Eine weitere Forschergruppe, die von Félix Cardona angeführt wurde, beschloss, den Flüssen Caroní, Carrao und Churún Merú zu folgen, bevor Letzterer aufgrund des niedrigen Wasserpegels unbefahrbar wurde. Anschließend kamen Journalisten aller bedeutenden wissenschaftlichen Zeitschriften der Welt und bekräftigten, dass der Vater aller Flüsse nicht länger eine Legende war, sondern unumstößliche Realität.
Die JimmieAngelFälle waren in der Tat die höchsten der Welt. Sein Entdecker, ein nordamerikanischer Pilot, der im letzten Jahr des neunzehnten Jahrhunderts in einem gottverlassenen Dorf in Missouri geboren worden war, hatte sich aus eigener Kraft einen Platz in der Geschichte erkämpft.
Doch bald musste der König der Lüfte die schmerzliche Erfahrung machen, dass ihm diese Tatsache nicht nur Vorteile brachte.
Seine Brötchen jedenfalls konnte er sich damit nicht verdienen. Für Sprit reichte es auch nicht. Ganz zu schweigen von den Kosten, die nötig waren, um die inzwischen schwer ramponierte Tiger Moth wieder auf Vordermann zu bringen. Sie hatte ihm zwar zu Ruhm verholfen, fiel aber jetzt langsam auseinander.
Die unzähligen Landungen auf improvisierten Pisten, die vielen Flüge unter härtesten klimatischen Bedingungen und der Mangel an Originalersatzteilen hatten die einst so robuste Maschine nach und nach in ein geschundenes Wrack verwandelt, das nur noch ächzte, stöhnte und das Fell sträubte, wenn man sich ihm näherte.
Sich auf einen vierstündigen Flug von Ciudad Bolívar zum AuyanTepui und zurück einzulassen war mehr als gewagt. Jedenfalls waren nur wenige Abenteurer bereit, dieses Risiko einzugehen. Schließlich sprach Mary ein Machtwort.
»Ich will nicht, dass du noch weiter in dieser Kiste fliegst«, erklärte sie eines Tages. »Sie kann jeden Augenblick abstürzen.«
»Übertreib nicht«, erwiderte Jimmie.
»Ich übertreibe nicht, Jimmie. Das ist Wahnsinn! Siehst du denn nicht, welche Gefahr du eingehst?«
»Was bleibt mir denn anderes übrig?«
»Ich weiß es nicht, aber ich will mich nicht für den Tod von unschuldigen Menschen verantwortlich fühlen«, antwortete sie knapp. »Ich will nicht, dass du fremde Passagiere in diesem Flugzeug zum Wasserfall fliegst. Ich habe mich damit abgefunden, dass du eines Tages abstürzen könntest, aber es kommt nicht infrage, dass du am Tod anderer die Schuld trägst.«
Schließlich gab er klein bei, denn er wusste, dass sie Recht hatte. »Na schön. Ich werde den Wasserfall vergessen und mich auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist: die Ader.«
»Aber nicht mit dieser Maschine!«
»Jetzt mach aber halb lang, Liebling«, protestierte Jimmie. »Du brauchst ja nicht gleich übers Ziel hinauszuschießen. Zugegeben, sie ist nicht gerade dazu geeignet, Passagiere mitzunehmen, aber sie hat mir niemals Ärger gemacht, wenn ich allein geflogen bin. Verglichen mit den anderen Kisten, die ich geflogen bin, ist sie immer noch tipptopp. Du hättest mal mein allererstes Flugzeug sehen müssen!«
»Fang nicht wieder mit dieser Leier an«, unterbrach ihn seine Frau energischer, als es sonst ihre Art war. »Wärst du damit abgestürzt, hätte ich dich nie kennen gelernt und dann hätte es auch nie ein Problem gegeben. Jetzt bist du zwar mein Mann und ich akzeptiere deinen gefährlichen Beruf, aber nicht uneingeschränkt. Du musst diese Maschine loswerden!«
»Du hast sie wohl nicht alle!«, fuhr Jimmie sie an. »Ohne Maschine sind wir nichts!«
»Das weiß ich, aber in diesem Fall ist nichts mehr, als wir haben«, hielt sie dagegen. »Verkauf die Maschine an jemanden, der mit ihr über Caracas oder die Llanos fliegen will. Das ist immerhin besser, als über den Tafelbergen der Gran Sabana dein Leben zu riskieren.«
»Und wo finde ich so einen Interessenten?«
»Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich werde mich darum kümmern. Falls ich aber keinen Käufer finde, stecke ich die Maschine höchstpersönlich in Brand. Ich lasse nicht mehr zu, dass du in dreitausend Metern Höhe über den Dschungel fliegst, wenn sie jeden Augenblick den Geist aufgeben kann.«
»Es stimmt, die Kiste ist ziemlich am Arsch«, gab der Pilot widerwillig zu. »Aber es ist immer noch eine großartige Maschine.«
»Das hat auch niemand bezweifelt. Deshalb sollten wir sie verkaufen, solange noch Zeit ist.«
»Und was sollen wir ohne Flugzeug machen?«
»In die Staaten zurückkehren und sparen, bis wir uns eine Maschine leisten können, die dieser verfluchten Gegend gewachsen ist.«
»Und was stellst du dir vor?«
»Eine Maschine mit einem starken Motor und einer richtigen Kabine, in der Platz für vier oder fünf Passagiere ist, damit es sich auch rechnet, wenn man die Leute zu den Wasserfällen fliegt.« Sie hob den Finger. »Und vor allem muss sie sicher sein.«
»Hast du eigentlich eine Ahnung, was so eine Maschine kostet?«
»Na klar!«
»Was denn?«
»Ein Vermögen.«
Dann brach in Spanien der Bürgerkrieg aus.
