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Er streckte den Kopf aus dem Fenster. Mehrere Hadal kletterten über die Fassade der Festung auf ihn zu. Er zielte sorgfältig auf die Amphoren, die er ringsum auf den Zinnen aufgestellt hatte. Dann feuerte er dreimal, und jeder Schuss ließ eines der Tongefäße zerplatzen und entzündete gleichzeitig seinen Inhalt. Sofort ergoss sich das brennende Öl die Mauern hinab. Die Hadal wichen auf der senkrechten Fassade nach links und rechts aus. Einige sprangen ab, doch mehrere hatte es erwischt.

Die blauen Flammen rannen in versiegenden Rinnsalen zu Boden. Ein Gewitter aus Pfeilen und Steinen prasselte gegen die Wand rings um Ikes Fenster. Einige kamen hereingeflogen. Jetzt hatte er ihre Aufmerksamkeit auf sich gelenkt.

Ike hörte Schritte die Treppe heraufkommen. Er jagte einen einzigen Schuss durch die Amphoren, die er über dem Treppenabsatz festgebunden hatte. Aus zwanzig Krügen ergoss sich das Öl wie ein brennender Wasserfall die Stufen hinab. Schreie gellten herauf.

Ike ging zum hinteren Fenster und rief abermals Alis Namen. Diesmal sah er ein einzelnes winziges Licht, das sich den Korkenzieherweg hinaufbewegte, ungefähr einen halben Kilometer entfernt. Das Licht musste von einem Menschen stammen. Er zog sein Gewehr heran. Das Magazin hatte er zwar leer geschossen, doch das Zielfernrohr funktionierte noch. Er suchte die Gegend damit ab und fand das Licht. Das dort unten waren Troy und das wilde Mädchen. Ali war nirgendwo zu sehen.

Genau in diesem Moment hörte er sie. Ihr Echo schien im Inneren seines Schädels aufzusteigen, durch die Flammen auf dem Treppenabsatz und tief aus dem Gebäude. Er legte das Ohr auf den Stein. Ihre Stimme, die durch die Wände drang, vibrierte im Stein noch nach.

»O Gott, nein«, stöhnte sie plötzlich, und sein Herz stockte in der Brust. Sie hatten sie.

»Wartet doch!«, flehte sie. Diesmal war ihre Stimme schon weiter entfernt. Dann sagte sie etwas, das ihn erstarren ließ. Sie sprach den Namen Gottes aus. In der Sprache der Hadal.

Es gab kein Missverständnis. Sie setzte die Schnalz- und Kehllaute exakt an der richtigen Stelle. Ike war wie vor den Kopf gestoßen. Wo mochte sie das gelernt haben? Und welche Wirkung würde sie damit erzielen? Er wartete, den Kopf fest an den Stein gepresst.

Ike war außer sich vor Angst um sie. Hier oben war er hilflos. Er hatte keine Ahnung, wo sie war. Ein Stockwerk unter ihm, oder noch tiefer? Ihre Stimme schien von überall her zu kommen. Er nahm das Ohr vom Boden, und ihre Stimme verstummte abrupt. Er presste das Ohr abermals auf den glatt gescheuerten Stein, und da war sie wieder. »Hier«, sagte sie. »Seht mal, was ich habe.«

»Bitte, rede weiter«, murmelte er in der Hoffnung, ihren Aufenthaltsort herauszufinden.

Jetzt fing sie an, Flöte zu spielen. Er kannte diesen Klang. Es war die Knochenflöte, die er vor Monaten aus dem Fluss gefischt hatte. Ali musste sie als Souvenir oder Kunstgegenstand aufgehoben haben. Sie brachte kaum mehr als ein paar Quietscher und ein schrilles Pfeifen hervor. Glaubte sie wirklich, sie damit beeindrucken zu können?

Die Flöte verstummte. Ike stand auf. Was ging da vor sich? Er rannte zum gegenüberliegenden Fenster. Gerade quoll unten eine Gruppe von Hadal aus dem Tor hervor, Ali in der Mitte. Sie war gefesselt und humpelte, aber sie lebte.

»Ali!«, rief er. Beim Klang seiner Stimme drehte sie sich um.

Sofort schwang sich eine affenartige Gestalt durch den Fensterrahmen. Lange Zehen suchten kratzend und scharrend einen Halt. Ike taumelte nach hinten, doch der Hadal hatte ihn schon erwischt, riss mit seinen Krallen tiefe Kratzer. Ike zerrte an der rosafarbenen Schlinge vor seiner Brust, zog die Flinte vom Rücken unter dem Arm nach vorn, bis er sie zu fassen bekam. Dann drückte er ab.

