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Es war Branchs Aufgabe, auf alle Notfälle vorbereitet zu sein. Ein Teil der Pilotenausbildung bestand darin, den schlimmstmöglichen Fall zu entwerfen, ein anderer Teil, sich auf den eigenen Absturz vorzubereiten. Ein mechanisches Versagen dieses Kalibers war ihm zwar noch nie untergekommen, doch auch für diesen Notfall verfügte er über die notwendigen Reflexe. Als die Rotoren durchdrehten, korrigierte er die Unregelmäßigkeiten. Als die Maschine nach und nach ihren Geist aufgab und sämtliche Instrumente ausfielen, geriet er nicht in Panik. Dann fiel mit einem Schlag alles aus.

»Ich schmiere ab«, gab Branch seelenruhig durch. Ein Sauerstoffschwall hüllte die Stromführungen über ihren Köpfen in bläulich leuchtendes Elmsfeuer ein. »Autorotation«, gab er durch, als die Maschine - logischerweise

- überhaupt nicht mehr reagierte. Autorotation war ein Zustand mechanischer Lähmung. »Wir stürzen ab«, kommentierte er. Ohne Gefühlsregung. Ohne Schuldzuweisung. Völlig konzentriert auf das Hier und Jetzt.

»Haben Sie einen Treffer erhalten, Major?« Der gute alte Mac.

»Negativ«, beruhigte ihn Branch. »Keine Feindberührung. Unsere Turbine ist hochgegangen.«

Mit Autorotation konnte Branch umgehen. Es war einer seiner ältesten Instinkte, den Steuerknüppel herunterzudrücken und in dieses steile, sichere Gleiten überzugehen, das einen kontrollierten Flug imitierte. Selbst wenn der Motor aus war, drehten sich die Rotorblätter auf Grund der Zentrifugalkraft weiter und ermöglichten so eine einigermaßen kontrollierte Bruchlandung. Jedenfalls theoretisch. Wenn man mit einer Geschwindigkeit von knapp 600 Metern in der Minute fiel, schnurrte die ganze Theorie auf 30 Sekunden Entscheidungsspielraum zusammen.

Branch hatte solche Situationen schon tausendfach geübt, aber noch nie mitten in der Nacht und erst recht nicht mitten in einem von Giftschwaden geschwängerten Wald. Mit dem Antrieb waren auch die Scheinwerfer ausgefallen. Die Dunkelheit sprang ihn so jäh von allen Seiten an, dass er erschrak. Seine Augen hatten nicht genug Zeit, sich an die neuen Sichtverhältnisse anzupassen, und es blieb auch keine Zeit, den NachtsichtSucher herunterzuklappen. Scheiß auf die Instrumente! Wenn sie schon abstürzten, verließ er sich lieber auf die eigenen Augen. Zum ersten Mal empfand er so etwas wie Angst.

»Ich bin blind«, gab Branch mit monotoner Stimme durch.

Er schob die Vorstellung beiseite, im nächsten Moment von Bäumen oder Ästen aufgespießt zu werden und ergab sich voll und ganz seinem Fliegerinstinkt. Nicht zu steil runter, sonst geraten die Rotoren ins Trudeln. In seiner Vorstellung raste der tote Wald wie offene Springmesser in einer dunklen Gasse auf sie zu. Er wusste genau, dass diese Bäume sie alles andere als abfedern würden. Er wollte sich bei Ramada entschuldigen, dem Vater, der jung genug war, um sein Sohn zu sein. Wo habe ich uns nur hineingeritten?

Erst jetzt gab er zu, dass er die Kontrolle verloren hatte. »Mayday«, schickte er über Funk hinaus.

Mit einem metallischen Kreischen tauchten sie in die Baumwipfel ein. Äste durchbohrten die Aluminiumhülle, zerschmetterten die Kufen und streckten sich aus, um der Maschine ihre Menschenseelen zu entreißen. Ein paar Sekunden noch glich ihr Niedergang eher einem Gleiten als einem Sturz. Die Rotoren enthaupteten Baumwipfel, dann schnitten die Bäume die Rotoren ab. Der Wald nahm sie gefangen. Der Apache brach in Stücke.

Der Lärm verhallte. Mit der Nase nach unten um einen Baumstamm gewickelt, schaukelte die Maschine im strömenden Regen wie in einer Wiege. Branch nahm die Fäuste von den Instrumenten. Er ließ los. Es war vollbracht. Ohne jede Vorwarnung wurde er ohnmächtig.

Würgend erwachte er wieder. Seine Maske war voller Erbrochenem. Von Dunkelheit und Rauch umgeben, zerrte er an den Riemen, befreite sich von der Gesichtsschale und japste nach Luft. Sofort schmeckte und roch er das in seine Lungen und in sein Blut eindringende Gift. Es brannte im Hals. Er fühlte sich krank, wie von einer altertümlichen Krankheit befallen, bis in die Knochen verseucht. Maske, dachte er alarmiert.