Ein Krieg zwischen Brüdern.
Er war grausam.
Ungerecht.
Und weit weg.
Viel zu weit weg, aber auch viel zu romantisch und daher umso anziehender für einen Hitzkopf wie Jimmie.
Mary sträubte sich mit aller Kraft dagegen, dass er den Republikanern seine Hilfe anbot. Zu Recht behauptete sie, dass ein Amerikaner aus Missouri an der spanischen Front nichts verloren hatte. So brutal die Faschisten auch waren, so sehr die Republikaner erfahrene Piloten brauchten, für sie war es ein Konflikt, an dem Jimmie unter keinen Umständen teilnehmen durfte.
Es folgte eine schwierige Zeit, vielleicht die schwierigste in ihrer sonst so harmonischen Ehe. Jimmie war überzeugt, dass der Ausgang dieser Auseinandersetzung darüber entscheiden würde, ob die ganze Welt erneut in einen blutigen Krieg hineingerissen würde.
»Die Politiker scheinen einfach nicht einsehen zu wollen, dass Hitler demnächst ganz Europa besetzen wird, wenn man ihm nicht in Spanien auf die Füße tritt«, sagte er.
Mary teilte seine Meinung nicht. Sie fand, dass es nicht seine Aufgabe war, Hitler »auf die Füße zu treten«, selbst wenn er Recht haben sollte.
»Du hast schon einen Krieg mitgemacht«, hielt sie ihm vor. »Und du hast immer erzählt, dass es dir ganz und gar nicht gefallen hat. Sollen die Spanier ihre Probleme doch selbst lösen. Konzentrier du dich auf deine, damit hast du schließlich genug zu tun.«
Tatsächlich hatten sie einen ganzen Haufen Probleme. Nachdem sie die Tiger Moth überstürzt hatten verkaufen müssen, war ihnen gerade genügend Geld geblieben, um in die Staaten zurückzufahren und ein paar Monate mehr schlecht als recht durchzuhalten.
Jemand mit einem Sinn für Public Relations, der von seinen eigenen Fähigkeiten etwas mehr überzeugt gewesen wäre, hätte die Tatsache auszuschlachten gewusst, dass er zu den wenigen Nordamerikanern gehörte, die etwas Nennenswertes entdeckt hatten. Doch Jimmie war ein Naturbursche, ein alter Haudegen, der sich in Salons, Amtszimmern oder Zeitungsredaktionen noch nie wohl gefühlt hatte.
In einem halben Dutzend Pressekonferenzen berichtete er darüber, wie er den höchsten Wasserfall der Welt entdeckt hatte, aber es verursachte ihm geradezu körperliches Unbehagen, sich an einen Tisch zu setzen und vor Menschen zu sprechen, die niemals verstehen würden, was es bedeutet, während eines Sturms über die Gran Sabana zu fliegen, oder was es für ein Gefühl ist, auf einer morastigen Ebene landen zu müssen.
Sein wunderbares Leben war dafür da, gelebt zu werden, nicht um darüber zu berichten. Das jedenfalls war seine Meinung. Allein der Versuch war ihm so unangenehm, als müsste er vor Hunderten von Unbekannten die Hosen runterlassen.