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»Alles wird gut«, murmelte ihm Branch zu und drückte ihm die Maske wieder aufs Gesicht.

Ramada blies die Wangen auf und saugte sie wieder ein. Er klammerte sich an Branch, ließ nicht locker. Er drückte die Maske auf Ramadas Gesicht, als handelte es sich um Morphium. Nach und nach hörte Ramada auf zu kämpfen. Branch war sicher, dass er eingeschlafen war. Der Regen trommelte gegen den Apache. Ramada erschlaffte.

Branch hörte Schritte. Das Geräusch verlor sich in der Ferne. Er zog die Maske weg. Ramada war tot. Entsetzt fühlte Branch nach dem Puls. Er schüttelte den von allen Qualen erlösten Körper.

»Was habe ich getan?«, fragte Branch laut und wiegte den Navigator in den Armen.

Der Helm sprach mit vielen Zungen: ». in Deckung ... überall ...«

»Kontakt ... Klar zum Feuern .«

»Tut uns Leid, Major ... jetzt Deckung ... ausdrücklicher Befehl .«

Die Schritte kehrten zurück, viel zu schwer für menschliche Wesen, viel zu schnell. Branch sah gerade rechtzeitig hoch. Der salpetrige Schleier klaffte auf. Er hatte sich getäuscht. Was da aus dem Nebel sprang, waren keine Tiere, jedenfalls keine, die die Erde bewohnten. Trotzdem erkannte er sie wieder.

»Mein Gott«, stieß er mit weit aufgerissenen Augen hervor.

»Feuer«, sagte Mac.

Branch hatte schon so manche Gemetzel miterlebt, aber nichts glich dem, was er jetzt erlebte. Das war keine Schlacht. Es war das Ende der Zeiten. Der Regen verwandelte sich in Metall. Die elektronischen Mini-Granatwerfer beharkten den Boden, pflügten die Deckschicht unter, zerstäubten Blätter, Pilze und Wurzeln. Bäume stürzten reihenweise um. Seine Feinde verwandelten sich in etwas, das aussah wie Fleischklumpen am Straßenrand.

Die Apaches hingen unsichtbar in einem Kilometer Entfernung in der Luft, und so sah Branch in den ersten paar Sekunden, wie das Innere der Erde in vollkommener Stille nach außen gekehrt wurde. Der Waldboden brodelte von einschlagenden Geschossen.

Kurz nachdem die Raketen einschlugen, kam der Artilleriedonner an. Die Dunkelheit verschwand mit einem Schlag. Kein Mensch war geschaffen, ein solches Feuerwerk zu überleben. Es dauerte eine Ewigkeit.

Als sie Branch fanden, saß er immer noch an das Wrack seines Hubschraubers gelehnt auf dem Boden und hielt den toten Navigator im Schoß. Das Wrack war schwarz versengt und so heiß, dass man es kaum anfassen konnte. Wie ein negativer Schatten zeichnete sich Branchs Silhouette auf dem Aluminium ab. Das Metall war unversehrt geblieben, geschützt von seinem Körper und seinem Geist. Danach war Branch nie wieder der Alte.

Deshalb ist es notwendig,

daß wir jenen Gesellen ausfindig machen

und erkennen und uns vor ihm in Acht nehmen,

auf daß er uns nicht betöre.

RUDOLPH WALTER, Der Antichrist (1576)

4

Perinde ac Cadaver

JAVA 1998

Es war wirklich ein Liebesmahl. Frisch gepflückte Himbeeren von den gipfelnahen Hängen des Gunung Merapi, eines üppig bewachsenen Vulkans, der direkt unter der Sichel des Mondes in den Himmel ragte. Kaum zu glauben, dass der alte, blinde Mann todkrank war, so ungebremst war seine Begeisterung für die Himbeeren. Kein Zucker, auch keine Sahne. De l’Ormes Freude an den reifen Früchten war wirklich sehenswert, und so füllte Santos die Schüssel des alten Mannes Beere für Beere aus seiner eigenen Schüssel nach.

De l’Orme hielt inne und wandte den Kopf zur Seite.

»Das müsste er sein«, sagte er.

Santos hörte nichts, wischte sich aber die Finger an einer Serviette ab.

»Entschuldige mich«, sagte er und erhob sich rasch, um die Tür zu öffnen. Er spähte in die Nacht hinaus. Der Strom war abgeschaltet, und er hatte eine große Kohlenschale aufstellen lassen, um den Pfad zu erhellen. Da er niemanden sah, dachte er schon, de l’Ormes scharfe Ohren hätten ihn dieses Mal betrogen. Doch dann erblickte er den Reisenden.

