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Thomas kam zu dem Schluss, dass es für diese stolze Zurschaustellung der Werke in diesem Raum nur eine Erklärung geben konnte: der Geliebte. Wahrscheinlich wusste de l’Orme nicht einmal, dass seine Bücher förmlich auf dem Präsentierteller standen.

»War mir klar, dass ich dich, einen alten Ketzer, ausgerechnet zwischen Priestern antreffen muss«, rügte Thomas seinen alten Freund und machte eine Handbewegung in Richtung Santos.

»Und dann auch noch im Zustand der Sünde. Oder, sag an, ist er etwa einer von uns?«

»Siehst du?«, wandte sich de l’Orme lachend an Santos.

»Ungehobelt wie eine Dachlatte, hab ich’s dir nicht gesagt? Aber lass dich nicht davon täuschen!«

Santos war keineswegs beschwichtigt. »Einer wovon, wenn Sie sich bitte näher erklären würden? Einer Ihrer Sorte? Mit Sicherheit nicht. Ich bin Wissenschaftler.«

Aha, dachte Thomas, also ist dieser stolze Bursche mehr als ein Blindenhund. De l’Orme hatte sich endlich dazu durchgerungen, einen seiner Favoriten anzulernen. Er musterte den jungen Mann auf der Suche nach einem zweiten Eindruck, doch der fiel nur wenig besser als der Erste aus. Santos trug langes Haar, ein Ziegenbärtchen und ein sauberes weißes Hemd. Nicht einmal unter seinen Fingernägeln war Dreck.

De l’Orme kicherte weiter in sich hinein.

»Aber Thomas ist doch ebenfalls Wissenschaftler«, zog er seinen jungen Gefährten auf.

»Was du nicht sagst«, konterte Santos.

De l’Ormes Grinsen verflüchtigte sich. »Allerdings«, sagte er bestimmt. »Und zwar ein hervorragender Wissenschaftler. Mit allen Wassern gewaschen. Bewährt. Der Vatikan kann sich glücklich schätzen, ihn zu haben. Seine wissenschaftliche Reputation verschafft denen in Rom die einzige Glaubwürdigkeit, die ihnen in der modernen Zeit noch geblieben ist.«

Thomas fühlte sich von dieser Verteidigungsrede nicht geschmeichelt. De l’Orme nahm das Vorurteil, ein Geistlicher könne kein Denker in der wirklichen Welt sein, allzu persönlich, denn indem er der Kirche die Stirn geboten und die Kutte trotzdem anbehalten hatte, hatte er die Kirche in gewisser Weise bestätigt. Insofern sprach hier die eigene Tragödie aus seinem Mund.

Santos wandte den Kopf zur Seite. Im Profil wirkte sein Ziegenbärtchen wie ein Schnörkel an seinem sonst makellosen Michelangelo-Kinn. Wie alle Erwerbungen de l’Ormes war er körperlich so perfekt, dass man sich unwillkürlich fragte, ob der blinde Mann wirklich blind war. Vielleicht, rätselte Thomas, besaß ja auch die Schönheit eine ganz besondere geistige Dimension.

Aus der Ferne wehte diese unirdische, Gamelan genannte Musik herein. Angeblich brauchte man ein Leben lang, um die aus fünf Noten bestehenden Akkorde vollends genießen zu können. Gamelan hatte noch nie beruhigend auf ihn gewirkt. Das Geklimper machte ihn eher nervös. Java war nicht der beste Ort, um einfach irgendwo hineinzuplatzen.

»Vergib mir«, sagte er, »aber mein Zeitplan ist diesmal sehr gedrängt. Sie haben mich bereits für morgen Nachmittag auf die Fünf-Uhr-Maschine in Jakarta gebucht. Das heißt, ich muss bis Tagesanbruch wieder in Jogya sein, obwohl ich bereits jetzt schon viel Zeit mit meinem Zuspätkommen vergeudet habe.«

»Dann bleiben wir zwei eben die ganze Nacht auf«, knurrte de l’Orme. »Dabei möchte man meinen, sie ließen zwei alten Männern ein bisschen Zeit miteinander.«

»In dem Fall sollten wir uns eine von denen hier genehmigen.«

Thomas klappte seine Ledermappe auf. »Und zwar schnell.«

De l’Orme klatschte laut in die Hände. »Der Chardonnay? Mein zweiundsechziger?« Dabei wusste er genau, dass es nichts anderes sein konnte. So wie immer. »Den Korkenzieher, Santos. Warte nur, bis du den hier probiert hast. Und ein wenig gudeg für unseren Vagabunden. Eine Spezialität des Landes, Thomas, Hühnchen und Tofu in Kokosmilch gekocht ...«

