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Die guaharibos traten überrascht einige Schritte zurück, um den Mann besser sehen zu können, dessen Stimme so traurig klang. Dann zeigte ein Indianer mit dem Finger auf Jimmie und brach in lautes Gelächter aus.

Auch die anderen Indianer lachten, worauf Jimmie Delgado und Henry mit einer gebieterischen Geste aufforderte, in seinen Gesang einzustimmen.

Si Adelita se fuera con otro La seguiría por aire y por mar…

Es klang krumm und schief, aber herzzerreißend. Die verzweifelten Stimmen wirkten um vieles eindringlicher als das ergreifendste Gebet. Und sie zeigten Wirkung. Zwar begannen die Wilden erneut zu lachen und sie gutmütig zu verspotten, nahmen ihre Arbeit aber wieder auf.

Als wäre es ein Kinderspiel, kletterten sie die steile Felswand hoch und fuhren fort, Pfähle in den harten Stein zu schlagen. Als sich schließlich die ersten Schatten über das Land legten, hatten sie sich bis auf eine Entfernung von sieben Metern an die Gruppe der schmachtenden Weißen herangekämpft.

Der junge Krieger, der den letzten Pfahl in die Wand geschlagen hatte, stieg die in den Felsen gehauene Treppe wieder hinab. Kurz darauf kam ein kleiner alter Mann mit spärlichem Haar und einer dicken Liane um die Schultern heraufgeklettert. Offensichtlich war er der Älteste in der Gruppe. Wie ein Vater, der seinen Kinder mit einer saftigen Tracht Prügel droht, falls sie erneut eine Dummheit begehen, hob er nur warnend die Hand.

Dann warf er ihnen die Liane hoch, vergewisserte sich, dass die Weißen sie ordentlich angebunden hatten, um sich bis zur ersten Stufe der improvisierten Leiter hinunterzuhangeln, und kletterte würdevoll wieder hinab. Wenig später verlor er sich, gefolgt von seinem Stamm, in der Weite der Savanne.

Mary sah ihnen nach und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Möge der Herr euch beschützen!«, rief sie ihnen nach.

Doch sie drehten sich nicht einmal um.

Epilog

Henry und Delgado fanden sehr schnell wieder zur Normalität zurück. Mary Angel dagegen musste sich zwei Wochen in Camarata von den Strapazen des missglückten Abenteuers erholen, bis sie mit Hilfe ihres Mannes, der keinen Augenblick von ihrer Seite wich, wieder einigermaßen zu Kräften gekommen war.

Bei ihrer Rückkehr nach Ciudad Bolívar waren die Angels psychisch erschöpft und wirtschaftlich am Ende. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als erneut die finanzielle Unterstützung einer Hand voll ausgewählter Freunde anzunehmen, die ihnen das nötige Geld verschafften, um in die Staaten zurückkehren zu können.

Es folgten harte und bittere Jahre.

Der Krieg, den Jimmie vorausgeahnt hatte, brach los. Obwohl er sich als einer der Ersten freiwillig meldete, durfte er nicht an die Front, sondern musste sich damit begnügen, junge Piloten auszubilden, die dann in den sicheren Tod geschickt wurden.

Müde und enttäuscht zog er schließlich Mitte der fünfziger Jahre mit seiner Frau und zwei Kindern, für die er mittlerweile sorgen musste, nach Panama, doch seiner Leidenschaft für die Luftfahrt hat er nie abschwören können. Am 8. Dezember 1956 stürzte er ab und diesmal hatte er kein Glück.

Über vierzig Jahre lang hatte er fünf Kontinente überflogen und sich als Pionier der Luftfahrt einen Namen gemacht.

Mary ließ seine Leiche einäschern, fuhr nach Venezuela und verstreute die Asche über dem Wasserfall, der heute seinen Namen trägt, und über der Flamingo, die damals noch so auf dem Gipfel des Teufelsfelsen stand, wie sie sie verlassen hatten.

Am Fuß dieses Wasserfalls erinnert heute ein einfaches Schild an Jimmie Angel. Die wenigen Besucher, die sich bis hierher wagen, werden darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Naturwunder nach einem der mutigsten Männer des Jahrhunderts benannt wurde.

Die Gold- und Diamantenader, die All Williams und John McCracken entdeckt hatten, wurde nie gefunden. Sie verbirgt sich noch heute auf dem Gipfel eines vergessenen Tepui, irgendwo in der Gran Sabana.