Als er wieder aus dem Fenster schaute, war Ali bereits auf einem der Flöße, aber nicht allein. Das Floß bewegte sich vom Ufer weg. Sie saß im Bug und sah zu ihm herauf. Alis Bewacher drehte sich um und folgte ihrem Blick, war jedoch zu weit entfernt, als dass Ike ihn hätte identifizieren können. Er hielt sich das Nachtsichtfernrohr vors Auge und suchte das Wasser ab, aber vergeblich. Das Floß hatte die Klippe bereits passiert.

Seine Zeit lief ab. Er war der Letzte ihrer Feinde, und sie kletterten schon an den Mauern empor, um ihn zu fangen. Er musste sich beeilen. Ike fuhr mit der Hand suchend über dem Fenster hin und her, bis er das Zündkabel in der Nische wieder fand, in der er es versteckt hatte. Es war geradezu sträflich einfach gewesen, den Söldnern einen Sprengsatz zu stehlen. Er hatte tagelang Zeit gehabt, um die C-4 anzubringen, die Drähte zu verstecken und die Ölkrüge an den richtigen Stellen aufzubauen. Mit zwei geschickten Handbewegungen legte er die beiden Drahtenden an der Höllenmaschine an, drehte den Griff mit einem Ruck, zog ihn kurz hoch und drückte ihn herunter.

Die Festung schien in sich zusammenzuschmelzen. Die ölgefüllten Amphoren auf der Krone des Bauwerks brachen wie Sonnengewitter aus, selbst dann noch, als diese Krone brüchig wurde und einstürzte. Noch niemals war dieser riesige in Nacht und Finsternis gehüllte Hohlraum von einem derartig goldenen Licht erleuchtet worden. Zum ersten Mal seit 160 Millionen Jahren wurde das Gewölbe in seiner Ganzheit sichtbar. Es sah aus wie die Innenseite einer Gebärmutter, überzogen mit einem aderähnlichen Netz aus geologischen Druckrissen.

Ali sah einmal genau hin, dann verschloss sie die Augen vor der blendenden Hitze. Sie stellte sich vor, Ike säße ihr gegenüber auf dem Floß und grinste sie breit an, während der Scheiterhaufen sich in den Linsen seiner Gletscherbrille spiegelte. Diese Vorstellung brachte sie zum Lächeln. Im Tod war er zum Licht geworden. Dann senkte sich wieder die Dunkelheit herab, und die Gestalt gegenüber war nicht mehr Ike, sondern dieses fremde, verstümmelte Geschöpf. Ali hatte mehr Angst als je zuvor.

Hier stehe ich, ich kann nicht anders.

Gott helfe mir! Amen!

MARTIN LUTHER,

Rede vor dem Reichstag zu Worms

26

Der Höllenschlund

UNTERHALB DES YAP- UND DES PALAU-GRABENS

Seit zwei Tagen verfolgte sie ihn. Sie hielt Abstand, stets darauf bedacht, ihn nicht zu erschrecken. Zu viele Geschichten hatte sie schon gehört, die von Beutetieren berichteten, die aus Panik in tiefe Abgründe gesprungen waren. Außerdem wollte sie ihn nicht mehr als nötig hetzen, um die Energie in seinen Muskeln nicht zu vergeuden, in diesem Fleisch, das bald ihr gehören würde.

Sie leckte über die Wand, an die er sich gelehnt hatte, und sein Geschmack steigerte ihr Verlangen. Sie war sich immer noch nicht ganz sicher, doch sein Salz und sein Fleisch waren zu verführerisch. Sie gab dem Drängen ihres Magens nach. Es war Zeit, die Beute zu schlagen. Sie fing an, den Abstand zu verringern.

Schließlich erreichte sie eine Engstelle, die heruntergebrochene Felsstücke so gut wie unpassierbar gemacht hatten. Sie sah, wie er vor dem Steinhaufen niederkniete und sich kopfüber in den schmalen Tunnel quetschte. Mit einem Satz sprang sie los, um ihn noch zu erwischen, solange seine Beine herausschauten. Als ahnte er etwas, zog er die Beine schnell nach. Sie senkte das Messer, hockte sich auf den Boden und wartete, bis sich seine Geräusche entfernten, während er immer tiefer kroch.

Endlich wurde es da drinnen still. Sie kniete sich hin und kroch ebenfalls mit dem Kopf voran in das Loch. Der Engpass war länger als sie angenommen hatte und knickte unangenehm zur Seite und nach oben ab. Mit der Geschicklichkeit eines Schlangenmenschen wand sie sich auf dem Rücken hindurch und wunderte sich, dass der deutlich größere Mensch es mit solcher Leichtigkeit geschafft hatte.