Ein Arm ließ sich nicht bewegen. Er baumelte schlaff vor ihm hin und her. Mit der gesunden Hand tastete er nach der eben vom Gesicht gerissenen Maske, kippte die Sauerei aus und drückte das Gummi fest ans Gesicht. Der Sauerstoff brannte kalt in den Stickstoffwunden in seiner Kehle.

»Ram?«, krächzte er.

Keine Antwort.

»Ram?«

Er konnte die Leere hinter sich körperlich spüren. Angeschnallt, mit dem Kopf nach unten, mit gebrochenen Knochen und gestutzten Flügeln tat Elias das Einzige, wozu er noch in der Lage war, das, weshalb er hergekommen war. Er hatte diesen dunklen Wald betreten, um zum Zeugen begangener Missetaten zu werden. Also zwang er sich dazu, sich umzusehen. Er verweigerte sich dem Delirium und schaute um sich. Er blickte in die Dunkelheit. Und wartete.

Die Dunkelheit lichtete sich. Es war nicht die aufziehende Morgendämmerung, sondern seine Augen gewöhnten sich nach und nach an die Dunkelheit. Umrisse nahmen Gestalt an. Ein Horizont von Grautönen.

Jetzt bemerkte er auf der anderen Seite der Plexiglasscheibe ein eigenartiges Blitzen. Zuerst hielt er es für schmale Gasschwaden, die vom Gewitter entzündet wurden. Die Lichtblitze zeichneten die Silhouetten mehrerer Objekte auf dem Waldboden nach, ohne sie direkt anzuleuchten. Branch bemühte sich, aus den Eindrücken ringsum etwas herauszulesen, begriff jedoch nur, dass er aus dem Himmel herabgefallen war.

»Mac«, rief er ins Mikro. Er verfolgte das Verbindungskabel bis zum Helm. Abgerissen. Er war allein. Seine Anzeigen gaben immer noch kleine Lebenszeichen von sich. Hier und da glommen ein paar grüne und rote, von irgendwelchen Batterien gespeiste Lämpchen, die jedoch allenfalls bestätigten, dass der Hubschrauber so gut wie tot war.

Branch sah, dass der Absturz ihn in ein Wirrwarr umgestürzter Bäume unweit von Zulu Vier geschleudert hatte. Er spähte durch das von feinen Spinnweben überzogene Plexiglas und sah in einiger Entfernung ein graziles Kruzifix. Er fragte sich, ja er hoffte geradezu, dass ein serbischer Soldat diese ziemlich große, zerbrechlich wirkende Ikone vielleicht als Sühnezeichen für dieses Massengrab aufgestellt habe. Doch dann erkannte er, dass es sich um eines seiner abgerissenen Rotorblätter handelte, das sich im rechten Winkel in einem Baum verfangen hatte. Wrackstücke rauchten auf dem mit nassen Baumnadeln und Blättern bedeckten Boden. Die Nässe war wahrscheinlich Regen. Ziemlich spät dämmerte ihm, dass es sich ebenso gut um seinen auslaufenden Sprit handeln konnte.

Am meisten Sorgen bereitete ihm die Trägheit seiner Reaktionen. Es schien, als begriffe er nur durch einen Nebel hindurch, dass sich der Treibstoff entzünden könne und es höchste Zeit sei, sich und seinen Kopiloten - ob nun tot oder lebendig - aus der Kanzel zu ziehen. Er wollte schlafen. Nein.

Elias hyperventilierte mit dem Sauerstoff aus der Maske und versuchte, sich auf den zu erwartenden Schmerz einzustellen. Er richtete sich auf, drückte sich mit der Schulter an die seitliche Kabinenwand, und spürte, wie Knochen auf Knochen knirschte. Das ausgerenkte Knie schnappte ein, dann wieder aus. Er brüllte vor Schmerz.

Die Kabinentür ließ sich mühelos aufklappen. Er saugte den Sauerstoff tief in die Lungen, als könnte er ihn den bevorstehenden Schmerz vergessen lassen. Im Hinterkopf sagte er die Namen gebrochener Knochen auf. Seine Wunden waren so eloquent. Jede einzelne wollte sich genau und detailliert vorstellen, und alle gleichzeitig. Der Schmerz war ungeheuerlich.

Er starrte mit wildem Blick in den entschwundenen Himmel.

Keine Sterne waren dort oben. Kein Himmel. Nur Wolken und wieder Wolken. Eine endlose Wolkendecke. Jetzt bekam er Platzangst. Mach, dass du rauskommst! Nach einem letzten tiefen Zug ließ er die Maske los und trennte sich von seinem nutzlosen Helm.