Viele glauben, es hätte sie niemals gegeben oder der Schotte hätte sich damals einen Spaß daraus gemacht, dem König der Lüfte eins auszuwischen. Mary jedoch behauptet, einige Jahre vor seinem Tod habe ihr Mann sie eines Tages gerufen, um ihr einige Dokumente zu zeigen, die er auf dem Speicher in einer alten Truhe gefunden hatte.

»Ich glaube, ich weiß jetzt, was der Fehler war«, soll er gesagt haben.

»Welcher Fehler?«

»Den ich gemacht habe, als wir die Ader suchten.« Er zeigte auf eine halb zerrissene, vergilbte Karte, die er auf dem Boden ausgebreitet hatte. »Erinnerst du dich? Es ist die Karte, die ich in Bogotá gekauft habe, als wir zum ersten Mal nach Guayana geflogen sind. Es war die Einzige, die es damals gab.«

»Ja«, antwortete sie. »Ich erinnere mich, dass du davon gesprochen hast.«

»Dann sieh dir das hier mal genau an!« Er zeigte mit dem Finger auf einen Punkt. »Sieh hier! Da steht Río Caroní. Und hier auch! Auf dieser Karte heißen beide Nebenarme des Río Caroní, der schließlich in den Orinoco mündet, ebenfalls Caroní!«

»Ja, das sehe ich. Aber was willst du damit sagen?«

»Dass McCracken sich nach dem Namen des Flusses erkundigt haben muss, als er von seinem Berg hinunterstieg, und man wird ihm gesagt haben, es sei der Caroní. Später, als ich mit dir hingeflogen bin, habe ich mich anhand dieser Karte vergewissert, dass er es war. Und auch Pater Orozco hat es uns versichert…«

Der König der Lüfte hielt inne und stopfte langsam seine Pfeife, als bräuchte er ihre Hilfe, um weiterzuerzählen.

»Die Koordinaten stimmten. Dreihundert Kilometer südlich des Orinoco, fünfzig östlich des Caroní.« Er seufzte. »Inzwischen aber hatte die venezolanische Armee das Gebiet vermessen und es für verrückt erklärt, dass zwei Nebenarme eines Flusses denselben Namen trugen. Sie tauften den, der westlich verlief, in Río Paragua um und deklarierten ihn zu einem Nebenarm des Caroní, der sich weiter östlich davon befindet.«

»Und das hat dich in die Irre geleitet?«

»Ja, genau. Alle Karten, die nach 1920 erstellt wurden, beweisen eindeutig, dass der Caroní der größere Fluss war, der rechte auf dieser Karte. Und ich habe einfach nicht daran gedacht, dass damals der andere ebenfalls Caroní hieß.«

»Das heißt, dass McCrackens Berg nicht östlich von dem Fluss liegt, den sie heute Caroní nennen, sondern westlich davon.«

»Das nehme ich an. Ich gehe davon aus, dass er einer der unzähligen Tepuis ist, die sich zwischen beiden Flüssen erheben. Etwa fünfzig Kilometer östlich von dem, der heute Paragua heißt.«

»Ach herrje!«, sagte Mary.

»Tja«, antwortete ihr Mann. »Wir haben unser Leben damit vergeudet, an der falschen Stelle zu suchen, nur wegen einer dummen Namensverwechslung.«

»Ich habe nie das Gefühl gehabt, wir hätten unser Leben vergeudet«, widersprach Mary. »Zugegeben, hättest du diesen dummen Fehler nicht gemacht, dann hätten wir die Ader wahrscheinlich gefunden, aber vielleicht hättest du dann den Wasserfall nie entdeckt.«

»Und dir ist es wichtiger, dass jetzt ein Wasserfall meinen Namen trägt, als ein angenehmes und luxuriöses Leben zu führen?«

»Na klar!«

»Aber was haben unsere Kinder davon, dass dieser Wasserfall nach mir benannt ist?«

»Was hätten sie von den Diamanten gehabt?«, erwiderte sie. »Sie haben allen Grund, auf ihren Nachnamen stolz zu sein und auf ihren Vater auch. Für mich ist es das schönste Vermächtnis, das du ihnen hättest hinterlassen können. Alles andere ist nur Geld.«

»Du bist immer noch unglaublich«, antwortete Jimmie. »Genau wie früher!«