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»Kommt nicht in Frage«, sagte er.

»Hallo, Ali«, rief Shoat über die Computerverbindung. »Du bist ein sehr böses Mädchen gewesen.«

»Shoat?« Ali schluckte und starrte auf den Bildschirm.

»Bleib ruhig«, sagte Ike.

»Aber ...?«

»Er hat keine Schuld«, sagte Shoats Bild. »Ike ist nur mein Pizzabote.«

»Ike, ich bitte dich«, flüsterte sie. »Was hat er vor? Hör zu, die Hadal lassen mit sich reden. Lass mich mit ihnen verhandeln.«

»Verhandeln? Du redest von ihnen immer noch wie von edlen Wilden.«

»Ich kann ihnen helfen, ich kann ...«

»Ihnen helfen? Sieh dich nur einmal um!«

»Ich habe einen Schatz gefunden.« Ali zeigte auf die Schriftrollen, Glyphen und Texte. »Hier liegt das Geheimnis ihrer Vergangenheit, das Gedächtnis ihres Volkes, es liegt alles hier!«

»Sie können weder lesen noch schreiben. Sie verhungern.«

»Genau deshalb brauchen sie mich«, erwiderte sie. »Wir können ihre Größe zu neuem Leben erwecken. Es braucht Zeit, gewiss, aber ich weiß jetzt, wie wir es anstellen können. Der innere Zusammenhang ist in diesen Schriften bewahrt. Sie sind etwa so weit von der heutigen Sprache der Hadal entfernt wie Altägyptisch vom Englischen. Aber dieser Ort gibt uns den Schlüssel dazu. Mit etwas Geduld können wir eine zwanzigtausend Jahre alte Zivilisation enträtseln.«

»Wir?«, fragte Ike.

»Ja, es gibt hier noch einen zweiten Gefangenen. Ich kannte ihn schon früher. Wir haben das ganze UrsprachenProjekt gemeinsam aus der Taufe gehoben.«

»Du kannst die Hadal nicht mehr zu dem machen, was sie einmal waren. Sie brauchen keine Geschichten aus der glorreichen Vergangenheit.« Ike hob die Nase witternd in die Luft. »Riech nur, Ali. Das ist der Geruch des Todes und der Verwesung. Wir sind hier in der Stadt der Verdammten. Ich weiß nicht, warum sich die Hadal alle hier versammelt haben. Es spielt auch keine Rolle. Sie gehen zu Grunde. Deshalb rauben sie unsere Frauen und Kinder. Deshalb lassen sie dich am Leben. Sie brauchen dich als Zuchtstute. Wir sind Vieh für sie. Sonst nichts.«

»Hallo, ihr zwei Turteltäubchen«, unterbrach sie Shoats quäkende Stimme. »Meine Uhr tickt. Bringen wir die Sache hinter uns, ja?«

Ali wandte sich dem Bildschirm zu. Sie wusste nicht, dass er sie durch sein Zielfernrohr im Visier hatte. »Was wollen Sie, Shoat?«

»Erstens: den Oberboss. Zweitens: mein Eigentum. Fangen wir bei Punkt eins an. Stellt mich zu ihm durch.«

Sie schaute Ike an.

»Er glaubt, die Hadal lassen mit sich handeln. Soll er es doch versuchen. Also, wer führt hier das Kommando, Ali?«

»Derjenige, den ich die ganze Zeit über gesucht habe, Ike. Der, nach dem auch du gesucht hast. Es ist ein und derselbe.«

»Das kann nicht sein.«

»Doch. Er ist es. Ich habe mit ihm geredet. Er kennt dich.« Ali sprach den hadalischen Namen des Gottkönigs in der Schnalzsprache aus.

»Älter-als-Alt«, sagte sie dann auf Englisch.

Es war ein verbotener Name, und das wilde Mädchen warf ihr einen strengen, erstaunten Blick zu.

»Er.« Ali zeigte auf das in Ikes Arm tätowierte Stammeszeichen, und ihn fröstelte. »Satan.«

Sein Blick huschte suchend über die Gestalten, die im Gewölbe hinter Ali lauerten. War das möglich? Hier?

Plötzlich stieß das Mädchen einen leisen Schrei aus. »Batr!«, sagte sie auf Hadal. Das Wort traf Ike ganz unerwartet. Sie hatte »Vater« gesagt. Sein Herz schlug schneller, und er drehte sich zu ihr um. Doch sie witterte in Richtung der lauernden Schatten. Kurz darauf nahm auch Ike den Geruch wahr. Abgesehen von einem kurzen Blick bei der Belagerung der Festung hatte Ike diesen Mann seit seinen Tagen im Höhlensystem von Tibet nicht mehr gesehen.

