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Um halb sieben wählte Coralie Bourne die Nummer von Canning Cumberland und wartete.

Sie hörte seine Stimme.»Ich bin’s«, sagte sie.

«Ach Gott! Liebling, an dich habe ich gerade gedacht.« Er redete hastig und zu laut.»Coral, ich habe über Ben nachgedacht. Du hättest dem Jungen die Szene nicht geben sollen.« «Das haben wir doch schon ein Dutzend Mal beredet, Cann. Wieso hätte ich sie Tony nicht geben sollen? Ben wird es nie erfahren. «Sie wartete ab und sagte dann nervös:»Ben ist fort, Cann. Wir werden ihn nie wieder sehen.« «Ich habe da so eine Ahnung. Immerhin ist er dein Ehemann.« «Nein, Cann, nein.« «Mal angenommen, er taucht auf. Das würde ihm doch ähnlich sehen.« «Er taucht bestimmt nicht auf.« Sie hörte ihn lachen.»Ich habe das alles so satt«, dachte sie plötzlich.»Jetzt reicht es mir. Ich halte es nicht mehr aus … Cann«, sagte sie in den Hörer. Doch er hatte aufgelegt.

Um zwanzig vor sieben betrachtete Barry George sich in seinem Badezimmerspiegel.»Ich sehe weitaus besser aus«, dachte er,»als Canning Cumberland. Mein Kopf ist gut geformt, meine Augen sind größer und die Kieferpartie klarer. Ich habe noch nie eine Vorstellung vermasselt. Ich trinke nicht. Ich bin ein besserer Schauspieler. «Er wandte den Kopf ein wenig und verdrehte die Augen, um die Wirkung zu beobachten.»In der großen Szene«, dachte er,»bin ich der Star. Er gibt die Stichworte. So ist es inszeniert, und so will es der Autor.

Eigentlich müsste ich die guten Rezensionen bekommen.« Frühere Rezensionen kamen ihm wieder in den Sinn. Er sah die Druckschrift, die Länge der Absätze: ein langer Absatz über Canning Cumberland, und eine Zeile am Ende angehängt.»Ist es böse, wenn man hinzufügt, dass Mr.

Barry George dem virtuosen Spiel von Mr.

Cumberland mit einer gewissen atemlosen Vorhersagbarkeit hinterher hechelt?«Und weiter:»Es ist ein bisschen hart für Mr.

Barry George, dass er gezwungen ist, bei dieser brillanten Darstellung als Hintergrund zu dienen. «Und am schlimmsten:»Mr. Barry George schaffte es leidlich, nicht wie ein bloßer Stichwortgeber auszusehen, eine Leistung, die seine Kräfte offensichtlich erschöpfte.« «Monströs!«, sagte er laut zu seinem eigenen Spiegelbild und musterte seinen vor Entrüstung leicht glühenden Blick. Der Alkohol, sagte er sich, bewirkte bei Canning Cumberland zweierlei. Er hob den Zeigefinger. Eine schöne, ausdrucksvolle Hand, eine Schauspielerhand. Der Alkohol zerstörte Cumberlands künstlerische Integrität.

Und verlieh ihm eine teuflische Durchtriebenheit.

Betrunken würde er ein Stück sprengen, dessen Gleichgewicht zerstören, die Form ruinieren und sich selbst mit purer Effekthascherei, die die Leute irrtümlich für Genialität hielten, in den Vordergrund spielen.

«Wohingegen ich«, sagte er laut,»meinem Autor lediglich das Kompliment mache, sein Werk treu zu interpretieren.

Pah!« Er kehrte in sein Schlafzimmer zurück, kleidete sich vollends an und zog seinen Hut im richtigen Winkel zurecht. Dann schob er sein Gesicht noch einmal dicht vor den Spiegel und betrachtete sein Bild eindringlich.»Bei Gott!«, sagte er bei sich,»er hat den Bogen überspannt, der alte Knabe. Heute Abend rechnen wir miteinander ab, was? Bei Gott, das tun wir.« Teils zufrieden, teils beschämt, denn die kleine Szene hatte doch etwas nach Schmierentheater geschmeckt, nahm er in die eine Hand seinen Spazierstock und ein Köfferchen mit seinem Kostüm für den Künstlerball in die andere und machte sich auf den Weg zum Theater.

Um zehn vor sieben durchquerte H. J. Bannington auf seinem Weg zur Bühnenpforte die Schlange für den dritten Rang, lüpfte den Hut und bedankte sich bei den hocherfreuten Damen, die ihn durchließen. Er hörte, wie sie seinen Namen murmelten. Forsch durchschritt er den schmalen Verbindungsgang, grüßte den Bühnenpförtner, trat unter einer schummrigen Lampe durch einen Eingang und von dort auf die Bühne. Nur das Arbeitslicht brannte.

