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Es bestand keine unmittelbare Notwendigkeit, der Sache näher nachzugehen. Wäre er allein gewesen, hätte Branch sich trotzdem nicht davon abhalten lassen, genauer nachzusehen. Er brannte förmlich darauf, näher heranzugehen und dem Wasser sein Geheimnis zu entreißen. Aber es stand ihm nicht frei, seinen Impulsen nachzugehen. Er hatte Männer dabei, die seinem Kommando unterstanden. Hinter ihm saß ein frisch gebackener Vater. So wie er es gelernt hatte, verwarf Branch seine Neugier und gehorchte seiner Pflicht.

Plötzlich streckte sich das Grab nach ihm aus. Ein Mensch richtete sich aus dem Wasser auf.

»Jesus!«, zischte Ramada.

Branchs erschrockener Reflex ließ den Apache scheuen. Ohne den Blick von dem unheimlichen Bild zu lösen, tarierte Branch den Helikopter wieder aus.

»Echo Tango Eins?« Der Corporal war erschüttert.

Der Mann war schon seit vielen Monaten tot. Bis zur Hüfte schob sich das, was von ihm übrig war, langsam aus dem Wasser. Der Kopf war nach hinten gekippt, die Handgelenke mit Draht gefesselt. Einen Moment sah es so aus, als starrte er zum Hubschrauber herauf, Branch direkt in die Augen. Selbst aus der Entfernung konnte Branch so einiges über den Mann sagen. Er war wie ein Lehrer oder ein Beamter gekleidet, zweifellos kein Soldat. Den Verpackungsdraht um seine Handgelenke hatten sie schon bei anderen Gefangenen aus dem serbischen Sammellager bei Kalejisa gesehen. Das Austrittsloch der Kugel gähnte deutlich sichtbar auf der linken Seite seines Hinterkopfes.

Der menschliche Kadaver tanzte ungefähr zwanzig Sekunden wie eine Schaufensterpuppe auf der Stelle. Dann kippte die makabre Marionette zur Seite, fiel schwer auf den Rand der Grube und blieb halb im Wasser liegen. Es sah beinahe so aus, als hätte jemand eine Requisite achtlos zur Seite geworfen, nachdem ihr Schockeffekt verpufft war.

»Elias?«, fragte Ramada flüsternd.

Branch reagierte nicht. Du hast es herausgefordert. Da hast du den Salat.

Er rief sich Regel Sechs in Erinnerung. Ich werde nicht zulassen, dass sich in meiner Gegenwart irgendwelche Abscheulichkeiten abspielen. Die Abscheulichkeit war bereits geschehen: die Ermordung und Verscharrung wehrloser Zivilisten. Alles bereits Vergangenheit. Das hier jedoch, diese Entweihung, ereignete sich in der Gegenwart. Seiner Gegenwart.

»Ram?«, fragte er. Ramada wusste, worauf er hinaus wollte.

»Klare Sache«, lautete seine Antwort.

Doch Branch ging nicht sofort runter. Er war ein umsichtiger Mensch. Zuerst galt es noch ein paar Einzelheiten zu klären.

»Basis? Ich brauche ein paar Informationen«, gab er über Funk durch. »Meine Turbine atmet Luft. Verträgt sie auch diese Stickstoff-Atmosphäre?«

»Tut mir Leid, Echo Tango«, sagte Jefferson. »Davon weiß ich nichts.«

Chambers schaltete sich aufgeregt dazwischen. »Womöglich kann ich Ihre Frage beantworten, Major. Augenblick, ich erkundige mich rasch bei unseren Leuten.«

Bei deinen Leuten? Die Dinge gerieten allmählich außer Kontrolle. Chambers hatte bei dieser Entscheidung absolut nichts mitzureden. Kurz darauf meldete sie sich wieder. »Sie können es auch gleich aus erster Hand hören, Elias. Hier ist Cox, unser Chemiker von der Uni Stanford.«

Eine neue Stimme war zu hören. »Habe Ihre Frage vernommen«, sagte der Bursche aus Stanford. »Sie wollen wissen, ob ein Luftatmer Ihr gepanschtes Konzentrat verträgt.«

»So was in der Richtung«, erwiderte Branch.

»Äh ... Hmm«, sagte Stanford. »Ich sehe gerade auf die chemische Analyse, die vor fünf Minuten vom LandSat heruntergeladen wurde. Aktueller kriegen wir’s nicht. Die Wolke weist 89 % Stickstoff auf. Ihr Sauerstoff ist runter auf 13 %, nirgendwo annähernd normal. Sieht aus, als hätte es den Wasserstoffanteil am meisten erwischt. Kaum was da. Dann also zu Ihrer Frage, Major.«

Er machte eine Pause, und Branch sagte: »Wir sind ganz Ohr.«

»Ja«, meldete sich Stanfords Stimme wieder.