Isaak hatte sich kaum verändert. Und wenn, dann war er noch eindrucksvoller geworden. Keine Spur mehr von dem ausgemergelten Asketenkörper. Er hatte kräftige Muskeln angesetzt, was bedeutete, dass die Hadal ihm einen höheren Status und damit größere Fleischrationen zugestanden. Kalziumauswüchse bildeten an einer Seite seines bemalten Kopfes ein gewundenes Horn. Er bewegte sich mit der Anmut eines Tai-Chi-Meisters. Von den Silberbändern, die seinen Bizeps umspannten, über den drohenden Dämonenblick bis zu dem antiken Samuraischwert, das er in einer Hand führte, sah Isaak wie geschaffen dafür aus, hier unten zu regieren. Ein wahrhaftiger Herrscher der Unterwelt.

»Unser Abtrünniger«, begrüßte ihn Isaak mit mörderischem Grinsen. »Und er hat Geschenke mitgebracht? Meine Tochter. Und eine Maschine.«

Das Mädchen wollte sich losreißen, doch Ike hielt sie zurück, indem er den Strick noch einmal um seine Hand wand. Isaaks Oberlippe zog sich über die gefeilten Zähne zurück. Er sagte etwas auf Hadal, das zu kompliziert für Ike war.

Ike packte sein Messer und erstickte seine Angst. Das war Alis Satan? Es sah ihm ähnlich, sie davon zu überzeugen, er sei der große Khan. So wie er Ikes eigene Tochter glauben gemacht hatte, er sei ihr Vater.

»Ali«, murmelte Ike, »er ist es nicht.« Er sprach den Namen von Älter-als-Alt nicht aus, nicht einmal geflüstert. Stattdessen berührte er sein Sippenzeichen, um ihr zu signalisieren, wen er meinte.

»Natürlich ist er es.«

»Nein. Er ist nur ein Mensch. Ein Gefangener wie ich.«

»Aber sie gehorchen ihm.«

»Weil er ihrem König gehorcht. Er ist ein Statthalter. Ein Günstling.«

Ali sah ihn verdutzt an. »Aber wer ist dann der König?«

Ike vernahm ein leises Klingeln. Er kannte dieses Geräusch aus der Festung. Das Klirren von Jade gegen Jade. Kriegerrüstungen, zehntausend Jahre alt. Ali drehte sich um und starrte in die Dunkelheit.

Eine schreckliche Kraft fing an, an Ike zu zerren. Er spürte, wie er den Halt verlor und die Tiefe ihn magisch anzog.

»Wir haben dich vermisst«, sprach eine Stimme aus den Ruinen zu ihm.

Als eine vertraute Gestalt aus der Dunkelheit hervortrat, senkte Ike die Hand mit dem Messer. Er ließ den Strick los, an den seine Tochter gefesselt war, und sie huschte von seiner Seite. Sein Bewusstsein füllte sich. Sein Herz wurde leer. Er ergab sich dem Abgrund.

Endlich, dachte Ike und fiel auf die Knie. Er.

Shoat summte in seinem Scharfschützenversteck vor sich hin. Das Gewehr ruhte in einer Rille im Felsgestein vor ihm. Von hier aus hatte er das gesamte Höllenloch im Blick. Sein Auge haftete am Zielfernrohr, durch das er beobachtete, wie die kleinen Gestalten dort unten das abgesprochene Drehbuch aufführten. »Tick-tack«, flüsterte er.

Höchste Zeit, den Deckel auf den Sarg zu nageln und die lange Heimreise anzutreten. Da der Fluchttunnel mit synthetischen Viren blockiert war, brauchte er sich vor keiner dieser Kreaturen mehr zu verstecken, musste vor niemandem mehr davonlaufen. Die größten Gefahren, die ihm drohten, waren Einsamkeit und Langeweile. Immerhin lag ein einsamer Marsch von einem halben Jahr vor ihm, den er mit einem eintönigen Speiseplan aus überall am Weg versteckten Energieriegeln hinter sich bringen musste.

Dass sich die Hadal alle hier an einem Fleck zusammengerottet hatten, war ein wahrer Glücksfall für ihn. Die Forscher bei Helios hatten berechnet, dass es bis zu zehn Jahren dauern könnte, bis die Kontaminierung mit Prion das subpazifische Höhlensystem durchdrungen und die gesamte Nahrungskette inklusive der Hadal selbst vernichtet hatte. Jetzt aber, nachdem er seine letzten fünf Kapseln im Gehäuse des Laptops festgeklebt hatte, konnte Shoat die lästige Bevölkerung hier unten weit vor dem veranschlagten Zeitpunkt ausradieren. Es war das ultimative Trojanische Pferd.

Shoat genoss das Glücksgefühl des Überlebenden. Zugegeben, es war zuweilen ziemlich hart zugegangen, und eigentlich hatte er schon wesentlich weiter sein wollen. Aber insgesamt hatte es die Vorsehung gut mit ihm gemeint. Die Expedition hatte sich selbst aufgelöst, aber erst, nachdem sie ihn weit und tief genug begleitet hatte. Die Söldner waren durchgedreht, aber erst, nachdem er ohnehin kaum noch Verwendung für sie gehabt hatte. Und jetzt hatte Ike das Verderben direkt ins Wohnzimmer des Feindes befördert.