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Spurner blickte auf und schob sich schützend vor Pia. »Sie sind ausgebrochen. Wir hätten mit ihnen gehen können«, sagte er. »Aber wir sind lieber hier geblieben.«

»Blödes Arschloch«, sagte der Soldat. Sie ließen zwei Splittergranaten über den Boden rollen, machten einen Satz aus dem Zimmer und drückten sich gegen die Außenwand. Dann verballerten sie auf das, was übrig war, jeder noch ein ganzes Magazin und kehrten in den vorderen Raum zurück. Nachdem das Betteln und Jammern der Verwundeten verstummt war, war es ruhig geworden. Nur Walker stöhnte immer noch vor sich hin.

»Das war vielleicht ein Scheißjob«, sagte einer der Soldaten.

»Ihr habt ja keine Ahnung«, meldete sich Shoat. Er hatte gerade eine seiner Peilungskapseln in eine Felsspalte geschoben.

»He, Shoat«, schrie der Soldat zurück, »warum verteilst du eigentlich immer noch diese blöden Peildinger? Wir kommen sowieso nie wieder hierher!«

»Und wenn morgen die Welt unterginge, ich würde heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.«

»Halt’s Maul, Schwachkopf.«

Sie beobachteten alles von dicht unter der Wasseroberfläche. Andere hockten mit Steinstaub getarnt auf den höher gelegenen Felsen. Sie sahen aus wie Reptilien. Oder Insekten. Eine Frage des Clans. Isaak hatte alles so angeordnet.

Hätten die Söldner auch nur einen Gedanken darauf verschwendet, die Klippen auszustrahlen, hätten sie womöglich ein schwaches Pulsieren wahrgenommen, das Zittern vieler flach atmender Lungen. So aber prallten ihre Suchscheinwerfer lediglich von der oszillierenden Oberfläche des Wassers ab.

Der Erschießungstrupp tauchte am Tor der Festung auf. Sie gingen mit schweren Schritten, wie Bauern am Abend eines arbeitsreichen Tages.

»Mein ist die Rache, sprach der Herr!«, brüllte Walkers irre Stimme aus den Festungsmauern hinter ihnen her.

»Schönen Tag noch«, murmelte jemand.

Flackernder Feuerschein drang aus dem Eingang. Einer der Soldaten hatte mit den letzten Aufzeichnungen der Wissenschaftler ein kleines Feuer entfacht.

»Jetzt geht’s ab nach Hause, Jungs«, rief der Lieutenant seinen Leuten zur Begrüßung entgegen.

Die Lanze, die ihn durchbohrte, war ein herrliches Beispiel altsteinzeitlicher Technologie. Ihre lange, blattförmige Feuersteinspitze war mit dem tödlichen Gift eines unterirdischen Rochen bestrichen. Es war das klassische Pfählen, bei dem der Spieß aus dem Wasser senkrecht nach oben direkt in den Anus eindrang und den Lieutenant dabei auf die gleiche Weise aufspießte, wie er es als Kind in der Schule beim Präparieren von Fröschen getan hatte.

Niemand bemerkte etwas. Der Lieutenant blieb aufrecht stehen, jedenfalls beinahe. Sein Kopf neigte sich ein wenig nach vorne, doch seine Augen blieben offen und das breite Grinsen wich nicht aus seinem Gesicht.

»Super, Boss«, schrie einer der Soldaten zurück.

Sie schwärmten auf dem Strand aus und zogen die Boote, die noch auf dem Sand lagen, zum Wasser. Zwei von ihnen trugen ihre Gewehre an den Tragegriffen, einer legte sich seine Flinte wie einen Balken quer über die Schultern.

»Auf geht’s, Jungs«, rief einer der Leute vom Boot.

Angeblich konnten römische Steinschleudern noch auf 185 Meter Entfernung ein Ziel von der Größe eines Menschen treffen. Der Stein, der Boom-Boom Jefferson erwischte, wurde aus einer Entfernung von 235 Metern geschleudert. Sein Nachbar hörte ein dumpfes Geräusch wie von einer platzenden Wassermelone, und als er aufblickte, sah er den einst so berühmten Baseballstar der Utah Jazz wie einen Baum zu Boden kippen.

»Haddie!«, schrie er.

Sie hatten schon zuvor solche Überfälle erlebt und waren es gewohnt, ohne viel Nachdenken um sich zu schießen und dabei möglichst viel Radau und Licht zu machen. Zwar hatten sie noch keine Ziele, aber bei Zusammenstößen mit den Hadal wartete man nicht auf Ziele. In den ersten paar Sekunden waren die überlegenen Waffen die einzige Chance, die Hadal durcheinander zu bringen und das Blatt zu wenden.