Mit einem leidenden Blick machte sich Santos auf, um den Korkenzieher zu holen und das Essen aufzuwärmen. De l’Orme wiegte zwei der drei Flaschen, die Thomas vorsichtig aus der Tasche zog, in den Armen. »Atlanta?«

»Zentrale Seuchenkontrolle«, berichtigte Thomas. »Es gab Berichte von mehreren neuen Arten von Viren in der Region um Kap Horn ...«

Von Santos umhegt, verbrachten die beiden Männer die folgende Stunde am Tisch und hechelten ihre Abenteuer durch. Sie hatten sich tatsächlich schon siebzehn Jahre nicht mehr gesehen. Schließlich kamen sie auf die anstehende Arbeit zu sprechen.

»Eigentlich darfst du dort unten überhaupt keine Ausgrabungen machen«, sagte Thomas.

Santos saß zur Rechten von de l’Orme und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Genau darauf hatte er den ganzen Abend gewartet.

»Das hier kann man nicht unbedingt als Ausgrabung bezeichnen«, mischte er sich ein. »Terroristen haben eine Bombe hochgehen lassen. Wir sind lediglich zufällige Passanten, die sich eine offene Wunde ansehen.«

Thomas überhörte das Argument geflissentlich. »Borobudur ist für sämtliche archäologischen Tätigkeiten gesperrt. Insbesondere die unteren Bezirke direkt am Berg dürfen auf keinen Fall angerührt werden. Die UNESCO hat sich dafür ausgesprochen, dass keine der verborgenen Stützmauern ausgegraben oder sonst wie freigelegt werden soll. Die indonesische Regierung hat jegliche Art von Forschungsarbeiten unterhalb der Erdoberfläche kategorisch verboten. Dort darf weder ein Graben ausgehoben noch sonstwie herumgebuddelt werden.«

»Entschuldigung, aber ich muss mich wiederholen: Wir graben dort nicht. Da ist eine Bombe hochgegangen. Wir riskieren lediglich einen Blick in das dabei entstandene Loch.«

De l’Orme versuchte es mit einer Ablenkung. »Manche Leute glauben, es habe sich um eine von muslimischen Extremisten gezündete Bombe gehandelt, aber meiner Meinung haben wir es wieder mit dem alten Problem zu tun. Transmigrai. Die Bevölkerungspolitik der Regierung. Sie ist höchst unbeliebt. Sie zwingen Leute dazu, von überfüllten Inseln auf weniger besiedelte umzuziehen. Das ist übelste Tyrannei.«

Thomas ging nicht auf seine Abschweifungen ein. »Du hast dort unten nichts zu suchen«, wiederholte er. »Das ist unbefugtes Betreten, und du bist daran schuld, wenn dort auch in Zukunft keine Grabungen mehr stattfinden dürfen.«

Auch Santos ließ sich nicht ablenken: »Monsieur Thomas«, sagte er, »entspricht es denn nicht den Tatsachen, dass es die Kirche war, die die UNESCO und die Indonesier dazu überredet hat, sämtliche Grabungen in dieser Tiefe zu untersagen? Und dass Sie höchstpersönlich der Bevollmächtigte waren, der die Bemühungen der UNESCO um die Restaurierung zum Stillstand brachte?«

De l’Orme lächelte unschuldig, als wundere er sich selbst darüber, woher sein Schützling über derlei Dinge Bescheid wusste.

»Die Hälfte dessen, was Sie da sagen, ist wahr«, erwiderte Thomas.

»Dann kamen die Anweisungen also von Ihnen?«

»Ich habe sie nur weitergeleitet. Die Restaurierung war abgeschlossen.«

»Die Restaurierung schon, aber die Ermittlungen offensichtlich noch nicht. Die Gelehrten haben hier acht verschiedene große Kulturen gezählt, eine über der anderen. Und jetzt, innerhalb von zwei Wochen, haben wir darunter sogar Hinweise auf zwei weitere gefunden.«

»Wie auch immer«, meinte Thomas, »ich bin jedenfalls hier, um die Grabungen abzubrechen. Ab heute Nacht ist Schluss damit.«

Santos schlug mit der flachen Hand aufs Holz.

»Eine Schande! Sag doch etwas!«, appellierte er an de l’Orme.

Die Antwort war nicht mehr als ein Flüstern: »Perinde ac Cadaver.«

»Wie bitte?«

»Wie ein Leichnam«, sagte de l’Orme. »Das Perinde ist das erste Gebot des jesuitischen Gehorsams. Ich gehöre nicht mir, sondern Ihm, der mich geschaffen hat, Ihm und Seinen Stellvertretern. Ich muss gehorchen wie ein Kadaver, dem weder Wille noch Verstand eigen ist.«