»Ja was?«, wollte Branch wissen.

»Ja, Sie können rein. Ich rate Ihnen, das Gebräu nicht unbedingt einzuatmen, aber Ihre Turbinen schlucken das Zeug. Nema problema.«

Das universelle Achselzucken hatte auch schon das Serbokroatische erobert. »Verraten Sie mir nur noch eines«, hakte Branch nach. »Wenn es kein Problem gibt, warum soll ich dieses Zeug dann nicht einatmen?«

»Darum«, sagte der Chemiker. »Es wäre wahrscheinlich nicht besonders, äh, umsichtig.«

»Meine Parkuhr läuft ab, Mr. Cox«, sagte Branch. Umsichtig! Meine Fresse!

Er hörte den Tausendsassa aus Stanford schlucken. »Äh, verstehen Sie mich bitte nicht falsch«, sagte der Mann. »Stickstoff ist ein hervorragendes Stöffchen. Der Großteil von dem, was wir einatmen, besteht aus Stickstoff. Ohne Stickstoff gäbe es überhaupt kein Leben. In Kalifornien drüben bezahlen die Leute einen Haufen Geld dafür, um die Stickstoffproduktion auszuweiten. Schon mal was von Blaualgen gehört? Der Trick dabei ist, Stickstoff organisch zu produzieren. Mit seiner Hilfe funktioniert das Gedächtnis angeblich bis in alle Ewigkeit.«

»Ist das Zeug ungefährlich?«, unterbrach ihn Branch.

»Ich würde an Ihrer Stelle nicht landen, Sir. Gehen Sie auf keinen Fall runter. Es sei denn, Sie sind inzwischen gegen Cholera, sämtliche Arten von Gelbsucht und eventuell Beulenpest immun. Mit all der Sepsis im Wasser dürfte die biologische Verseuchung dort unten jede Skala sprengen. Der ganze Hubschrauber müsste unter Quarantäne gestellt werden.«

»Klartext«, versuchte es Branch abermals, diesmal mit gepresster Stimme. »Kann meine Maschine da drin fliegen oder nicht?«

»Klartext: ja«, fasste der Chemiker zusammen.

Der faulige Wassertümpel kräuselte sich direkt unter ihnen. Bleiche Kronen tanzten auf seiner Oberfläche. Blasen blubberten wie auf der geologischen Ursuppe. Wie tausend Lungen, die noch einmal ausatmeten. Und ihre Geschichte erzählen wollten.

Branch traf seine Entscheidung. »Sergeant Jefferson«, gab er über Funk durch. »Haben Sie Ihre Handfeuerwaffe parat?«

»Jawohl, Sir, selbstverständlich, Sir«, kam die Antwort. Es war vorgeschrieben, auch im Lager jederzeit eine Schusswaffe bei sich zu führen.

»Laden Sie sie durch, Sergeant.«

»Sir?« Die Vorschrift besagte ebenfalls, dass die Waffe niemals geladen sein durfte, es sei denn bei einem direkten Angriff.

Elias wollte den Witz nicht noch mehr in die Länge ziehen. »Der Mann, der da eben über Funk zu hören war«, sagte er. »Sollte sich herausstellen, dass er sich geirrt hat ... Erschießen Sie ihn.«

»Ins Bein oder Kopfschuss, Sir?«

Solche Scherze waren ganz nach McDaniels Geschmack.

Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Branch die anderen Helikopter rings um die Gaswolke positioniert, seine Bewaffnung abermals überprüft und die Sauerstoffmaske festgezurrt hatte.

»Na schön«, sagte er dann. »Schauen wir uns die Sache mal an.«

04.25 Uhr

Er tauchte von oben in die Wolke ein. Seinen getreuen Navigator hinter sich wissend, wollte er ganz langsam heruntergehen. Nur nichts überstürzen. Immer schön eine Gefahr nach der anderen. Mit den drei Schlachtschiffen im Rücken hatte Branch das Gefühl, dieses verdammte Gelände von oben bis unten im Griff zu haben.

Aber der Chemiespezialist aus Stanford hatte sich getäuscht. Apaches kamen mit dieser stickstoffhaltigen Brühe keineswegs zurecht. Er war kaum zehn Sekunden drinnen, als der säurehaltige Dunst anfing, wie wild Funken zu sprühen. Die Funken löschten die bereits in der Turbine brennende Pilotflamme aus und lösten durch weitere Entladungen eine zweite kleine Explosion unter den Rotoren aus. Die Abgastemperaturanzeige schnellte in den roten Bereich, die Pilotflamme verwandelte sich in eine Feuersbrunst von knapp einem Meter Durchmesser.