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»Wenn ihr ihn tötet, werdet ihr den Code nie erfahren«, sagte sie. Sie nahm die Pflege Shoats in ihre täglichen Pflichten auf, obwohl sie sich bereits um Walker und mehrere alte Soldaten kümmerte. Jemand musste es schließlich tun. Auch sie waren noch immer Geschöpfe Gottes.

Walker versank immer wieder im Fieber und fluchte im Schlaf in verschiedenen Sprachen. Die Soldaten tauschten finstere Blicke aus. Ihre Absichten waren deutlich, und Ali machte sich immer größere Sorgen. Die einzige gute Nachricht war die, dass Ike immer noch nicht aufgespürt worden war.

In der zweiten Nacht versuchte Troy, einen Soldaten davon abzuhalten, das Mädchen zu seinen draußen wartenden Kameraden mitzunehmen. Die Soldaten prügelten mit ihren Pistolen auf ihn ein, bis das Mädchen schrill zu lachen begann, worauf sie das Interesse daran verloren, weiter auf Troy einzuschlagen. Viel später wurde sie wieder hereingezerrt, verschwitzt, den Mund wieder zugeklebt. Obwohl er selbst noch blutete, half Troy Ali dabei, das Mädchen mit einer Flasche Wasser zu waschen.

»Sie hat schon Kinder gehabt«, stellte Troy mit leiser Stimme fest. »Hast du das gesehen?«

»Du täuschst dich«, gab Ali zurück.

Doch zwischen den tätowierten Stammesmarkierungen verbargen sich tatsächlich Schwangerschaftsstreifen. Ihre Brustwarzenhöfe waren dunkel. Ali hatte die Zeichen übersehen.

In der dritten Nacht holten die Söldner das Mädchen wieder ab. Stunden später wurde es halb bewusstlos zurückgebracht. Während sie und Troy das Mädchen wuschen, summte Ali leise eine Melodie. Sie war sich dessen nicht einmal bewusst, als Troy plötzlich sagte: »Ali, sieh nur!«

Ali hob den Blick von den blaugelben Flecken rings um das Becken des Mädchens. Das Mädchen sah sie an. Tränen rannen über ihr Gesicht. Ali gab dem Summen Worte. »To many dangers, toils and snares, I have already come«, sang sie leise. »Tis Grace that brought me safe thus far, and Grace will lead me home.«

Das Mädchen begann zu schluchzen. Ali machte den Fehler, sie in den Arm nehmen zu wollen. Die freundliche Geste löste ein Gewitter heftig tretender Beine und um sich schlagender Arme aus.

Der Vorfall war auf grausige Art erhellend, denn jetzt wusste Ali, dass das Mädchen einst eine Mutter gehabt hatte, die ihm dieses Lied vorgesungen hatte.

Ali verbrachte die ganze Nacht bei der Gefangenen und beobachtete sie. Dieses Mädchen war verheiratet, zumindest mit einem Mann zusammen gewesen. Sie schien ein Kind zur Welt gebracht zu haben. Und bislang schien sie trotz der brutalen Massenvergewaltigungen ihre geistige Gesundheit bewahrt zu haben. Diese innere Kraft war erstaunlich.

Am nächsten Morgen musste Twiggs zum ersten Mal seit der unfreiwilligen Hungerkur austreten gehen. Natürlich dachte jemand wie Twiggs nicht daran, die Erlaubnis der Soldaten einzuholen. Einer der Söldner erschoss ihn.

Damit war das Ende des Rests an Freiheit besiegelt, den man ihnen zugestanden hatte. Walker befahl, die Wissenschaftler zu fesseln und in einem weiter hinten gelegenen Raum mit Drahtschlingen festzubinden. Ali war nicht überrascht. Sie war sich bereits seit einiger Zeit darüber im Klaren, dass ihre Exekution nur eine Frage der Zeit war.

Und es war finster auf der Tiefe

GENESIS 1:2

24

Tabula Rasa

NEW YORK CITY

Bis auf das blaue Flackern des Fernsehschirms war es dunkel in der Hotelsuite. Es war ein Rätseclass="underline" Fernseher an, Lautstärke ausgestellt, und das alles im Zimmer eines Blinden. Früher einmal hätte sich de l’Orme einen solchen Widerspruch selber arrangiert, um seine Besucher zu verunsichern. Doch heute Abend hatte er keine Besucher. Das Zimmermädchen hatte vergessen, ihre Seifenopern auszuschalten.

