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»Wenn ich in der Öffentlichkeit von Roland Garros, Lawrence von Arabien, John McCracken, der Diamantenmine oder von dem Wasserfall erzähle, den es tatsächlich gibt und den jedermann mit eigenen Augen sehen kann, habe ich das Gefühl, dass mir keiner glaubt«, pflegte er zu sagen. »Und dann bin ich so verlegen, dass ich den Vortrag am liebsten auf der Stelle beenden möchte.«

Jeder andere an seiner Stelle hätte sich selbst zu einem Mythos stilisiert, selbst wenn er nur ein Zehntel von Jimmies Verdiensten hätte vorweisen können. Sie lebten in einem Land, das verzweifelt nach einer eigenen Mythologie suchte. Doch das Reich eines Königs der Lüfte liegt nun einmal in den Wolken, am Boden ist es mit seinen Manövrierfähigkeiten nicht weit her.

Merkwürdigerweise bot niemand ihm an, ein Buch über seine phantastischen Abenteuer zu schreiben oder einen Film zu drehen. Einzig die Zeitschrift Life widmete ihm — Jahre später — eine fundierte und gut dokumentierte Reportage.

Doch nichts davon schien Jimmie zu interessieren. Das Einzige, was ihn antrieb — abgesehen von dem Bedürfnis, gegen die spanischen Faschisten zu kämpfen —, war sein brennender Wunsch, in den tiefen unerforschten Escudo Guayanés zurückzukehren, um nach seinem verlorenen Schatz zu suchen.

Er war ein Mann der Tat, er musste auf Achse sein und alles, was Stillstand bedeutete, war ihm ein Graus.

Das konnte Mary verstehen.

Zwar verzweifelte sie gelegentlich angesichts der Sturheit und Gleichgültigkeit ihres Mannes, doch im Grunde ihres Herzens war sie stolz, dass er sich nichts aus Publicity, Schmeicheleien und dem verrückten Rummel um seine Person machte.

Wenn sich die Größe eines Menschen am Grad seiner Bescheidenheit messen ließe, hätte Jimmie sicher zu den eindrucksvollsten Persönlichkeiten seiner Zeit gehört. Doch gerade diese übertriebene Bescheidenheit war auch der Grund dafür, warum er nie den Ruhm erlangte, den er verdient hatte.

Immerhin bekam er in Kalifornien einen gut bezahlten Job als Versuchspilot, sodass sie knapp zwei Jahre, nachdem sie Venezuela hatten verlassen müssen, erneut in Ciudad Bolívar landeten. Diesmal an Bord einer prächtigen Flamingo, eines Eindeckers aus Metall mit geschlossener Kabine und Platz für vier Passagiere. Die neue Maschine flog schneller als zweihundert Kilometer pro Stunde und konnte mehr als eine halbe Tonne Last transportieren. Jimmie hatte sie Río Caroní getauft.

Mit seinem Starrsinn oder der ihm eigenen Willenskraft war er fest entschlossen, sein großes Abenteuer wieder aufzunehmen.

Mary war nach wie vor seine selbstlose Frau, treue Kameradin, ewige Beschützerin und vor allem seine beste Ratgeberin.

Zwischen ihnen hatte sich nichts geändert. Das konnte man von Venezuela nicht behaupten.

Nach fast drei Jahrzehnten brutaler Diktatur war vor anderthalb Jahren der alte Tyrann Juan Vicente Gómez gestorben. Über Nacht wurde das Land, das zuvor nur wenigen privilegierten Familien gehört hatte, zum El Dorado für Millionen von Entwurzelten aus aller Welt.

Spanier, die im blutigen Bürgerkrieg aus ihrer Heimat vertrieben worden waren, Italiener, die gegen die Faschisten kämpften, Juden, die vor der Verfolgung durch die Nazis flüchteten, Slawen, denen die Truppen Stalins zusetzten, sie alle klopften unablässig an die Tore einer der reichsten und am wenigsten bevölkerten Nationen der Welt. Diese wiederum empfing sie mit offenen Armen und gewährte ihnen Schutz und Zuflucht.

Erdöl, Eisenerz, Bauxit, Gold, Diamanten, Landwirtschaft, Viehzucht, Fischerei und weite unerschlossene Gebiete warteten auf die, die aus einem ausgezehrten Europa kamen, das von absurden ideologischen Auseinandersetzungen zerrissen wurde und am Rande eines Krieges von ungeahnten Dimensionen stand.

