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Newberg starrte in sein Whiskyglas.»›Das Geheimnis, um die größte Fruchtbarkeit und den größten Genuss vom Dasein einzuernten, heißt gefährlich leben‹«, murmelte er in fließendem Deutsch.»Friedrich Nietzsche.« «Funktioniert es?«, fragte ich.

Ich sah ihn lächeln, heimlich und nur zu sich selbst.

«Nur wenn man Blut vergießt.« «Wie bitte?« Doch seine Augen schwammen in Alkohol, und er antwortete nicht.

«Er ist müde«, sagte seine Frau.»Er hat einen langen Tag hinter sich.« Wir schwiegen, und ich beobachtete, wie Mrs. Newbergs ängstlich angespannte Gesichtszüge sich entkrampften und wieder ihren natürlicheren Ausdruck resignierter Schicksalsergebenheit annahmen. Gut fünf Minuten verstrichen, ehe sie eine Erklärung anbot.

«Er war gern im Krieg«, teilte sie mir gedämpft mit.

«Wie so viele Männer.« «Es ist der Kameradschaftsgeist«, bestätigte ich, mich erinnernd, mit welcher Wärme meine Mutter stets von den Kriegsjahren erzählt hatte.»Die Not holt das Beste aus den Menschen heraus.« «Oder das Schlimmste«, sagte sie, den Blick auf ihren Mann gerichtet, der sich aus der Whiskyflasche nachschenkte, die jeden Abend, sobald sie leer war, durch eine neue ersetzt wurde.»Ich vermute, es kommt darauf an, auf welcher Seite man steht.« «Sie meinen, es ist besser zu siegen?« «Es ist sicher eine Hilfe«, sagte sie zerstreut.

Am nächsten Tag erschien Mrs. Newberg mit einem blau geschlagenen Auge zum Frühstück. Sie behauptete, sie sei aus dem Bett gefallen und habe sich das Gesicht am Nachttisch angeschlagen. Es gab keinen Anlass, an ihren Worten zu zweifeln, nur fiel mir auf, dass ihr Mann sich immer wieder die Knöchel seiner rechten Hand massierte.

Sie wirkte elend und niedergeschlagen, und ich forderte sie zu einem Spaziergang auf.

«Ihr Mann kann sich gewiss auch mal ein Stündchen allein unterhalten«, sagte ich mit einem missbilligenden Blick auf ihn.

Wir gingen die Promenade hinunter und beobachteten die Möwen, die unter dem Himmel dahinsegelten wie windgetriebene Stofffetzen. Mrs.

Newberg setzte eine dunkle Brille auf und sah aus wie eine Blinde. Sie ging langsam und blieb in regelmäßigen Abständen stehen, um Atem zu schöpfen. Ich bot ihr deshalb meinen Arm. Sie stützte sich schwer auf ihn, zum ersten Mal empfand ich sie wirklich als alt.

«Sie sollten sich nicht von Ihrem Mann schlagen lassen«, sagte ich.

Sie lachte kurz, sagte aber nichts.

«Sie sollten ihn anzeigen.« «Bei wem?« «Bei der Polizei.« Sie entzog mir ihren Arm und lehnte sich an das Geländer über dem Strand.»Und dann? Ein Strafverfahren? Gefängnis?« Ich stellte mich neben sie.»Eher würde ein Gericht ihm wahrscheinlich auferlegen, sein Verhalten zu ändern.« «Einem alten Hund kann man keine neuen Kunststücke beibringen.« «Er würde die Dinge vielleicht mit anderen Augen sehen, wenn er nüchtern wäre.« «Er trinkt, um zu vergessen«, sagte sie, über das Meer hinweg zu den fernen Küsten Nordeuropas blickend.

Ich zeigte Mr. Newberg von da an die kalte Schulter. Ich habe für Männer, die ihre Frauen prügeln, nichts übrig. Es änderte kaum etwas an unserer Beziehung; höchstens festigte meine Anteilnahme an Mrs. Newbergs Schicksal noch das Band zwischen uns dreien. Ich begann, die beiden ab und zu abends zu ihrem Zimmer hinaufzubegleiten, wobei ich keinen Zweifel daran ließ, dass mir Mrs. Newbergs Wohlergehen am Herzen lag.

Mr.

Newberg schien meine Fürsorge belustigend zu finden.»Sie hat kein Gewissen, das ihr das Leben schwer machen könnte«, sagte er einmal. Und ein andermaclass="underline" »Ich habe mehr zu fürchten als sie.« In der zweiten Woche stürzte er auf dem Weg zum Frühstück auf der obersten Treppenstufe und war tot, als er unten ankam. Es gab keine Zeugen des Unfalls. Eine Kellnerin, die das Poltern auf der Treppe hörte, kam aus dem Speisesaal gerannt und fand den stattlichen alten Mann mit weit geöffneten Augen und einem Lächeln im Gesicht rücklings am Fuß der Treppe liegend. Niemand war sonderlich überrascht, wenn es auch, wie der Hoteldirektor bemerkte, verwunderte, dass es am Morgen geschehen war, zu einer Zeit, da der alte Mann gewöhnlich am nüchternsten gewesen war. Einige Stunden später traf ein Polizeibeamter ein, um Fragen zu stellen, aber nicht weil irgendein Verdacht auf ein Verbrechen bestand, sondern weil Mr. Newberg Ausländer war und Meldung gemacht werden musste.