Die Wände einer Innenraumkulisse ragten matt leuchtend im Schatten auf. Bob Reynolds, der Inspizient, kam durch den Souffleureingang zu ihm herüber.»Hallo, alter Knabe«, sagte er,»ich habe die Garderoben getauscht. Sie sind in der dritten rechts. Ihre Sachen hat man schon reingebracht. Ist Ihnen das recht?« «Besser als ein schwarzes Loch von der Größe eines Klos ohne dessen Ausstattung«, versetzte H. J. beißend.

«Ich nehme an, der große Mr. Cumberland hat immer noch die Stargarderobe?« «Nun, ja, alter Knabe.« «Und wer ist neben ihm, wenn man fragen darf? In dem Raum mit dem anderen Gasofen?« «Dort haben wir Barry George untergebracht, alter Knabe. Sie wissen doch, wie er ist.« «Nur zu gut, alter Knabe, und das Publikum, fürchte ich, findet es allmählich auch heraus. «H.J. bog in den Durchgang zu den Künstlergarderoben ein. Der Inspizient kehrte auf die Bühne zurück, wo er auf seinen Assistenten traf.»Was hat den denn gebissen?«, fragte der Assistent.

«Er wollte eine Garderobe mit Ofen.« «Wundert mich nicht«, sagte der Assistent gehässig.

«Schließlich war er früher mal Gasableser.« Rechts und links des Durchgangs, der Bühne am nächsten, befanden sich zwei Türen, jede mit einem in matter Farbe aufgemalten Stern. Die Tür zur Linken stand offen. H.J. spähte hinein und wurde vom Geruch nach Fettschminke, Puder, Wasserschminke und Blumen empfangen. Ein Gasöfchen bullerte behaglich. Coralie Bournes Garderobiere breitete gerade Handtücher aus.

«Guten Abend, Katie, mein Goldschatz«, sagte H. J.»Ist La Belle noch nicht unten?« «Wir sind unterwegs«, sagte sie.

« Bella figlia del amore«, summte H. J. inbrünstig und trat wieder auf den Gang. Die Stargarderobe zur Rechten war geschlossen, doch konnte er Cumberlands Garderobiere drinnen herumwerkeln hören. Er ging weiter zur nächsten Tür, hielt inne, las das Schildchen» Mr. Barry George«, schmetterte einen hohen, höhnischen Ton, trat durch die dritte Tür und machte Licht.

Definitiv kein Zimmer für den zweiten Hauptdarsteller!

Kein Ofen. Allerdings ein Waschbecken und zwei gegenüberliegende Spiegel. Man hatte ihm einen Stapel Telegramme auf den Garderobentisch gelegt. Immer noch singend, griff er danach, förderte eine Reihe von Rechnungen zu Tage, die taktvollerweise zuunterst platziert worden waren, sowie einen in ausladender Schrift adressierten Brief.

Als wäre seine Stimme mechanisch erzeugt und willkürlich ausgeschaltet worden, endete sein Lied abrupt mitten in einer Passage. Er ließ die Telegramme auf den Tisch fallen, griff nach dem Brief und riss ihn auf. Sein fürchterlich bleiches Gesicht wurde von den Spiegeln in endloser Reihe zurückgeworfen.

Um neun Uhr klingelte das Telefon. Roderick Alleyn meldete sich.

«Hier Sloane 84405. Nein, Sie haben sich verwählt. Nein. « Er legte auf und wandte sich wieder seiner Frau und seinem Gast zu.

«Das ist jetzt das fünfte Mal innerhalb von zwei Stunden.« «Dann lassen wir uns doch eine neue Nummer geben.« «Und handeln uns womöglich noch was Schlimmeres ein.« Wieder klingelte das Telefon.»Hier ist nicht die

«, sagte Alleyn warnend.»Nein, ich kann keine drei großen Koffer zur Victoria Station bringen. Nein, ich bin nicht der Nächtliche Sofort-Lieferdienst. Nein.« «Die haben nämlich die 84406«, wandte sich Mrs. Alleyn erklärend an Lord Michael Lamprey.»Die Leute verwählen sich vermutlich bloß, aber Sie können sich nicht vorstellen, wie zornig alle Beteiligten werden können. Wieso wollen Sie Polizist werden?« «Das ist nämlich eine langweilige, schwere Arbeit — «, setzte Alleyn an.

«Ach«, sagte Lord Mike, streckte die Beine aus und warf einen kritischen Blick auf seine Schuhe,»ich stelle mir ja beileibe nicht vor, gleich mit falschem Schnurrbart und Zivilkluft loszulegen. Nein, nein. Allerdings bin ich unverschämt gesund, Sir. Und bärenstark. Und vielleicht auch gar nicht so dumm, wie Sie vielleicht denken mögen