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McEvoy gern mal ein Auge riskiert habe.« Mein Vater fing an zu lachen, hörte aber gleich wieder auf.

«Aha«, meinte meine Mutter auf eine Art, die Ärger für mich verhieß.

«Als ich erst einmal auf diese Spur aufmerksam geworden war, war die Lösung offensichtlich.

Mr. McEvoy hielt sich in einem fremden Hotelzimmer zum Zwecke eines — wie könnte man sagen? — eines Schäferstündchens auf. Allerdings trug sich der Unfall mitten am Vormittag zu. Hat man in der Weltgeschichte je von einer Dame gehört, die sich zu dieser Tageszeit auf ein heimliches Stelldichein eingelassen hätte? Es handelte sich folglich nicht um eine Dame. Also fragte ich mich, welche Personengruppe vormittags am wahrscheinlichsten in einem Hotelzimmer anzutreffen ist, und die Antwort war …« «Du liebe Güte, das Zimmermädchen!« Die Stimme meiner Mutter, und offenkundig war Holmes über die Unterbrechung nicht besonders erfreut.

«Ganz genau. Mr.

McEvoy hatte sich mit einem Zimmermädchen verabredet. Ich fragte ein wenig herum, um festzustellen, ob irgendwelche jungen und attraktiven Zimmermädchen das Hotel seit letzte Weihnachten verlassen hatten. Und es gab eine — eine gewisse Eva. Sie hatte den zweiten Portier geheiratet und als Mitgift so viel Geld in die Ehe gebracht, dass er den eleganten kleinen Schlitten kaufen konnte. Nun mag ein umsichtiges Zimmermädchen sich ja durch Trinkgelder durchaus eine bescheidene Mitgift ansparen, aber ein Blick auf diesen Schlitten wird Ihnen sagen, dass Evas Mitgift sich eher als, nun … unbescheiden bezeichnen lässt.« Wieder ertönte das Lachen meines Vaters, abgewürgt von einem scharfen Blick meiner Mutter, den ich mir gut vorstellen konnte.

«Dr. Watson und ich statteten Eva also einen Besuch ab.

Ich sagte ihr, zu welchen Schlüssen ich gekommen war, und die Arme bestätigte sie, indem sie noch einige Einzelheiten hinzufügte — die Stimme der Wirtschafterin vor der Tür, Mr. McEvoys bewährte, diesmal aber unkluge Taktik, auf dem Balkon Zuflucht zu suchen. Sie mögen nun einwenden, die junge Eva hätte gleich gestehen sollen, was sich zugetragen hatte …« «In der Tat.« «Aber bedenken Sie doch einmal ihre Lage. Dann hätte sie nicht nur ihre Stellung im Hotel verloren, auch ihre Verlobung mit dem schönen Franz wäre in die Brüche gegangen. Und schließlich war ja auch keine Rede davon, dass irgendjemand vor Gericht gestellt werden sollte. Die feine Gesellschaft war durchaus damit zufrieden, stillschweigend die Geschichte zu dulden, dass Mr. McEvoy aus Versehen aus seinem Fenster gefallen war — und innerlich eine Unschuldige des Mordes an ihm zu bezichtigen.« Meine Mutter sagte — und klang zur Abwechslung einmal ziemlich gedämpft:»Aber das muss Mrs. McEvoy doch gewusst haben. Warum hat sie nichts gesagt?« «Ah, um das zu beantworten, muss man etwas über Mrs. McEvoys Lebensgeschichte wissen, und Dr. Watson und ich sind zufällig in dieser Lage. Vor langer Zeit, vor ihrer ersten, glücklichen Ehe, wurde Mrs. McEvoy von einem Prinzen geliebt. Er war zugegebenermaßen kein besonders bewundernswerter Prinz, aber ein Prinz.

Können Sie sich vorstellen, wie sich eine Frau gefühlt haben muss, die aus so einer Welt kommt und dann von einem Mann, der sein Vermögen mit Badezimmereinrichtungen gemacht hat, mit einem Zimmermädchen betrogen wird? Können Sie sich vorstellen, dass eine stolze Frau vielleicht lieber für eine Mörderin gehalten wird, als sich dieser Demütigung zu unterwerfen?« Wieder Schweigen, dann hauchte meine Mutter:»Ja. Ja, das kann ich wohl. Die Ärmste.« «Nicht Mitleid war es, was Irene McEvoy brauchte.« Und in einem anderen Tonfalclass="underline" »So, jetzt wissen Sie Bescheid. Und es ist Ihre Entscheidung, wie viel — und ob überhaupt — Sie Jessica davon einmal sagen wollen.« Es hörte sich an, als würden sie sich von ihren Sesseln erheben, dann sagte mein Vater:»Und Ihre, äh, Vorführung heute Morgen?« «Ach, dieses kleine Schauspiel. Ich wusste, was sich zugetragen hatte, aber Mrs.