Ich leistete Mrs. Newberg in ihrem Zimmer Beistand, während sie sachte ihre Tränen abtupfte und dem Beamten erklärte, sie habe am Toilettentisch gesessen und sich zurechtgemacht, als Mr. Newberg das Zimmer verlassen hatte, um nach unten zu gehen.

«Er ist immer zuerst hinuntergegangen«, sagte sie.»Er trank seinen Kaffee gern frisch.« Der Polizeibeamte nickte, als leuchte ihm diese Erklärung ein, und erkundigte sich dann taktvoll nach den Trinkgewohnheiten ihres Mannes. Eine Untersuchung habe einen hohen Alkoholgehalt im Blut Mr. Newbergs ausgewiesen, berichtete er. Sie lächelte schwach und sagte, sie könne nicht glauben, dass der bescheidene Whiskykonsum ihres Mannes etwas mit seinem Sturz zu tun haben könne. Sie wies darauf hin, dass es im Hotel keinen Aufzug gab und ihr Mann seit Jahren an einer alten Beinverletzung gelitten habe.»Amerikaner sind Treppensteigen nicht gewöhnt«, sagte sie, als wäre das Erklärung genug.

Der Polizeibeamte ließ sie in Ruhe und wandte sich mir zu. Er habe gehört, dass ich mit dem Ehepaar befreundet sei. Ob ich irgendetwas zur Erhellung der Umstände des Unfalls beitragen könne. Ich vermied es, Mrs. Newberg anzusehen, die den verblassten blauen Fleck an ihrem Auge geschickt mit Make-up kaschiert hatte.»Eigentlich nicht«, sagte ich und wunderte mich gleichzeitig, wieso mir nie die Narbe über ihrer Wange aufgefallen war, die aussah, als könnte sie von der spitzen Ecke eines Nachttischs stammen.»Er hat einmal zu mir gesagt, das Geheimnis eines erfüllten Lebens bestehe darin, gefährlich zu leben, vielleicht hat er also nicht so gut auf sich Acht gegeben, wie er das hätte tun sollen.« Er warf einen verlegenen Blick auf Mrs. Newberg.»Mit anderen Worten, er hat zu viel getrunken?« Mein kurzes Achselzucken nahm er als Zustimmung. Ich hätte darauf hinweisen können, dass Mr.

Newbergs Achtlosigkeit darin bestanden hatte, sich nicht umzusehen, aber ich konnte nicht einsehen, was das gebracht hätte.

Niemand zweifelte daran, dass seine Frau zur Zeit des Unfalls in ihrem gemeinsamen Zimmer gewesen war.

Sie neigte huldvoll den Kopf, als der Beamte sich verabschiedete.

«Sind englische Polizisten immer so nett?«, fragte sie, schon auf dem Weg zum Toilettentisch, um sich das schöne Gesicht zu pudern.

«Immer«, bestätigte ich,»solange sie keinen Grund zu einem Verdacht sehen.« Ein kurzer Blick aus dem Spiegel traf mich.»Was denn für ein Verdacht?«, fragte sie.

(Deutsch von Mechtild Sandberg-Ciletti)

QUELLENNACHWEIS

Elizabeth George, Einführung Copyright © 2001 by Elizabeth George.

=== Susan Glaspell, Geschworene von ihresgleichen Originaltiteclass="underline" A Jury of Her Peers.

Copyright © 1917 by Susan Glaspell, erstveröffentlicht 1917 in Every Week.

Mit freundlicher Genehmigung der Agentur Curtis Brown Ltd.

=== Dorothy L, Sayers, Der Mann, der wusste wie Originaltiteclass="underline" The Man Who Knew How.

Copyright © 1932 by Dorothy L. Sayers, erstveröffentlicht 1932 in Harper’s Bazaar.

Ins Deutsche übersetzt von Traudl Nothelfer. Aus:»Das Katzenauge, Kriminalstories. Herausgegeben von Ellery Queen, Copyright © 1961 by Wilhelm Heyne Verlag, München. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Wilhelm Heyne Verlags.

=== Ngaio Marsh, Ich finde schon allein hinaus Originaltiteclass="underline" I Can Find My Way Out Copyright © 1946 by Ngaio Marsh, erstveröffentlicht 1946 in Alfred Hitchcock’s Mystery Magazine.