Caracas wuchs. Maracaibo, die Erdölstadt, platzte aus allen Nähten, Industriezentren wie Valencia und Maracay blühten auf. Die Llanos, ein für die Viehzucht wie geschaffenes Gebiet, bevölkerte sich allmählich. Das geheimnisvolle Guayana, Land der Diamanten und des Goldes, zog wie ein Magnet alle an, die in der Hoffnung, neue Horizonte zu erobern, einen überbevölkerten, dem Untergang geweihten Kontinent verlassen hatten.

Vor allem Russen, aber auch Ungarn, Polen und Tschechen wurden von Ciudad Bolívar angelockt wie die Fliegen vom Honig, geblendet vom Zauber eines unerforschten Landes, dessen Flüsse Gold und Diamanten im Überfluss versprachen.

Sobald Gerüchte von einer neuen Gold- oder Diamantenader aufkamen, strömten »Goldsucher« — größtenteils unerfahrene Männer — aus allen Himmelsrichtungen herbei. Sie waren mit Schaufeln und Sieben bewaffnet, mit denen sie die Erde waschen konnten; nach ihnen kamen die ersten Händler und in deren Schlepptau Scharen von Prostituierten. Im Handumdrehen entstanden ganze Städte, die oft nur ein paar Monate überlebten, bis die jeweilige Ader erschöpft war.

So entstanden Cinco Ranchos, El Polaco, El Infierno, Hasa Hacha, Salva Patria, La Faisca oder La Milagrosa. Hier wurden Habenichtse, die zuvor nur das besessen hatten, was sie am Leib trugen, über Nacht zu Millionären. Sie hatten Glück gehabt und ihr sagenhaftes El Dorado tatsächlich gefunden. Die meisten Abenteurer jedoch kehrten ärmer als zuvor nach Ciudad Bolívar zurück und konnten froh sein, dass sie nicht für immer auf der Strecke geblieben waren.

Jahre später fand ein Goldsucher namens Jaime Hudson, den man nicht ohne Grund Barrabas nannte, in der verlassenen Mine El Polaco einen Diamanten von 155 Karat. Allein für diesen so genannten Befreier Venezuelas strich er eine halbe Million Dollar ein. Er verjubelte sie innerhalb von sechs Monaten mit Alkohol und Frauen. Dann kehrte er zurück in den Dschungel und kam mit einem wunderschönen schwarzen Stein von scheinbar unschätzbarem Wert zurück. Doch nach einmonatiger Prüfung gelangte man zu dem Schluss, dass El Zamuro Guayanés in Wahrheit ein kristallisiertes Stück Kohle war, völlig wertlos, das noch Millionen von Jahren gebraucht hätte, um sich in einen Edelstein zu verwandeln.

Der unbelehrbare Barrabas grunzte nur, ließ sich voll laufen und kehrte wieder in den Dschungel zurück, wo er schließlich ums Leben kam.

Ciudad Bolívar wimmelte von Menschen aus aller Herren Länder, die auf das Ende der Regenzeit warteten, um in die unerschlossenen Gebiete des Escudo Guayanés vorzudringen. In dieser Welt, die nichts mehr mit der zu tun hatte, die sie erst zwei Jahre zuvor verlassen hatten, kamen Mary und Jimmie an.

»Hier hat sich alles verändert«, warnte sie der treue Freund Cardona, der sie am Tag ihrer Ankunft im Hotel besuchte. »Die Gran Sabana ist keine menschenleere Gegend mehr, in der sich höchstens eine Hand voll romantischer Abenteurer herumtreibt. Das Gold- und Diamantenfieber hat sich wie eine Seuche verbreitet. Und nicht nur die armen Schichten sind davon befallen worden, sondern auch jede Menge Banditen — leider.«

»Wir müssten also dem großen Tyrannen eigentlich nachtrauern.«

Der Spanier lachte. »Das nun auch nicht gerade. Man muss nur beide Augen aufhalten und die Machete stets griffbereit haben, sobald man da unten jemandem begegnet. Die Gefahr geht mittlerweile weniger von Menschenfressern als von Wegelagerern und Meuchelmördern aus.«

»Und wie reagieren die Indianer darauf?«

»Wie üblich. Sie weichen ihnen aus so gut es geht und ziehen sich immer weiter in den Dschungel zurück«, erklärte Cardona. »Nun, das Gebiet ist ja auch groß genug. Die Berge und die Grenze zu Brasilien sind nach wie vor völlig unberührt.«

»Fragt sich nur, wie lange noch.«

»Wahrscheinlich dauert es noch hundert Jahre, bis man das Bergland ein für alle Mal erschlossen hat. Die Gefahr lauert unmittelbar vor der Tür, an den Ufern des Caroní und des Paragua. Das Gute daran ist nur, dass sie so sporadisch kommt, in Wellen sozusagen.« Er warf Jimmie einen freundschaftlichen Blick zu. »Und was hast du diesmal für Pläne?«