ist einer dieser beiden Gipfel wahrscheinlich McCrackens Heiliger Berg. Sobald ich sie mir aus der Nähe angesehen habe, werde ich wissen, auf welchem der beiden wir damals gelandet sind.«
»Alles mit der Ruhe!«, protestierte seine Frau. »Das Einzige, worum ich dich bitte, ist, dass du sehr genau überlegst, bevor du beschließt, auf dem Gipfel des Tepui zu landen.«
»Ich verspreche es! Ich werde erst landen, wenn ich ganz sicher bin. Mit etwas Glück kann ich an einem klaren Tag den Felsen wieder erkennen, auf dem wir damals gesessen und die Landschaft bewundert haben. Und wenn ich es einmal geschafft habe, dort zu landen, werde ich es auch ein zweites Mal schaffen.«
»Vergiss nicht, dass du jetzt eine größere Maschine fliegst, die mehr Platz braucht«, wandte sie ein. »Ich bin sicher, dass du auf dem Tepui landen kannst, die Frage ist nur, ob du auch wieder wegkommst. Die Maschine ist ziemlich schwer.«
»Aber sie hat einen stärkeren Motor und sie liegt besser in der Luft.«
»Trotzdem habe ich Angst um dich. Und wenn ich ehrlich bin, wird diese Angst von Tag zu Tag größer«, gestand seine Frau. »Ich habe mit dir die Rocky Mountains, die Gletscher von Kanada und einen großen Teil der Anden überflogen, aber keine dieser Gegenden, so menschenfeindlich und grausam sie auch waren, hat mir eine solche Angst eingejagt wie der Escudo Guayanés. Warum, kann ich dir nicht sagen.«
»Mittlerweile glaube ich, dass der Grund dafür ein ganz gewöhnliches atmosphärisches Phänomen ist. Während der Regenzeit, wenn sich im Lauf des Tages die Erde erwärmt, das Wasser zu verdunsten beginnt und später in tausend Metern Höhe kondensiert, verschwindet alles unter diesem geheimnisvollen Schleier. Dann packt einen die nackte Angst, weil man das Gefühl hat, blind zu fliegen.«
»Und in der Trockenzeit?«
»Dann wird die Hitze so drückend, dass die Luft zu flimmern beginnt und man wie in der Wüste eigenartigen Fata Morganas auf den Leim geht. Man weiß nie, ob man es mit einer optischen Täuschung zu tun hat oder nicht.«
»Dann werden wir wohl den Rest unseres Lebens hier verbringen müssen. Schließlich gibt es hier nur diese beiden Jahreszeiten. Regenzeit und Dürre.«
»Ich habe lange darüber nachgedacht«, gestand Jimmie, »und bin zu dem Schluss gelangt, dass wir so nah vor Ort wie möglich ein Lager aufschlagen müssten, wenn wir nicht bald Ergebnisse erzielen. Wir müssten im Landesinneren eine Landepiste roden und dafür sorgen, dass sie nicht beim ersten Regen unter Wasser steht. Ich könnte dann jeden Morgen starten, ein paar Stunden in der Luft verbringen und zurück sein, ehe es richtig heiß wird.«
»Aber ein Lager im Dschungel aufzubauen und Leute anzuheuern, die eine Landepiste roden, kostet eine Menge Geld.«
»Ja, ich weiß.«
»Woher willst du das nehmen?«
»Weiß ich noch nicht.«
»Du bist ein Träumer, Jimmie. Wir brauchen Lösungen, die unseren Möglichkeiten entsprechen. Keine Utopien.«
»Wir könnten Aktien verkaufen.«
»Aktien?«, wiederholte seine Frau erstaunt. »Was für Aktien?«
»Anteile an der Minengesellschaft Jimmie Angel zum Beispiel oder der Aktiengesellschaft John McCracken. Ich bin sicher, dass der Name McCracken die beste Reklame wäre. Hier in der Gegend weiß jeder, dass man ihm damals für seine Diamanten vierhunderttausend Dollar gezahlt hat.«
Mary Angel hatte begonnen, in der winzigen Küche, die nur durch eine breite Durchreiche von Wohnzimmer und Terrasse getrennt war, das Abendessen zuzubereiten. Plötzlich hielt sie inne, warf ihrem in Gedanken versunkenen Mann einen scharfen Blick zu und schüttelte heftig den Kopf.
»Minengesellschaft Jimmie Angel!«, rief sie schließlich in einem Ton, dessen Ironie nicht zu überhören war. »Und wer meinst du, würde Aktien an einem Unternehmen erwerben, das sein Geheimnis nicht lüften will? Denn ich nehme wohl an, dass du kein einziges Wort darüber verlieren würdest, wo diese sagenhafte Goldader liegt, nicht wahr? Vorausgesetzt, du findest den Berg, das Gold und die Diamanten überhaupt.«
»Darauf kannst du Gift nehmen!«
»Und glaubst du im Ernst, deine vermeintlichen Aktionäre würden nicht auf die Idee kommen, du könntest dich aus dem Staub machen, sobald du fündig geworden bist?«
»Ich bin ein Ehrenmann«, gab Jimmie zurück, als käme ein solcher Betrug für ihn niemals infrage.
»Ich glaube dir das gern, aber das will nichts heißen, denn schließlich liebe ich dich und bin mit dir verheiratet.« Sie stellte ihm einen dampfenden Teller hin und strich ihm sanft durchs Haar. »Und da man immer nur einen Menschen auf einmal heiraten kann, wird man nie ein Unternehmen mit mehr als einem Teilhaber gründen können, der einem blind vertraut. Die anderen haben das Recht zu zweifeln. Eins steht nämlich fest: Man ist nur so lange ehrlich, bis man die Gelegenheit erhält, es nicht zu sein.«
»Curry hat mir blind vertraut.«
Jimmie erhielt darauf keine Antwort. Doch der bedeutungsvolle Blick, den seine Frau ihm zuwarf, erinnerte ihn daran, dass gerade dieses Vertrauen seinen Freund und Partner ins Verderben und letztendlich in den Tod geführt hatte.
»Eines Tages muss sich mein Glück doch wenden«, erklärte Jimmie leise. »Dieser Berg liegt irgendwo vor unserer Nase und steckt voller Gold und Diamanten. Das weiß ich nicht aus irgendwelchen Märchen, sondern weil ich selbst da oben war. Oder glaubst du, ich würde es riskieren, unser Leben zu ruinieren, wenn ich nicht absolut sicher wäre?«