Выбрать главу

»Aber das ist viel zu gefährlich!«

»Was du nicht sagst. Ich gehe das Risiko ein. Wenn du stirbst, sterben wir beide. Und wenn du noch so eine Nacht verbringen willst wie damals, von der du, seit ich dich kenne, schwärmst, als hätte sie im siebten Himmel stattgefunden, dann will ich dabei sein.«

»Nein!«

»Jawohl!«

»Ich habe nein gesagt, und damit basta. An Bord habe immer noch ich das Sagen.«

»Mag sein«, entgegnete sie mit eisiger Ruhe. »Aber was mein Leben angeht, da habe ich das Sagen. Wenn du ohne mich startest, bin ich nicht mehr da, falls du zurückkommst, das schwöre ich dir.«

»Nimm doch Vernunft an!«

»Ich denke gar nicht daran. Ich habe mich für dich geopfert, mir seit Jahren kein einziges neues Kleid geleistet und als Lohn willst du mich jetzt hinauskomplimentieren? Ich soll auf ein Ereignis verzichten, das vielleicht das größte in meinem Leben sein wird? Kommt nicht infrage!«

»Es ist doch nur zu deinem Besten!«

»Was am besten für mich ist, entscheide immer noch ich. Und ich will mit.«

»Das könnt ihr mir doch nicht antun!« Jimmie stöhnte und drohte zum ersten Mal im Leben die Beherrschung zu verlieren. »Ihr habt kein Recht, mich bis hierher zu locken, mich vom Honig kosten zu lassen und dann zu verlangen, dass ich das Unternehmen aufgebe, obwohl ich es schon so lange verfolge.«

»Keiner von uns verlangt, dass du irgendetwas aufgibst«, berichtigte ihn Cardona geschickt. »Wir wollen dich nur dazu bringen, das Risiko mit uns zu teilen.«

»Das Risiko?«, fragte Jimmie. »Hast du eine Ahnung, was es heißt, von da oben zu starten und erst mal siebenhundert Meter im Sturzflug hinzulegen?«

»Ja, hab ich«, versicherte Cardona selbstbewusst. »Ich bin selbst Pilot, vergiss das nicht, und daher weiß ich, dass die Maschine es aushalten wird. Dieses Flugzeug macht seinem Namen alle Ehre.«

»Mit drei verdammten Passagieren an Bord?«

»Jetzt werd nicht unverschämt!«, schimpfte seine Frau. »Und stell dich nicht so blöd an. Du weißt genau, dass wir Recht haben. Entweder fliegen alle mit, oder wir fahren alle nach Hause und vergessen die ganze Geschichte ein für alle Mal.«

Jimmie wäre fast geplatzt vor Wut, doch dann überlegte er es sich anders. Er sprang auf und trat gegen den Klappstuhl, auf dem er gesessen hatte. Dann trabte er wie ein einsamer Steppenwolf hinunter zu einem kleinen Fluss mit dunklem Wasser, der nur wenige Meter vom Lager entfernt vorbeifloss.

Nachdenklich folgte er seinem Lauf, bis er zu der Quelle in einer Grotte am Fuß der Steilwand kam. Dort sprang er ins tiefe Wasser. Hätte er sich während der Trockenzeit hierher verirrt, wenn der Fluss fast kein Wasser führte, hätte er in die Grotte hineingehen können. Natürlich ahnte er nicht, dass es sich um die sagenhafte KavácHöhle handelte, die erst ein halbes Jahrhundert später entdeckt werden sollte und neben dem Salto Angel heute zu den wichtigsten Touristenattraktionen von Venezuela gehört.

Sie hatten ihr Lager keine drei Kilometer entfernt aufgeschlagen und wochenlang bloß einen Steinwurf davon entfernt gelebt. An jenem Nachmittag badete Jimmie keine zwanzig Meter vom Eingang der Grotte entfernt, doch diesmal schien das launische Schicksal, das ihm zuvor den Wasserfall offenbart hatte, nicht gewillt, ihm zu zeigen, was vor seinen Augen lag.

Die KavácHöhle besteht größtenteils aus einer riesigen Grotte, so hoch und so breit wie eine in Stein gehauene Kathedrale. Auf der Höhe ihrer Kuppel gibt es eine Öffnung, nicht größer als zehn Meter. Von hier stürzt ein Wasserstrahl, vermischt mit funkelnden Sonnenstrahlen, in die Tiefe.

Etwas unterhalb des kleinen Sees, in den der Wasserfall mündet, schlängelt sich das Wasser durch eine hohe Schlucht, deren Wände wie mit dem Messer gezogen scheinen, bahnt sich einen Weg durch eine weitere schmale Grotte und gelangt schließlich zur Gran Sabana, wo es in den unbändigen Río Caroní mündet und dann vom majestätischen Orinoco bis zum Meer getragen wird.