McEvoy zuliebe war es notwendig, der Welt zu beweisen, dass sie unschuldig war.

Eva konnte ich als Zeugin nicht aufrufen, denn ich hatte ihr mein Wort gegeben. Ich hatte mir die Neigung des Dachs und die Schneetiefe genau angesehen und war vom wissenschaftlichen Standpunkt aus überzeugt, dass ein Mensch, der von Mrs. McEvoys Balkon fiel, nicht auf der Terrasse gelandet wäre. Das Ergebnis kennen Sie.« Man wünschte einander ziemlich gedämpft gute Nacht, und die beiden wurden an die Tür gebracht. Durch die einen Spalt offen stehende Tür konnte ich einen Blick auf sie erhaschen. Als sie an der Tür vorbeikamen, ließ Silberstock, der sich normalerweise sehr beherrscht bewegte, seine Pfeife fallen und musste sich hinknien, um sie aufzuheben. Während er kniete, trafen sich seine hellen Augen durch den Spalt mit meinen, und er setzte ein merkwürdiges, flüchtiges Lächeln auf, das von den anderen unbemerkt blieb. Er hatte gewusst, dass ich die ganze Zeit zugehört hatte.

Als sie gegangen waren, blieben Mutter und Vater lange schweigend sitzen.

Schließlich sagte Vater:»Wenn er sich geirrt hätte, hätte er sich umgebracht.« «Wie beim Skilaufen.« «Er muss sie sehr geliebt haben.« «Seine eigene Logik, die liebt er.« Aber meine Mutter war schon immer die Unromantischere von beiden gewesen.

Totschlag

von JOYCE CAROL OATES

In John Gares Theaterstück Booms and Neglect diskutieren zwei hochneurotische Charaktere das Thema zu wenig beachtete Autoren. Als der eine den Namen Joyce Carol Oates vorbringt, will der andere (etwas umschrieben) wissen, wie sie denn zu wenig beachtet sein kann, wo sie doch pro Woche ein Buch schreibt? Seit Erscheinen ihres ersten Romans By the North Gate (1963) ist Joyce Carol Oates (*1938) unter den großen amerikanischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern die produktivste. Unablässig, in einem von Qualität und Umfang her bemerkenswerten Strom produziert sie Romane, Kurzgeschichten, Rezensionen, Essays und Theaterstücke. Außergewöhnlich produktive Autoren laufen oft Gefahr, nicht genügend ernst genommen zu werden — wenn man so schnell schreiben kann, wie gut kann das Geschriebene dann sein? Oates konnte diese Falle jedoch im Großen und Ganzen umgehen, und selbst ihre zunehmende Identifikation mit der Kriminalliteratur hat — zu einer Zeit, da sich immer mehr Belletristikautoren zu diesem Gebiet hingezogen fühlen — ihren Ruf als ernst zu nehmende Schriftstellerin nicht beeinträchtigt.

Zahlreiche Werke von Oates enthalten zumindest einige Krimi-Elemente, von Them (1970; dt. Jene), für das sie den National Book Award erhielt, über die fiktive Darstellung des Edward-Kennedy-Unglücks von Chappaquiddick mit dem Titel Black Water (1992; dt. Schwarzes Wasser) und den vom Fall Jeffrey Dahmer inspirierten Serienmörderroman Zombie (1995; dt. Zombie) bis hin zu Blonde (2000; dt. Blond), ihrer umstrittenen, dickleibigen Romanbiografie über Marilyn Monroe. Das Element der Verbrechensaufdeckung tritt mit den Ermittlungen von Amateurdetektiv Xavier Kilgarvan im Roman The Mysteries of Winterthurn (1984) deutlich hervor, dem, erklärt die Autorin in einem Nachwort zur 1985 erschienenen Taschenbuchausgabe,»dritten in einem Quintett experimenteller Romane, die sich in der spezifischen Form dieses Genres mit dem Amerika des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts befassen«. Wieso sollte eine Verfasserin ernsthafter Literatur wie Oates sich dazu entscheiden, in so» ausgesprochen einengenden Strukturen «zu arbeiten?

Weil» uns die vom ›Genre‹ auferlegte formale Disziplin unweigerlich zu einer radikalen Neubetrachtung der Welt und der Kunst des literarischen Schreibens zwingt«. Oates, die in einem verwandten Genre unter anderem mit dem Bram Stoker Award der Horror Writers of America ausgezeichnet wurde, etablierte sich als Kriminalautorin erst mit Lives of the Twins (1987; dt. Der Andere; der britische Titel lautet: Kindred Passions), das unter dem Pseudonym Rosamund Smith erschien. Ursprünglich als Geheimnis gedacht, wurde Smiths Identität beinahe umgehend aufgedeckt, und spätere Romane nannten dann als Verfasserin Joyce Carol Oates (in Großschrift), als Rosamund Smith schreibend (in kleinerer Schrift).