Also ballerten sie auf die Felshänge. Sie ballerten in den Sand. Sie ballerten ins Wasser. Sie ballerten nach oben. Sie versuchten, sich nicht gegenseitig zu beballern, aber dieses Risiko musste man schon eingehen.

Die unterschiedliche Munition    rief verschiedene Wirkungen hervor. Die Lucifer-Kugeln zerplatzten in grell leuchtenden Splitterschauern wie ein todbringendes Feuerwerk am Gestein. Sie pflügten durch den Sand und warfen das Wasser in sprudelnden Bögen auf. Weit über ihnen blitzte die Decke in tödlichen Sternbildern auf, Gesteinssplitter prasselten wie Regen herab.

Es funktionierte. Haddie hörte auf.

Kurzzeitig.

»Feuer einstellen!«, schrie jemand. »Durchzählen. Ich bin Eins!« »Zwei!«, brüllte eine andere Stimme.

»Drei!«

Es waren nur noch sieben übrig.

Die Söldner, die am nächsten bei den Booten standen, rannten hinunter zum Wasser. Die drei anderen kämpften sich durch den sirupdicken Sand zur Festung zurück.

»Verdammt, ich hab was abgekriegt.«

»Der Lieutenant ist tot.«

»Boom-Boom?«

»Auch.«

Shoat kauerte gleich hinter dem Eingang zur Festung, spähte nach draußen und versuchte, die Lage einzuschätzen. Als der Angriff einsetzte, war er noch nicht ganz aus dem Tor getreten, und es gab keinen Anlass dafür, allen zu zeigen, dass er unverletzt geblieben war. Seine Finger legten sich auf den Brustbeutel, in dem er das Peilgerät aufbewahrte. Es war für ihn so etwas wie ein Talisman, eine Quelle des Trostes und großer Macht. Eine Möglichkeit, diese gefährliche Welt verschwinden zu lassen. Er musste nur ein paar Tasten drücken, dann war die Bedrohung ein für alle Mal ausgelöscht. Das Gleiche würde jedoch auch mit den Söldnern passieren, und die konnten ihm vorerst immer noch nützlich sein. Mit dem Apokalypse-Beutel in der Hand dachte er nach: Jetzt oder später? Er entschied sich für später. Es konnte nicht schaden, ein paar Minuten zu warten und die Lage zu peilen. Wie es aussah, hatten die Hadal sozusagen ihre Punkte gemacht und sich wieder in die Dunkelheit verzogen.

»Was sollen wir tun?«, rief ein Soldat.

»Abhauen! Wir müssen abhauen!«, schrie ein anderer. »Alles in die Boote! Auf dem Wasser sind wir in Sicherheit!«

Mehrere Flöße trieben unbemannt dahin. Der Maschinengewehrschütze paddelte sein Boot zum Ufer zurück. »Los jetzt! Kommt schon!«, brüllte er seinen drei an der Außenmauer der Festung kauernden Kameraden zu.

Unsicher erhoben sich die drei und hielten nach weiteren im Hinterhalt liegenden Feinden Ausschau. Da sie niemanden entdecken konnten, schoben sie neue Magazine in die Gewehre und bereiteten sich auf den Sprint vor.

»Hundert Meter«, schätzte einer. »Das hab ich mal in neun Komma neun geschafft.«

»Aber nicht im Sand.«

»Dann pass mal auf!«

Sie trennten sich von ihrem Gepäck, streiften jedes unnötige Gramm ab, ließen Granaten, Messer, Lampen und kugelsichere Westen zurück.

»Fertig?«

»Neun Komma neun? Bist du wirklich so langsam?«

»Los!«

Von den höchsten Zinnen der Festung erreichte sie der Schrei einer Frau. Alle hörten ihn. Sogar Ali, die sich innerhalb der Festung immer weiter nach unten durchkämpfte, blieb stehen, um dem Schrei zu lauschen. Also hatte sich Troy ihren Anweisungen widersetzt.

Die Söldner sahen nach oben. Es war das wilde Mädchen, das sich weit aus dem Fenster des Turms herauslehnte. Sein Schrei hallte über die Soldaten hinweg. Es kam ihnen vor, als flögen ihre eigenen Herzen über das Wasser davon.

Und dann erwachte der Strand zum Leben.

Ali kam gerade rechtzeitig an ein Fenster, um es zu sehen. Auf halber Strecke zwischen Festung und Wasser bäumte sich ein Stück Strand auf, wuchs zu einem kleinen Berg heran. Der Hügel richtete sich auf und nahm die Gestalt eines Tieres an. Der Sand rann ihm von den Schultern, und aus dem Tier wurde ein Mann. Die Söldner waren viel zu verblüfft, um auf ihn zu schießen.