Doch das wären zu viele Entdeckungen für einen einzelnen Menschen gewesen. Diesmal zog die Natur es vor, ihr Geheimnis noch ein weiteres halbes Jahrhundert für sich zu behalten.

Henry hatte nach Jimmies unvermitteltem Wutausbruch lange Zeit geschwiegen. Schließlich aber fragte er sichtlich besorgt: »Und was passiert jetzt?«

»Gar nichts!«, antwortete Mary Angel zuversichtlich.

»Was macht er wohl?«

»Grübeln.«

»Und dann?«

»Dann wird er ein bisschen Dampf ablassen und schließlich klein beigeben.«

»Glaubst du wirklich?«

»Ich bin schließlich seine Frau. Ich kenne ihn so gut, als hätte ich ihn selbst geboren. Und außerdem, was bleibt ihm anderes übrig?«

Der frühe Morgen des 9. Oktober 1937 kündigte einen herrlichen Tag an.

Keine einzige Wolke am Himmel, nicht die leiseste Brise, grenzenlose Sicht in alle Himmelsrichtungen. Noch hatte die Sonne die Erde nicht aufgewärmt und das Wasser verdunsten lassen, das in wenigen Stunden alles mit einem undurchdringlichen Schleier verhüllen würde.

Der trockene, feste Boden der Landebahn und die Luft, die nach Dschungel roch, mahnten zum Aufbruch. Sie hatten alles seit Tagen geplant; jetzt mussten sie nur den Zündschlüssel umdrehen und abwarten, bis sich der Motor der funkelnden Río Caroní warmgelaufen hatte. Ihre Silhouette zeichnete sich vor den hohen Bäumen und den bedrohlichen schwarzen Wänden des Tepui ab.

Wenig später warfen die glatten Wände der steinernen Festung die ersten Sonnenstrahlen zurück. Es war wie eine Aufforderung und Warnung zugleich, als wollten sie die kleinen Menschenwesen, die den Berg betrachteten, wissen lassen, dass es trotz allem ein Teufelsfelsen war, seit Menschengedenken unberührt. Auch ein dröhnender Flugzeugmotor würde daran nichts ändern.

Sie frühstückten wortlos. Fast alle hatten einen Kloß im Hals, der sie am Schlucken hinderte; daher begnügten sie sich mit einem starken Kaffee in der Hoffnung, die bösen Ahnungen zu verscheuchen, die zusammen mit Hunderten von gelben Schmetterlingen um ihre Köpfe tanzten.

Cardona, der als Einziger am Boden bleiben würde, wirkte besonders nervös. Als sie sich zum Abschied umarmten, war er den Tränen nah.

Jimmie versuchte, ihn zu trösten. »Morgen um die Mittagszeit sind wir wohlbehalten wieder zurück.«

»Versprochen?«

»Mein Ehrenwort.«

»Wenn wir wenigstens eine Ersatzmaschine hätten, mit der man feststellen könnte, ob alles gut gegangen ist!«

»Wenn wir die hätten, wären wir reich, aber das ist nun einmal nicht der Fall«, erklärte der Amerikaner. »Vertrau mir einfach.«

»Hast du den Spiegel dabei?«

»Hab ich.«

»Kannst du dich noch an die Zeichen erinnern?«

»Jetzt reicht es aber, Cardona!«, fuhr Jimmie ihn an. »Du machst mich noch ganz konfus.«

Sie umarmten sich erneut. Der Spanier drückte allen an Bord fest die Hand. Dann schloss er die Tür der Kabine, trat einige Schritte zurück und ging langsam über die Rollbahn zum angrenzenden Feld.

Im Nu hatte die Río Caroní das Ende der Piste erreicht. Der Pilot wendete die Maschine und brachte sie in Startposition. Nachdem er eine Minute hatte verstreichen lassen, heulte der Motor auf und das Flugzeug setzte sich in Bewegung.

Schnell gewann es an Geschwindigkeit und erhob sich nach dreihundert Metern majestätisch in die Luft, während sich die Sonnenstrahlen auf seiner Metalloberfläche spiegelten, als wollten sie mit der Schönheit des Tafelberges konkurrieren.

Sie gewannen an Höhe.

Die Welt unter ihnen wurde immer kleiner. Cardona war nur noch eine winzige Figur, die ihnen mit beiden Armen zuwinkte.

Die Bäume hörten auf, Bäume zu sein, und verwandelten sich wie durch Zauberhand in einen dichten grünen Teppich.