Der Mann kniete vor ihm in der Dunkelheit und wischte sich mit einer Hand voll Blätter den Straßenstaub von den schwarzen Schuhen. Seine Hände waren breit wie die eines Maurers, sein Haar war weiß.

»Kommen Sie doch herein«, sagte Santos. »Kann ich Ihnen behilflich sein?« Doch er machte keine Anstalten dazu.

Dem alten Jesuiten fielen solche Dinge auf, die Kluft zwischen einem Wort und einer Tat. »Schon gut«, sagte er und hörte mit der Wischerei auf. »Ich muss heute Nacht noch ein ganzes Stück weiterlaufen.«

»Lassen Sie die Schuhe draußen«, wies ihn Santos an, versuchte dann jedoch, seinen Zorn in Großzügigkeit umzuwandeln. »Ich wecke den Jungen, der soll sie putzen.«

Der Jesuit erwiderte nichts. Er blickte Santos nur an, wobei sich der junge Mann nicht sehr wohl in seiner Haut fühlte. »Er ist ein guter Junge.«

»Wie Sie wünschen«, sagte nun der Jesuit, zog kurz an seinem Schnürsenkel, und der Knoten löste sich mit einem leisen Floppen. Dann band er den anderen Schuh auf und erhob sich.

Santos wich einen Schritt zurück. Er hatte weder diese Körpergröße noch dermaßen grobe, kräftige Knochen erwartet.

»Thomas.« De l’Orme stand im Halbschatten einer Walfängerlampe, die Augen hinter einer kleinen Brille verborgen. »Du kommst spät. Ich dachte schon, die Leoparden hätten dich erwischt. Und jetzt, sieh nur, haben wir das Abendessen ohne dich beendet.«

Thomas trat auf das spärliche, aus Obst und Gemüse bestehende Bankett zu und erblickte die kleinen Knochen einer Taube, der örtlichen Delikatesse. »Mein Taxi hat schlappgemacht«, erklärte er. »Der Fußmarsch dauerte länger, als ich dachte.«

»Du musst erschöpft sein. Ich hätte Santos in die Stadt geschickt, um dich abzuholen, aber du sagtest, du kennst dich auf Java aus.«

Das Licht der Kerzen auf dem Fensterbrett tauchte seinen kahlen Schädel in einen milchigen Heiligenschein. Thomas vernahm ein leises, klapperndes Geräusch vom Fenster, als werfe jemand Münzen gegen die Scheibe. Aus der Nähe sah er, dass es sich um Riesenmotten und stabförmige Insekten handelte, die wie von Sinnen an das Licht heranzukommen versuchten.

»Lange her«, sagte Thomas.

»Sehr lange«, lächelte de l’Orme. »Wie viele Jahre? Aber jetzt sind wir wieder vereint.«

Thomas blickte sich um. Das Zimmer war groß für das Gästezimmer eines ländlichen pastoran, dem niederländisch-katholischen Gegenstück eines Pfarrhauses, auch wenn es sich um einen so erlesenen Gast wie de l’Orme handelte. Wahrscheinlich war sogar eine Wand entfernt worden, um de l’Orme mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen. Mit Überraschung registrierte er die vielen Landkarten, Werkzeuge und Bücher. Mit Ausnahme eines blank polierten, von Papier überquellenden Sekretärs im Kolonialstil sah das Zimmer überhaupt nicht nach de l’Orme aus.

Es gab die übliche Ansammlung von Tempelfigürchen, Fossilien und Kunstgegenständen, mit der jeder Ethnologe auf Feldforschung seine Behausung dekorierte. Doch diesem Durcheinander aus Fundstücken und alltäglichem Krimskrams lag ein Ordnungsprinzip zu Grunde, das ebenso viel Auskunft über das Genie de l’Orme gab, wie über die Themen, mit denen er sich vorrangig beschäftigte. De l’Orme war nicht gerade bescheiden, aber er gehörte auch nicht zu den Leuten, die ein ganzes Regal mit eigenen veröffentlichten Gedichten und ihren zweibändigen Memoiren sowie ein weiteres mit mehreren Metern Monografien über Verwandtschaft, Paläotechnologie, Stammesmedizin, Botanik, Religionswissenschaft und dergleichen voll stopften. Ebenso wenig wäre er auf die Idee gekommen, sein berüchtigtes Buch Eine Angelegenheit des Herzens, eine marxistische Verteidigung Teilhard de Chardins im obersten Regal wie in einem Schrein aufzustellen. Auf das ausdrückliche Verlangen des Papstes hatte de Chardin damals widerrufen, was ihn seine Reputation unter den zeitgenössischen Wissenschaftlern gekostet hatte. De l’Orme hatte nicht widerrufen, was den Papst gezwungen hatte, seinen verlorenen Sohn in die Dunkelheit zu verstoßen.