De l’Orme blätterte in seinem Meister Eckhart. Der Mystiker aus dem 13. Jahrhundert hatte so merkwürdige Dinge in so schlichten Worten gepredigt. Wahrhaft mutig, inmitten der finsteren Zeiten des tiefsten Mittelalters.

Gott wartet schon auf uns. Seine Liebe ist wie die Angel des Fischers. Der Fischer kann den Fisch nicht erhalten, wenn der sich nicht an der Angel fängt. Wenn er nach der Angel schnappt, dann ist der Fischer seiner sicher. Wohin sich der Fisch dann wendet, hin oder her, der Fischer hat ihn doch. So spreche ich auch von der Liebe. Wer an dieser Angel haftet, der ist so gefangen, dass der Fuß und die Hand, der Mund, die Augen, das Herz und alles was am Menschen ist, Gott zu Eigen sein muss. Und je mehr gefangen, desto mehr befreit.

Kein Wunder, dass der große Theologe von der Inquisition verurteilt und exkommuniziert worden war. Gott als Dominatrix! Noch verwirrender die Vorstellung des von Gott befreiten Menschen. Des von Gott befreiten Gottes. Und was dann? So weit war er gekommen, als das Telefon klingelte.

»Kennen Sie meine Stimme?«, fragte der Mann am anderen Ende.

»Bud Parsifal?«, sagte de l’Orme.

»Volltreffer.« Der Astronaut hörte sich schwerfällig an. Betrunken. »Hören Sie maclass="underline" Ist Santos bei Ihnen?«

»Nein.«

»Wo ist er dann?«, wollte Parsifal wissen. »Oder wissen Sie das nicht?«

»In Korea«, erwiderte de l’Orme, wusste wirklich nicht genau, in welchem der beiden Koreas. »Dort ist noch eine Gruppe Hadal aufgetaucht. Er studiert einige der Kunstgegenstände, die sie mitgebracht haben.«

»Korea. Hat er Ihnen das gesagt?«

»Ich habe ihn dorthin geschickt, Bud.«

»Woher wissen Sie denn, dass er auch tatsächlich dort ist, wo Sie ihn hingeschickt haben?«, fragte Parsifal.

De l’Orme nahm die Brille ab. Er rieb sich die Augen und öffnete sie. Sie waren weiß, ohne Netzhaut und ohne Pupille. Der Widerschein des Feuerwerks überzog sein Gesicht mit bunten Streifen. Er wartete.

»Ich habe schon versucht, die anderen anzurufen«, sagte Parsifal. »Die ganze Nacht über. Nichts.«

»Es ist Silvester«, sagte de l’Orme. »Wahrscheinlich feiern sie bei ihren Familien.«

»Also hat es Ihnen niemand gesagt.« Es war eine Feststellung, keine Frage.

»Sieht so aus. Worum es sich auch handeln mag.«

»Lesen Sie keine Zeitung? Hören Sie keine Nachrichten?«

»Ich habe mir ein wenig Einsamkeit verordnet. Aber bitte, klären Sie mich auf.«

Buds Stimme klang schleppend. »Wir sind in großer Gefahr. Sie sollten nicht einmal ans Telefon gehen.«

Er redete ziemlich verworren weiter. Vor zwei Wochen war im Landkartenraum des Metropolitan Museum ein großer Brand ausgebrochen. Davor war in einer alten Felsenbibliothek in Yungang in China eine Bombe hochgegangen. Innerhalb des letzten Monats waren Archive und archäologische Ausgrabungsstätten in zehn oder noch mehr Ländern verwüstet oder völlig zerstört worden.

»Das vom Met habe ich natürlich mitgekriegt. Aber die anderen Geschichten ... Gibt es eine Verbindung zwischen ihnen?«

»Jemand versucht, unsere Informationen auszulöschen. Sieht aus, als ob jemand reinen Tisch macht und alle Spuren vernichtet.«

»Welche Spuren? Wozu soll es denn gut sein, Museen abzufackeln und Bibliotheken in die Luft zu jagen?«

»Er macht den Laden dicht.«

»Er? Von wem reden Sie überhaupt? Ich verstehe gar nichts.«

Parsifal berichtete von mehreren anderen Begebenheiten, darunter auch einem Brand in der Bibliothek von Cambridge, in der die uralten Genizah-Fragmente aus Kairo aufbewahrt wurden.

»Zerstört«, sagte er. »Bis auf die Grundmauern abgebrannt. Ausgelöscht. In Fetzen gesprengt.«

»Das sind alles Orte, die wir im Lauf des vergangenen Jahres aufgesucht haben.«