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Vielen Dank! Und er wusste, sie sahen ihm nach, als er ging, ganz aus dem Häuschen. Ihr einziger Kontakt mit dem Ruhm.

Sein alter Herr und vor allem seine Anwältin würden ihm die Hölle heiß machen, wenn sie das gewusst hätten, aber sie brauchten schließlich nicht alles zu wissen.

Schließlich war er gegen Kaution raus, verflucht noch mal, oder nicht?

Im Gefolge einer Liebesaffäre Anfang dreißig, der letzten solchen Affäre in ihrem Leben, hatte Marina Dyer eine anstrengende» Exkursion «auf die Galapagosinseln unternommen, eine jener Verzweiflungsreisen, die wir an entscheidenden Wendepunkten unseres Lebens so tun, weil wir uns einreden, die Erfahrung würde unsere emotionale Wunde ausbrennen, das daraus resultierende Elend als Banalität erscheinen lassen, die zu vernachlässigen war. Die Reise war tatsächlich anstrengend gewesen und hatte so manche Gefühlswunde verätzt. Auf den berüchtigten Galapagosinseln in der Weite des Pazifik, westlich von Ecuador, kaum zehn Meilen südlich des Äquators, war Marina zu einigen Schlüsseln gelangt, was ihr Leben anging: Zum Einen hatte sie beschlossen, sich nicht umzubringen. Wozu sich selbst umbringen, wo die Natur doch so scharf darauf war, einem das abzunehmen und einen zu verschlingen? Die Inseln waren der schiere Fels, unfruchtbar, sturmumtost.

Von Reptilien und Riesenschildkröten bewohnt.

Vegetation gab es kaum. Die kreischenden Meeresvögel wollten einen wie verdammte Seelen anmuten, wäre es nicht schlicht unmöglich, dort an Seelen zu glauben. In keiner Welt außer einer gefallenen sind solche Inseln möglich, hatte Herman Melville über die Galapagosinseln geschrieben und sie die Encantades, die verzauberten Inseln, genannt.

Als sie von ihrem einwöchigen Ausflug in die Hölle, wie sie die Inseln liebevoll nannte, zurückkehrte, konnte man beobachten, dass Marina Dyer sich leidenschaftlicher, zielstrebiger denn je in ihren Beruf stürzte. Der Anwaltsberuf würde ihr Leben sein, und sie hatte ganz und gar die Absicht, ihr Leben zu einem messbaren und unverkennbaren Erfolg zu machen. Alles, was die Anwaltspraxis nicht von ihrem» Leben «verschlang, hatte keine Bedeutung. Und natürlich war das Gesetz nur ein Spieclass="underline" Es hatte herzlich wenig zu tun mit Gerechtigkeit oder Moral,»recht «oder» unrecht «oder» gesundem« Menschenverstand. Aber das Gesetz war nun einmal das einzige Spiel, in dem Marina Dyer ernsthaft mitspielen konnte. Das einzige Spiel, in dem Marina Dyer auch mal ein Sieg vergönnt war.

Marina hatte ihren Schwager zu Besuch, der sie nie gemocht hatte, aber bis jetzt immer herzlich und respektvoll gewesen war. Er starrte sie an, als sehe er sie zum ersten Mal.»Wie zum Teufel kannst du diesen verderbten kleinen Saukerl verteidigen? Wie kannst du das moralisch verantworten? Er hat seine Mutter umgebracht, Herrgott noch mal!«Für Marina kam dieser unerwartete Angriff wie ein Schlag ins Gesicht. Andere, die mit im Raum waren, einschließlich ihrer Schwester, sahen zu, entsetzt. Marina sprach vorsichtig und versuchte dabei die Kontrolle über ihre Stimme nicht zu verlieren.»Aber Ben, du glaubst doch nicht etwa, dass nur die offensichtlich

›Unschuldigen‹ einen Anwalt verdienen, oder?«Es war eine Antwort, die sie schon oft gegeben hatte, auf eine solche Frage; die Antwort, wie sie einem jeder Anwalt gab, vernünftig und überzeugend.

«Natürlich nicht. Aber Leute wie die gehen einfach zu weit.« «Zu weit? Leute wie ich?« «Du weißt, was ich meine. Stell dich nicht dumm.« «Tu ich doch nicht. Ich weiß nicht, was du meinst.« Ihr Schwager war von Natur aus ein höflicher Mensch, wie fest seine Überzeugungen auch immer sein mochten.

Aber wie grob wandte er sich jetzt von ihr ab, und das mit wegwerfender Geste. Marina, entsetzt, rief ihm nach:

«Ben, ich weiß nicht, was du meinst. Derek ist unschuldig, da bin ich sicher. Der Fall gegen ihn besteht nur aus Indizien. Die Medien …«Ihre flehentliche Stimme verlor sich; er hatte das Zimmer verlassen. Nie im Leben war sie so tief verletzt gewesen, so verwirrt. Ihr eigener Schwager!

So was von intolerant. Dieser selbstgerechte Mistkerl!

Ihr Lebtag wollte Marina diesen Mann nicht mehr sehen.

Marina? Nicht weinen.

Die meinen das doch nicht so, Marina. Denk dir nichts dabei, bitte!

Wie oft hatte sie sich nach der Erniedrigung im Sportunterricht auf der Toilette des Umkleideraums versteckt! Noch nicht mal Lucy, als Mannschaftskapitän, wollte sie haben — so viel war klar. Marina Dyer und die anderen Mädchen, die letzte Wahl waren, die eine oder andere Dicke, kurzsichtige, tollpatschige, asthmatische Mädchen, die sich nicht zu bewegen wussten, man verteilte sie lachend auf das rote und das goldene Team.

