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Zu guter Letzt kam Jimmie auf die Idee, seinen alten Freund Pater Orozco um Rat zu fragen. Immerhin hatte der es mittlerweile geschafft, in Kawanayen, etwa sechzig Kilometer von ihnen entfernt, eine Missionsstation mit richtigen Steinwänden zu bauen. Doch auch er mit seiner enormen Ortskenntnis konnte ihnen nicht weiterhelfen.

»Die pemones behaupten, dass niemand diesen Berg erklimmen kann«, versicherte der Pater. »Aber nicht einmal ich könnte euch sagen, ob es tatsächlich so ist oder ob sie das nur aus Aberglauben sagen. Richtig ist, dass man eine Gänsehaut bekommt, wenn man am Fuß des Berges steht und hinaufschaut. Nicht nur die Höhe beeindruckt einen, auch der Felsen selbst hat etwas Unheimliches. Diese glatten schwarzen Wände, die steil emporragen und sich fast immer im Dunst verlieren.«

»Auch Sie fürchten sich vor dem Berg, nicht wahr, Pater?«

»Und wie! Warum sollte ich es verbergen? Am Fuß dieses Berges oder besser noch am Fuß des Wasserfalls bist du entweder deinem Schöpfer oder aber der Hölle verdammt nah. Das hängt nur davon ab, in welcher Gemütsverfassung du gerade bist.«

»Was raten Sie mir dann?«

»Was soll ich dir raten, mein Sohn?«, gab der Dominikaner zurück. »Du suchst nach Gold und Diamanten. Mich würden sie nicht auf den Gipfel locken können. Ich könnte dir vielleicht einen Rat geben, wie du Gott findest, aber mit Goldminen kenne ich mich nicht aus.«

»In diesem Fall frage ich Sie nicht in Ihrer Eigenschaft als Missionar«, erklärte Jimmie, »sondern als zivilisierten Menschen, der sich in diesem Gebiet von uns allen am besten auskennt.«

Pater Orozco schwieg einen Augenblick, während er sich nachdenklich den schon beinahe weißen Bart kraulte. Schließlich zuckte er beinahe unmerklich die Achseln und erklärte: »Als zivilisierter Mensch, der sich in diesem Gebiet besser auskennt als die meisten anderen, kann ich dir nur eins sagen. Wenn du dort oben landest und aus irgendeinem Grund nicht mehr starten kannst, wirst du nie mehr runterkommen, mein Sohn. Höchstwahrscheinlich würdest du dann in Conan Doyles Verlorener Welt jämmerlich verhungern. Ich finde, das ist ein schreckliches Ende. Umso mehr, weil ich dich wirklich sehr schätze.«

»Wenn ich das letzte Mal starten konnte, warum dieses Mal nicht?«

»O ja, mein Sohn, ich habe gesehen, wie du damals von der kleinen Insel abgehoben bist«, erinnerte ihn der Pater. »Ich will gar nicht bestreiten, dass ich sehr beeindruckt war. Eine grandiose Leistung, zugegeben. Nicht weniger heldenhaft als die Landung auf diesem Tepui, nehme ich an.« Er breitete die Arme aus, als erklärte diese Geste alles. »Aber hier geht es auch um die Frage, ob es überhaupt derselbe Tafelberg ist.« Er hob warnend den Zeigefinger. »Ich fürchte, dass du selbst die allergrößten Zweifel hast, und deshalb halte ich es für verantwortungslos, ja sogar für glatten Wahnsinn, da oben zu landen, ohne zuvor genau zu wissen, ob sich diese verfluchte Mine tatsächlich auf dem Teufelsfelsen befindet.«

»Was soll ich denn sonst machen?«

»Leben, mein Sohn! Das sollte doch genügen. Das Leben ist ein Geschenk Gottes, viel wertvoller als alle Diamanten der Welt und du, der so intensiv gelebt hat, solltest das wissen. Du hast unzählige Male Kopf und Kragen riskiert und bist immer wieder glimpflich davongekommen, du hast eine bezaubernde Frau und bist obendrein berühmt… Was willst du denn noch alles?«

»Einen Traum verwirklichen.«

»Ist dein Leben nicht Traum genug? Nein, ich sehe schon. Die Habgier ist stärker als alles andere.«

»Es ist nicht die Habgier, Pater. Ich bin nicht gierig und auch John McCracken war es nicht. Er hat sehr viel auf sich genommen, um die Mine zu finden. Und als er sie entdeckte, hat er sie nicht ausgebeutet, wie es jeder andere an seiner Stelle getan hätte.«