Der Versuch, donnernden Hufen und brutalen Körpern auszuweichen. Schreie, gellendes Gelächter.

Schwingende, rudernde Arme, muskulöse Schenkel. Wie hart der glänzende Boden war, wenn man fiel! Die großen unter den Mädchen (eine davon Lucy Siddons mit ihrem wild funkelnden Blick) überrannten sie einfach, wenn sie nicht auswich; für sie existierte sie nicht. Und Marina von der Sportlehrerin absurderweise auch noch in der Verteidigung eingesetzt. Du musst spielen, Marina. Du musst es versuchen. Sei nicht albern. Ist doch nur ein Spiel. Ist doch alles nur Spiel. Los, raus da, zu deinem Team! Aber wenn der Ball direkt auf sie zukam, traf er sie gegen die Brust, prallte ihr aus den Händen direkt in die einer anderen. Wenn der Ball auf ihren Kopf zuflog, war sie unfähig, sich zu ducken, hilflos, wie gelähmt stand sie da. Die Brille flog. Ihr Schrei der eines Kindes.

Lächerlich. Alles so lächerlich. Aber es war ihr Leben.

Lucy, die warmherzige Lucy, der sie dann Leid tat, holte sie aus der Toilette, in der sie sich eingeschlossen hatte, unter wütendem Schluchzen, ein blutiges Papiertaschentuch gegen die Nase gedrückt. Marina?

Wein doch nicht. Die meinen das doch nicht so, sie mögen dich, mach wieder mit, was hast du denn? Die gute Lucy hatte sie am meisten gehasst.

Am Nachmittag des Freitags vor dem Montag, für den der Prozessbeginn angesetzt war, kam es zum Zusammenbruch von Derek Peck junior in Marina Dyers Büro.

Marina hatte schon gewusst, dass etwas nicht stimmte, so wie der Junge nach Alkohol stank. Er war mit seinem Vater gekommen, hatte ihm aber gesagt, er möchte doch draußen warten; außerdem bestand er darauf, dass Marinas Anwaltsgehilfin den Raum verließ.

Er begann zu weinen und stammelte los. Zu Marinas Erstaunen ging er auf ihrem burgunderfarbenen Teppich hart in die Knie und schlug dann die Stirn gegen die Kante der Glasplatte auf ihrem Tisch. Er lachte; er weinte. Sagte dann mit vor Qualen schier erstickender Stimme, wie Leid es ihm tat, den letzten Geburtstag seiner Mutter vergessen zu haben, schließlich hatte er nicht wissen können, dass es ihr letzter war, und wie weh er ihr damit getan hatte, als hätte er ihn aus Trotz vergessen, und das stimmte doch nicht, Herrgott, er hatte sie doch geliebt! Der einzige Mensch in diesem gottbeschissenen Universum, der sie geliebt hatte! Und dann, an Thanksgiving, diese schreckliche Szene — sie hatte sich mit der Verwandtschaft zerstritten, so dass er und sie allein waren, und trotzdem hatte sie es sich nicht nehmen lassen, für zwei Leute ein komplettes Festmahl zu arrangieren; er hatte ihr gesagt, das sei doch verrückt, aber sie hatte darauf bestanden, unmöglich sie von etwas abzuhalten, wenn sie es sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, und er hatte gewusst, es würde Ärger geben, sie hatte am Morgen schon in der Küche zu trinken begonnen, während er oben war, in seinem Zimmer, und zu Musik aus dem Walkman Dope rauchte, weil er wusste, er könnte nicht fliehen. Und sie machte noch nicht einmal einen Truthahn für sie beide, der hätte mindestens zehn Kilo haben müssen, da sonst das Fleisch zu trocken geriet, sagte sie, also hatte sie zwei Enten gekauft, ja, zwei tote Enten aus einer Wild- und Geflügelhandlung in der Lexington, Ecke 66., und das wäre ja noch gegangen, hätte sie nicht Rotwein getrunken, sie hatte so hysterisch gelacht und telefoniert und die aufwändige Füllung zubereitet, die sie jedes Jahr machte, wilder Reis, Pilze, Oliven, dazu Süßkartoffeln, Pflaumensoße und Schokoladen-Tapiokapudding, der angeblich eine seiner Lieblingsnachspeisen war, schon von klein auf, obwohl er allein schon seinen Geruch zum Kotzen fand. Er hielt sich aus allem raus, blieb oben, bis sie ihn schließlich gegen vier Uhr nachmittags rief, da war er hinuntergegangen und hatte genau gewusst, das Ganze würde ihn total runterziehen, obwohl es noch schlimmer kam, weil sie schwankte, so betrunken war sie, die Augen verschmiert, und dann aßen sie im Esszimmer unter dem Kronleuchter, mit all dem feinen Tischzeug aus irischem Leinen, Großmutters altem Porzellan und dem Tafelsilber dazu, und dann hatte sie darauf bestanden, dass er die Enten tranchierte! Er hatte sich zu drücken versucht, aber sie ließ ihn — Herrgott! Und was passiert? Er stößt der Ente das Messer in die Brust, und es kommt Blut heraus, spritzt heraus, echtes Blut! Und innen ist alles ein großer, klebriger Klumpen Blut, also läuft er würgend hinaus, so einen Schrecken hatte ihm das eingejagt, immerhin war er völlig stoned, da verträgt man so was nicht, und als er auf die Straße lief, hätte ihn beinahe ein Auto erwischt, während sie hinter ihm dreinschrie: Derek, komm zurück! Derek, komm zurück, lass mich nicht allein! Aber er hatte sich verdrückt und war anderthalb Tage nicht wiedergekommen.