»Warum eigentlich nicht? Das habe ich ehrlich gesagt niemals verstanden.«

»Ich schon. Menschen wie All Williams und John McCracken kommt es nicht darauf an, in ihrem Reichtum zu ersticken, sondern zu wissen, dass sie reich sein könnten, wenn sie wollten. Sie geben sich mit dem zufrieden, was sie brauchen, alles andere ignorieren sie.«

»Und du denkst genauso?«

»Allerdings.«

»Du willst mir weismachen, dass du nur einen Teil für dich beanspruchst, falls du die Ader da oben wirklich finden solltest?«

»Ich habe es versprochen und daran werde ich mich halten.«

»Du bist ein komischer Vogel, Jimmie. Wirklich komisch! Du verachtest den Ruhm, den dir deine Entdeckung eingebracht hat, und opferst alles für Gold und Diamanten, die du offensichtlich ebenso verachtest. Wer soll dich verstehen können?«

»Ich kann es, und das genügt mir!«, antwortete der Pilot grinsend. »Ich habe nur den einen sehnlichen Wunsch, noch einmal da oben zu landen und so eine Nacht zu erleben wie damals. Dann kann ich den Rest meines Lebens in Frieden verbringen. Alles andere kommt mir dagegen nur nebensächlich vor.«

»In diesem Fall bleibt mir nichts anderes übrig, als dir viel Glück zu wünschen. Aber nimm dich in Acht vor diesem Berg.«

Auf dem Rückflug ins CamarataTal flog Jimmie zum xten Mal über den Tepui, durch die Teufelsschlucht und so dicht an den Wasserfall heran, dass das Wasser auf seine Windschutzscheibe spritzte. Als er eine halbe Stunde später auf dem Feld landete, wo sie ihr improvisiertes Lager aufgeschlagen hatten, versammelte er die ganze Mannschaft vor einem Tisch, auf dem alle Fotos und Karten ausgebreitet lagen.

»Sobald der Wind sich legt, werde ich versuchen, auf dem Tepui zu landen«, erklärte er.

Die vier sahen sich vielsagend an. Schließlich ergriff Henry das Wort.

»Du meinst, wir werden versuchen, auf dem Tepui zu landen«, berichtigte er ihn. »Du wirst verstehen, dass wir dich nicht allein das ganze Risiko tragen lassen.«

»Warum nicht?«

»Weil Delgado und ich die Einzigen wären, die dir runterhelfen könnten, wenn du aus irgendeinem Grund nicht wieder starten kannst.«

»Und wenn ich es doch kann?«

»Dann wäre niemand ein Risiko eingegangen«, sagte Gustavo Henry lächelnd und zeigte auf die dunkle Wand. »Außerdem will ich um nichts auf der Welt auf dieses Spektakel verzichten. Ein einziges Mal im Leben möchte ich ganz oben auf dem Gipfel sitzen und auf den Wasserfall hinabsehen.«

»Aber…«

»Kein Aber mehr«, unterbrach ihn Henry. »Wir haben es gemeinsam beschlossen, als du in Kawanayen warst. Ich darf dich daran erinnern, dass du in unserer Schuld stehst. Und das ist der Preis, den du bezahlen musst. Auf dem Gipfel dieses Berg zu stehen, bedeutet mir mehr als alle Diamanten der Welt.«

»Und wie steht es mit meiner Verantwortung als Pilot des Flugzeugs?«

»Komm mir bloß nicht mit so was«, entgegnete Henry wegwerfend. »Deine Verantwortung endet da, wo ich dich bitte, mich mitzunehmen.«

»Und Delgado?«

»Delgado redet nicht viel. Trotzdem würde er wie wir alle auch sein Leben dafür geben, einmal auf diesem Berg zu stehen.«

An Cardona gewandt fragte Jimmie: »Du auch?«

»Na klar«, antwortete der wie aus der Pistole geschossen. »Aber ich kann warten. Es wäre nur gerecht, wenn ich Mary den Vortritt lasse.«

»Kommt nicht infrage!«, platzte Jimmie heraus, wie von der Tarantel gestochen. »Mary fliegt nicht mit!«

»Wenn Mary nicht mitfliegt, dann fliegt überhaupt keiner mit«, mischte sich seine Frau ein. Ihr Ton ließ keinen Widerspruch zu.

»Wie bitte?«, fragte Jimmie verblüfft.

»Du hast mich schon verstanden.«

»Wie kommst du darauf?«

»Seit Jahren bin ich immer am Boden geblieben. Ich habe Todesängste ausgestanden und so getan, als sei alles in Ordnung, nur damit du deinen Willen bekommst. Wenn du jetzt meinst, du könntest mich einfach links liegen lassen, bist du auf dem Holzweg.«